Ilvie Wittek, fotografiert von Stefan Armbruster, trägt ein Kleid von Jil Sander, eine Brille von Alexander Wang und Sandalen von Hermès.

Foto: Stefan Armbruster

Model Ilvie Wittek trägt ein Shirt von Hermès und einen Rock von Dior.

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Jacke: Hermès, Kleid: Hugo Boss, Schuhe: Giorgio Armani.

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Kleid: Dries van Noten, Tasche: Louis Vuitton.

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Tuch von Hermès, zum Top geschnürt, Hose von Emporio Armani.

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Kleid von Max Mara, Tuch: Hermès.

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Bluse: Prada, Top und Rock: Chanel, Sandalen: Prada, Brille: Giorgio Armani.

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Ein bisschen geht es in der Mode derzeit zu wie in Washington im Oval Office. Da wurden gerade neue Sofas hineingeschoben und goldene Vorhänge aufgehängt – und täglich wird ein neuer Aufreger in die Welt getwittert. Man könnte schnell den Überblick verlieren über das Geschehen. Nicht anders in der Welt der Mode: Manche Designer lassen Männer und Frauen gleichzeitig über den Laufsteg laufen, andere zeigen Frühjahrsmode, wenn die anderen schon die Pelze auspacken. Und dann noch diese Zwischenkollektionen! Auf manche Trends können sich dann aber überraschend viele einigen: Die wichtigsten Modeideen dieses Frühjahrs zusammengefasst – Model Ilvie Wittek hat sie im Luxusdomizil Royal Palm bei Marrakesch Probe getragen.

In Pink protestieren

Pinke selbstgestrickte Hauben, ausgerechnet! Die "Pussy-Hats" saßen während des Women's March in Washington zwischen Parlamentsgebäude und Lincoln-Denkmal fest auf dem Kopf so mancher Protestierenden. Die Idee hatte allerdings kein Designer, sondern zwei amerikanische Aktivistinnen. Krista Suh und Jayna Zweiman hatten nach dem Wahlgewinn Trumps auf Twitter dazu aufgerufen, ihrem Protest eine Farbe zu geben.

Dass die beiden Aktivistinnen damit den Farben der Modesaison gerecht werden? War so nicht voraussehbar. Oder doch. Junge Feministinnen haben den einstigen Tussi-Farbton längst umcodiert. Die Trendbewussten wissen spätestens, seit die Firma Pantone die Farbe Rosa-Quartz 2016 zur Farbe des Jahres machte, dass Zuckerlrosa wieder da ist. Seither schießen Modeunternehmen wie Chanel oder Prada lauter süße Sachen hinterher – rosa Sandalen, Röcke oder Sweatshirts zum Beispiel.

Die Designerin Lena Hoschek platzte mit einer pinken Kollektion in die Berliner Modewoche, und das französische Label Céline, das nur in Ausnahmefällen zur Farbe greift, beendete seine Show mit einem gerafften Kleid in Rosa. Es wäre wie gemacht für Jackie Kennedy, deren rosa Kostüm zuletzt an Natalie Portman in Pablo Larraíns Film wiederauferstand.

Knallfarben

Bei Rosa bleibt es in diesem Frühjahr aber nicht. Während "La La Land", der oscarprämierte Tanzfilm in Technicolor, eine Welt in Knallfarben auferstehen lässt, liegt in der Mode ein besonderes Augenmerk auf Gelb, Orange, Rot, den "Farben des Sonnenuntergangs", wie ein Modemagazin gerade feststellte. Gelbe Kleider gab es bei Chloé, Bottega Veneta, Max Mara und Gucci, Orange bei Balmain und Jil Sander, auf Tomatenrot konnten weder Sportmax, Vetements, Dior noch Valentino verzichten.

Feine Falten

Wenn Farbe nicht reicht, dann kommen Materialeffekte ins Spiel. In dieser Saison sind es jene mikrofeinen Falten, mit denen Issey Miyake vor Jahrzehnten die Mode auf den Kopf stellte. Er ließ seine Mikro-"Pleats" 1993 patentieren, die gecrashten und geknitterten Kleider wurden zu seinem Markenzeichen. Lange schienen die feinen Fältchen nur noch von eingefleischten Miyake-Fans oder von Szenefrauen von damals übergeworfen zu werden. Nun hat sich der Wind gedreht. In diesem Frühjahr haben sich einige Designer an die Knittertechnik erinnert.

Das ergebe Sinn, kommentierte zuletzt der "Guardian": Die Mikrofalten verknitterten im kleinsten Koffer nicht und seien genau das Richtige für den beweglichen Kunstjetset. Und so sind es neben Retailern wie H&M vor allem die Lieblingsdesigner der kunstsinnigen Galeristas, die auf die Falte gekommen sind.

Bei Loewe werden gecrashte Kleider zusätzlich ausgefranst, das italienische Modelabel Marni zieht plissierte Materialien mit Tunnelzügen zusammen, bei Jil Sander sah ein Kleid mit seinen skulptural gerundeten Ärmeln so aus, als sei es geradewegs aus den 1990ern ins Jahr 2017 gebeamt worden.

Schultern aufpolstern

Dass die Schultern wieder betont werden, daran wird frau sich gewöhnen müssen. Wenn es nach den Designern Rodolfo Paglialunga, Phoebe Philo und Demna Gvasalia geht, auch schon in diesem Frühjahr. Ob die überbreiten Schulterpolster, die bei der Jil-Sander-Show wie Karikaturen ihrer selbst über den Laufsteg liefen, eins zu eins in den Geschäften landen, kann aber bezweifelt werden.

Dabei wären sie genau das Richtige für Anzugfrauen, die wie Angela Merkel mächtig unter Druck stehen – ein breites Kreuz hat in noch keiner Wahlkampfschlacht geschadet. Die Ausstatter wären praktischerweise bei der Hand. Balenciaga mit seinen in Schulterhöhe verstärkten Lederjacken und Trenchcoats, Céline mit einer Auswahl an weißen Sakkos, die windschief auf den dünnen Modelschultern aufliegen. Eines ist klar: Bei Frauen wie Merkel hätten sie einen sicheren Sitz.

Körpereinblicke

Auch klar: Der Frühling macht wieder Lust auf weniger Stoff – oder Materialien, die Einblicke zulassen und die Körper der Trägerinnen in neuem Licht erscheinen lassen. Auf den Teppichen der Berlinale, der Grammy- und der Oscar-Gala wurden die halbtransparenten Tüllröcke in Schwarz, Weiß, Rot, die die Designerin Maria Grazia Chiuri entworfen hat, schon vorab auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Die Kleider von Dior und Lanvin legen die derzeit angesagtesten Körperteile frei: nach der Inszenierung des Hinterteils (innerhalb der letzten Jahre von Kim Kardashian zur Perfektion getrieben) sind jetzt Rumpf, Schultern sowie Schlüsselbein dran.

Um den Auftritt in solchen Kleidern zu perfektionieren, bedarf es über die Kleider von McQueen oder Dior hinaus eines straffen Körpers: Das Fitnesstraining scheint Voraussetzung für Tüllträume und Cut-outs. Das sollte kein Problem sein. Fitnessheldinnen wie die Balletttänzerin Mary Helen Bowers oder Kayla Itsines, die mit ihrer Bikini Body Training Company zur Multimillionärin wurde, geben im Netz Hilfestellung. Im Moment ist Crawling, vierbeiniges Krabbeln um der Muskeln willen, angesagt.

Auf sportlich machen

Wem das zu blöd ist, der packt die Sportsachen aus – nicht um wie Betty und Veronica in der aktuellen Netflix-Serie "Riverdale" als Cheerleader die Beine in die Luft zu werfen, sondern um ein bisschen zu schummeln. Das funktioniert mit Designersportswear ohne Probleme. Denn, gute Nachricht für alle, die maximal einen Finger krumm machen wollen, um im Onlineshop auf den Bestellbutton zu klicken: Der High-Fashion-Bereich ist verrückt auf Kooperationen mit Streetwear-Labels, die Auswahl an Mode, die auf sportlich macht, ist riesig: Da wären zum Beispiel Parkas, Kleider, Overalls mit Tunnelzug (bei Versace oder Stella McCartney), Strickbustiers aus der Yeezy-Kollektion von Kanye West, Trainingsjacken von Supreme oder rosa Sneaker aus der neuen Puma-Kooperation Stampd-Clyde-Kollektion.

Stoff geben!

Das aktuelle Körperideal? Nicht zu muskulös, sondern schmal und schön straff. So können die aufgepumpten Blusenärmel, die so ähnlich schon Mitte des 19. Jahrhunderts getragen wurden, die Oberarme frei umspielen. An Stoff wird in diesem Frühjahr nicht gespart, ganze Stoffbahnen fallen in Kaskaden von Blusen und Kleidern. Feminine Volants zieren sportliche Sweater, beim italienischen Label MSGM werden Stoffbahnen sogar als lose Elemente umgeschnallt. Mit Volumen und Oversize-Elementen zu spielen, ist gerade in Mode – vielleicht auch weil aufgepumpte Blusen fast allen Körpergrößen schmeicheln.

Sogar in der Modewelt gehört es zum guten Ton, sich zwischen den Zahnstochermodels zu "realen" Körpern zu bekennen. Die amerikanische "Vogue" hat zum Beispiel auf dem Titel ihrer März-Ausgabe zum ersten Mal ein Plus-Size-Model platziert: Ashley Graham zeigt ihre Beine neben den Standardschenkeln der dünnen Kolleginnen – Photoshop musste trotzdem noch einmal drübergehen.

Wäsche über der Bluse

Die gute Nachricht: Es muss zum Glück nicht immer nackte Haut sein. Für alle, die keine Lust haben, im Fitnessstudio Hanteln zu stemmen, auf dem Boden zu krabbeln oder sich von Fitness-Apps durch die Landschaft jagen zu lassen, gibt es reizvolle Alternativen. Unterwäsche ist längst zur Oberbekleidung geworden, dieses Wissen sollte Frau sich zunutze machen. Der umgedrehte Lagenlook, Bustiers, Spaghettileiberl und BHs über T-Shirts und Blusen, war schon zu "Before Sunrise"-Zeiten (also um das Jahr 1995 herum) angesagt, hat sich in den letzten Saisonen bereits angekündigt – und geht jetzt reizvoll in die Verlängerung.

Pullunder rausholen

Wem der Rückgriff auf die 1990er-Jahre nicht ganz geheuer ist, kann sich auch des Formenvokabulars der 1970er-Jahre bedienen. Der Pullunder, der beschnittene Bruder des langärmeligen Pullovers, ist jedenfalls wieder da (zum Beispiel bei Prada). Sein Image mag als nicht sonderlich frisch gelten.

So etwas, könnte man meinen, tragen nur ältere Männer, die sich in Hemd und mit Krawatte alleingelassen fühlen.

Dem ist nicht so. Die Schauspielerin Sigrid Bouaziz, die gerade erst in "Personal Shopper" zu sehen war, besuchte zuletzt eine Chanel-Show in weißer Bluse und gemustertem Pullunder. Bieder sah das nicht aus. Ein Jahr nach dem Tod des ehemaligen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, eines überzeugten Pullunderträgers, darf der kleine Bruder wieder ausgepackt werden – und wie bei Chanel oder Gucci zu Höchstform auflaufen.

Sag's durch die Blume!

Dass im Frühjahr alljährlich dem Blumenmuster der Teppich ausgerollt wird, gehört zum guten Ton. Diesmal aber werden die Blüten so großzügig verteilt, dass sie jeder Gartenschau Konkurrenz machen. Sie verteilen sich in grafischer Form auf Maxikleidern (zu sehen bei Chloé oder Dries van Noten), auf Strumpfhosen (Balenciaga) oder Jackenkleidern (Gucci). Ihre Gestaltung lässt in vielen Fällen den unschuldigen Charme der Pril-Blume, die Anfang der 1970er als poppiges Abziehbild auf Spülmittelflaschen des Unternehmens Henkel pappte, aufleben: Bei Prada verschönert sie karierte Siebzigerjahrehemden. Manchmal tut ein wenig Nostalgie am Körper gar nicht so weh. (Anne Feldkamp, RONDO, 2.3.2017)

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