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Trump bei einer Rede in Florida am Samstag.

Foto: REUTERS/Kevin Lamarque

Europa muss Donald Trump dankbar sein. Der gern per Ferndiagnose auf die Politcouch gelegte und auf Zurechnungsfähigkeit analysierte US-Präsident hat seinerseits einen kathartischen Prozess in Gang gebracht. Die Europäer haben auf der Sicherheitskonferenz so deutlich wie selten zuvor begreifen dürfen, dass sie sich endlich am Riemen reißen müssen. Es mag unfreiwillig sein, aber: The Donald ist auch ein Dialektiker. Einer, der unversehens eine Menge an politischen Gegensätzlichkeiten erzeugt, durch deren Zusammenprall am Ende doch so etwas wie Fortschritt herauskommt.

Von der derzeitigen US-Regierung also ist nicht zu erwarten, dass sie die westliche Welt beherzt in Schutz nehmen oder ihr gar eine Richtung vorgeben wird. Deswegen muss Europa aufrüsten – militärisch und vor allem ideologisch. Es muss seine Interessen selbstständig definieren, seine Einflussmöglichkeiten taxieren, eine gemeinsame Realpolitik machen. Die Rhetorik vom größten Friedensprojekt oder dem größten Binnenmarkt – je nach Gusto und Weltsicht und jedenfalls immer unter dem nuklearen Schutzschirm der Amerikaner – wird nicht mehr ausreichen, um in einer Welt zu bestehen, die zunehmend unberechenbarer wird. Verbündete inklusive. Vizepräsident Mike Pence zum Beispiel hat die Europäische Union in seiner Ansprache in München mit keinem Wort erwähnt.

Die beste Chance für die EU, sich zu sortieren und viele Dinge zu klären, ist der Brexit. Nach allem, was auf den Gängen des Bayerischen Hofes in München zu hören war, wird es eine recht ruppige Scheidung geben. Für die Briten, deren politische Spitzen wie ihre angelsächsischen Vettern in Washington einen bemerkenswerten Hang zum Hinterlassen verbrannter Erde entwickelt haben, wird ein harter Brexit eine politische wie ökonomische Katastrophe werden. Und auch der Union wird er schmerzen, keine Frage. Aber eher in der Art eines Muskelkaters.

Denn wenn alles gut läuft und eine wiedergewählte deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Verein mit einem französischen Präsidenten, der nicht Marine Le Pen heißt, es schafft, den europäischen Laden zusammenzuhalten, wird die Union danach stärker sein als je zuvor. Frei nach dem Leitmotiv Trumps muss es also heißen: Europe first!

Diese Stärke wird Europa brauchen, um seinen Platz in der neuen Weltordnung zu behaupten – gegenüber turbokapitalistisch veranlagten kommunistischen Mandarinen in Peking, von interner Misere gebeutelten russischen Revisionisten mit Großmachtfantasien und gegenüber einer US-Führung, die Amerika ohne Not und entgegen allen großspurigen Ankündigungen kleiner und einsamer macht, als es bisher gewesen ist.

In München, so ließ es sich aus vielen Gesprächen ableiten, haben die meisten Mitgliedsstaaten der Union diesen Trend erkannt. Selbst das Führungspersonal in renitenten Hauptstädten, in denen gern eine große nationalistische Lippe geführt wird, hat inzwischen weitgehend überzuckert, dass weder Russland noch die USA echte Alternativen sind. Sosehr der "Freiheitskampf gegen Brüssel" daheim kultiviert werden mag, so wenig wird er in den Institutionen tatsächlich geführt.

Europe first! Das Europa der Gegensätze und Differenzen wird genauso wieder zur Gemeinsamkeit finden. Das ist die gute Nachricht aus München. (Christoph Prantner, 19.2.2017)