Nach dem Liebestaumel
Liebe ist das Gefühl, das der deutsche Kunst- und Literaturkritiker Daniel Schreiber mit Alkohol verknüpft. Er war seine große Liebe fast ein Jahrzehnt lang. Von einem Tag auf den anderen ist Schluss. Schreiber bleibt nüchtern. Das eine "erste Glas" hat er nie wieder getrunken.
Dabei begann alles ganz harmlos: nach einem arbeitsreichen Tag nach Hause kommen, ein Achtel Wein trinken, genießen, entspannen. Noch einmal das Glas füllen, der Kopf beruhigt sich, die Welt beginnt weicher zu werden, die Kanten glätten sich. Irgendwann ist die halbe Flasche ein alltägliches Ritual – bis auch das nicht mehr reicht. Die Dosis wird gesteigert, Exzesse, Abstürze und Depressionen häufen sich, Beziehungen zerbrechen.
Schreibers Essay ist mehr als Betroffenheitsprosa. Es geht ihm um das große Ganze, um den bigotten Umgang mit der Volksdroge Nummer eins, die den Genuss von Bier und Wein kultiviert, aber den Alkoholkranken verachtet. Das gängige Vorurteil: Wer abhängig wird, ist selbst schuld, hat sein Recht verwirkt, am kollektiven Rausch teilzuhaben. Pointiert, scharfsinnig und klar zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, die den Alkohol als "Schmiermittel" braucht. Sein Fazit: "Das Trinken ist die einzige vollumfänglich anerkannte Abschaltstrategie in unserer Stressgesellschaft und wird als solches aufs Bitterste verteidigt." (Günther Brandstetter)
Daniel Schreiber: "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück". Suhrkamp 2016, 160 Seiten, 9,30 Euro
(CURE, 11.11.2017)
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