Wien – Vor zwei Jahren ist Katharina Lenz in ein tiefes Loch gefallen. Ihre Stelle in der Bibliothek des Wiener Mumok war gestrichen worden. Die 52-Jährige verlor damit nicht nur ihre Arbeit, sondern auch jeglichen Antrieb. Das Aufstehen war jeden Tag aufs Neue eine Qual, sie zog sich aus ihrem Freundeskreis zurück. Die Alleinerzieherin hatte unendlich viel Zeit, wusste damit aber nichts anzufangen.

Katharina Lenz ist arbeitssuchend.
Foto: Andy Urban

Bis heute hat sie keinen Job gefunden. Das Minus auf ihrem Konto wird größer, ihre Chance, wieder einen Job zu finden, dabei mit jedem Tag geringer. So wie ihr geht es immer mehr im Land. Die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen wächst dramatisch, sie hat sich seit 2009 mehr als vervierfacht. Über 44.000 über 50-Jährige waren im Vorjahr mindestens ein Jahr arbeitslos. Weil die Jobsuche für Ältere so schwierig ist, greift die Regierung jetzt zu einer unkonventionellen Maßnahme.

Sie will ab nächstem Jahr ganze 20.000 staatliche Jobs für die Gruppe 50 plus schaffen. Sie sollen in Bädern und Schulen helfen, Ältere pflegen, Rasen mähen und in sozialen Firmen unterkommen. Das Projekt kommt einer Revolution auf dem Arbeitsmarkt gleich. Es ist ein hunderte Millionen Euro teures Eingeständnis, dass viele Menschen sonst keine Chance mehr auf einen Job haben. In der Debatte um neue Technologien, die Arbeitsplätze vernichten, könnte es einen alternativen Weg für die Zukunft aufzeigen. Für Katharina Lenz ist es erst einmal ein kleiner Lichtblick.

Lenz ist groß, hat lange weiße Haare und trägt auffällige Ohringe. "Die sind aus dem Kabel eines Bildschirms gemacht", erzählt sie, während sie den STANDARD durch ihre alte Arbeitsstätte führt. Hier war sie nach dem Verlust ihrer Arbeit für gut ein halbes Jahr über das AMS beschäftigt.

Durch die Halle schwebt eine dichte Rauchschwade, ein Radio tönt aus der Ecke, es ist kalt und schmutzig. Ein Arbeiter wirft ein altes Bügeleisen in eine Gitterbox, vorher trennt er noch das Kabel ab. Es ist gut möglich, dass das Material für die Ohrringe von Lenz mit demselben Kabelschneider abgezwickt wurde.

Wien, 14. Bezirk, im Demontage- und Recyclingzentrum (DRZ) versuchen 80 ehemalige Arbeitslose, noch etwas aus dem Müll, den die Wiener zurücklassen, herauszuholen. Sie zerlegen Computer, Waschmaschinen und Radios, verkaufen dann die Rohstoffe oder schaffen selbst etwas Neues.

Ein ehemaliger Arbeitsloser zerlegt einen Drucker, Teile davon werden im Demontage- und Recyclingzentrum in Wien recycelt und verkauft, andere zu Taschen oder Uhren neu zusammengebaut.
Foto: Andy Urban

"Es war eine schöne Zeit hier", sagt Lenz. "Seit ich vor zwei Jahren meinen Job verloren habe, hat mich noch keine einzige Firma zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen." Hier würden die Menschen wieder eine Perspektive und Struktur bekommen. Zumindest für ein halbes Jahr. Denn länger darf außer der paar fix Angestellten, die den Laden schmeißen und Mitarbeiter einschulen, keiner bleiben. So wollte es die Politik und das Arbeitsmarktservice (AMS) bisher. Das soll sich jetzt ändern.

Nun will die Regierung eine halbe Milliarde pro Jahr für Arbeitsplätze ausgeben, die es in der Privatwirtschaft nicht gibt, die ihrer Ansicht nach aber notwendig wären. Das soll die Langzeitarbeitslosigkeit in der Gruppe 50 plus halbieren.

"Es gibt in dieser Gruppe sehr viele, die gesund sind und arbeiten könnten, außer ihrem Alter also kein Problem haben", sagt Roland Sauer, zuständiger Beamter für die "Aktion 20.000" und Sektionschef im Sozialministerium. Die Aktion koste unter dem Strich 200 Millionen Euro im Jahr. Man erspare sich ja einiges durch das wegfallende Arbeitslosengeld für diese Menschen.

Die Idee stammt aus dem "Plan A" von Kanzler Christian Kern (SPÖ). Er sprach ursprünglich von 40.000 Stellen, auf das Veto der ÖVP hin wurde die Zahl aber halbiert und das Projekt, anders als von der SPÖ gewünscht, bis 2019 begrenzt. Es soll dann überprüft und bei Erfolg weitergeführt werden.

Die meisten Fachleute sind sich einig, dass es mehr Unterstützung für ältere Langzeitarbeitslose braucht, von denen die Hälfte nur einen Pflichtschulabschluss hat. Akademiker wie Lenz – sie hat Kunst studiert – gibt es darunter wenige. Zwei Drittel sind darüber hinaus Männer.

Es fließt aber auch jetzt schon viel Geld in soziale Firmen wie das DRZ. Einige Hunderttausend Euro setzt es im Jahr selbst um, der Großteil der Ressourcen kommt aber vom AMS. Im Vorjahr waren über 8.000 Arbeitslose für ein paar Monate in sogenannten sozioökonomischen Betrieben. Fast alle davon waren älter als 50. Auch private Firmen bekommen Förderungen, wenn sie Ältere anstellen.

Im DRZ werden aus Mainboards etwa Taschen.
Foto: Andy Urban

Lenz läuft die Treppen hoch in den ersten Stock des DRZ. Als die Tür zum Büro aufgeht, fallen ihr die ersten Menschen in die Arme. "Die Atmosphäre hier ist eine besondere", sagt sie. In den ersten Stock kommen jene Materialien, aus denen sich noch etwas machen lässt. Aus einer Wäschetrommel könne man einen Tisch fertigen, aus dem Bullauge der Waschmaschine eine Schüssel oder eine Lampe. Hier oben sitzen vor allem Frauen, anders als in der Demontage im Erdgeschoß. Es ist eine andere Welt, es läuft Jazzmusik, statt Muskelkraft ist hier Fingerspitzengefühl gefragt.

Die Waren werden im eigenen Shop, auf Märkten und Messen und im Internet verkauft. Alle zwei Wochen schickt das AMS um die 60 Leute ins DRZ, einige davon werden aufgenommen. "Es ist schon ein Problem, die richtigen Leute zu finden", sagt Lenz, die hier als Assistentin der stellvertretenden Chefin arbeitete. Die Idee war es bislang, die Leute aus dem DRZ zu einer privaten Firma zu bringen. Das gelingt aber selten. "Hier geht alles etwas langsamer", sagt ein Mitarbeiter. "Es ist schwierig, sich dann wieder am Arbeitsmarkt zurechtzufinden."

Alte Drucker im Demontagebereich des DRZ.
Foto: Andy Urban

Das ist neben den sehr hohen Kosten mit ein Grund, warum die Wirtschaftskammer skeptisch ist, was die Aktion 20.000 betrifft. Es gibt auch noch ein anderes Problem, über das Firmen schon länger klagen: Konkurrenz. Soziale Unternehmen verkaufen ihre Güter ganz normal am Markt, erhalten dafür aber Geld vom Staat, private nicht. Durch die breitangelegte Aktion lasse es sich kaum verhindern, dass es vermehrt zu Verdrängung komme, sagt etwa Wifo-Chef Christoph Badelt.

Ob es der Politik aber überhaupt gelingt, bis zum nächsten Jahr 20.000 Stellen zu schaffen, ist fraglich. Eine unlängst durchgeführte Umfrage unter allen sozialen Firmen ergab, dass man knapp 2.000 Stellen schaffen könne. Die Regierung will vier bis fünf Mal so viel. Auf der Ebene der Gemeinden gibt es ebenfalls schon ähnliche Projekte, etwa "gemA50+" in Niederösterreich. Ein Rundruf des STANDARD bei involvierten Bürgermeistern ergibt ein positives Bild. In Unterstinkenbrunn zum Beispiel werden die Leute im Sommer an der Kassa des Freibads oder in der Kantine eingesetzt.

"Arbeit gibt es genug", sagt ein Bürgermeister aus dem Waldviertel. Einzig der Bürgermeister von Stockerau, Helmut Laab (SPÖ), sieht von fünf kontaktierten Bürgermeistern keinen Bedarf an weiteren Stellen, für die derzeit kein Geld da ist. Trotzdem ist das Vorhaben der Regierung riesig. Gemeindebund-Chef Helmut Mödlhammer sagt, Gemeinden könnten zu den bestehenden 70.000 Beschäftigten maximal 5.000 weitere Leute aufnehmen. So sinnvoll das Projekt sei, "wir sind nicht das Auffangbecken für alles und jeden".

Arbeiter zerlegen unter anderem Radios und Plattenspieler.
Foto: Andy Urban

In der Tat ist das Projekt sehr ambitioniert. Auch in Flandern, das der SPÖ als Vorbild galt, sind nur 5.000 Leute dauerhaft beschäftigt. Selbst das AMS wurde vom Vorschlag überrumpelt, man habe davon sehr kurzfristig erfahren, sagt Vorstand Herbert Buchinger. Er sieht das ganze "zwiespältig". Es sei eine Chance für Ältere, für das AMS aber eine riesige Herausforderung. "Bisher haben wir Jobs vermittelt, jetzt müssen wir welche schaffen."

Judith Pühringer vom Verband sozialer Unternehmen in Österreich hat schon vor längerer Zeit ein Projekt wie die Aktion 20.000 gefordert. Ihre Ideen dazu sind in den "Plan A" von Kanzler Kern eingeflossen. Um mehr Jobs zu schaffen könne man darüber nachdenken, Gemeinden bestimmte Aufträge direkt an soziale Firmen vergeben zu lassen, anstatt sie auszuschreiben, sagt Pühringer. Firmen könnten einfachere Arbeiten an sie auslagern, statt in Billiglohnländern produzieren zu lassen.

"Es ist aber noch unklar, was da genau kommt. Es ist alles noch sehr vage", sagt sie. Wie das Ganze genau ablaufen soll, wissen auch involvierte Beamte nicht. Im Sommer starten die ersten Pilotprojekte. Im DRZ, das womöglich profitieren könnte, hat man von der Aktion noch gar nichts gehört. Katharina Lenz macht das Projekt der Regierung jedenfalls hoffnungsfroh. "Ich kann mir sehr gut vorstellen, da mitzumachen und dauerhaft hier zu arbeiten." (Andreas Sator, 16.2.2017)