Die schweigende proeuropäische Mehrheit kommt endlich in die Gänge. Das zeigen Aktionen wie der "March for Europe" der Europäischen Föderalisten, der zum 60. Geburtstag der Römischen Verträge am 25. März in Rom stattfindet, oder Bürgerinitiativen wie "Pulse of Europe". Seit Wochen gehen in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und neuerdings auch in Österreich die Bürger für Europa auf die Straßen. Nun haben EU-Parlament und Kommission Auswege aus der europäischen Polykrise durch Brexit, die diversen globalen Bedrohungen und den unbefriedigenden Umgang mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage skizziert.

Vor allem die Kommission von Jean-Claude Juncker muss sich dafür Kritik gefallen lassen. Zu seicht und zu wenig ambitioniert seien ihre fünf Szenarien zur Zukunft der EU, die da sind: Weitertun wie bisher, Durchforsten der EU-Kompetenzen mit der Vorgabe "weniger Europa, aber das ordentlich gemacht", eine radikale Abmagerungskur à la "Binnenmarkt only" oder doch eine gesamteuropäische Hauruckaktion oder zumindest ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Motto: Keinen zwingen, aber auch keinen bremsen, der mehr Integration will – etwa um Euro und europäische Wirtschaft wieder in die Spur zu bringen oder Europas Sicherheit zu gewährleisten.

Natürlich sind die Details – Wer entscheidet? Wer zahlt? – in fast allen Modellen offen. Ihr Charme liegt darin, dass die meisten ohne große Vertragsänderungen über die Bühne gehen könnten. Bei entsprechendem Willen sind sie relativ einfach umzusetzen. Und es ist gut und richtig, dass die Kommission nicht vom Elfenbeinturm herunter europäische Wunderwuzzi-Lösungen verkündet, sondern den Ball an die Mitgliedstaaten zurückspielt und auf eine öffentliche Debatte pocht.

Wohlklingende Erklärungen zu den Errungenschaften und Herausforderungen der Europäischen Union gibt es genug. Es hapert nicht an den Absichten, sondern an der Umsetzung. Jetzt liegt es an den Mitgliedstaaten zu sagen, ob sie mehr Europa und mehr Union wollen oder tatsächlich den Rückzug in die Kleinstaaterei. Klar ist auch: Wenn die Neuorientierung der EU angesichts des Erstarkens populistischer und antieuropäischer Reflexe auf Akzeptanz stoßen soll, dürfen sich die lokalen, regionalen, nationalen und europäischen politischen Entscheidungsträger die europäische Zukunft nicht im Hinterzimmer ausschnapsen. Die bestehenden repräsentativen Kräfte – in Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern etwa in der Europäischen Bewegung vertreten – sowie sonstige demokratische Organisationen müssen in dialogisch in diese Zukunftsdebatte eingebunden werden.

Das Glück schmieden

"Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint", tönten die EU-Chefs vor Jahren in einer ihrer Gipfelerklärungen. "Jeder ist seines Glückes Schmied, und Europa muss endlich die heißen Eisen anpacken", kann man da replizieren. Das Weißbuch zur Zukunft der EU sollte der Ausgangspunkt für eine großangelegte öffentliche Auseinandersetzung über die Stärkung des vereinten Europa sein. Oder – um es mit den Worten eines früheren US-Präsidenten ohne "Ich will Erster sein"-Jargon zu sagen: "It's European Democracy, stupid!" (Sabine Radl, 21.3.2017)