Neuseelands Labour-Chefin Jacinda Ardern hofft auf den Sieg.

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Wellington/Canberra – In den Straßen von Auckland und Christchurch gibt es einen neuen, eher ungewöhnlichen Verkaufshit: T-Shirts, Tragetaschen und iPhone-Hüllen mit dem Konterfei einer Politikerin. Jacinda Ardern, noch vor Wochen einfache Abgeordnete der oppositionellen Labour-Partei, ist in Rekordzeit zum Star geworden. Die 37-Jährige könnte am 23. September die jüngste Regierungschefin Neuseelands werden.

Ardern hat schon als Teenager Werbematerial für die Sozialdemokraten verteilt. Nun verdankt sie einen Teil ihres Erfolgs ausgerechnet einem Ultrakonservativen. Kurz nachdem die Frau im August den mitten im Wahlkampf gekippten, farblosen Oppositionschef Andrew Little abgelöst hatte, stellte sie sich einem Radiointerview. Und wurde prompt vom rechtspopulistischen Moderator mit der Frage des Entscheids zwischen einer politischen Karriere und Kindern konfrontiert. Ihre souveräne Antwort löste einen Sturm der Unterstützung aus. Sie habe sich als Politikerin freiwillig der Öffentlichkeit ausgesetzt, meinte sie, und sei deshalb bereit, zu antworten. Dann aber wetterte sie, es sei "völlig unannehmbar, dass Frauen im Jahr 2017 am Arbeitsplatz auf eine solche Frage antworten sollen".

Lippenstift an einem Schwein

Die Debatte machte weltweit Schlagzeilen. Doch es blieb nicht dabei. Der Chef der Kleinpartei Opportunities, Gareth Morgan, kommentierte, Ardern müsse beweisen, dass sie mehr sei als "Lippenstift an einem Schwein" – eine uncharmante Art, den ohnehin unfreundlichen Vorwurf zu formulieren, sie sei Aufputz für Labour.

Solche Vorfälle scheinen ihre Position nur zu stärken. Labour hatte bis vor kurzem gegen die seit acht Jahren regierende konservative National Party keine Chance. Nun liegen die Parteien in Umfragen etwa gleichauf. Ein Albtraum für Arderns Gegner bei den machtverwöhnten Konservativen.

Sie greifen an: Die politische Beraterin von Ex-Regierungschefin Helen Clark habe "nie einen richtigen Job gehabt und ist nicht fit", das Amt zu übernehmen, so Kommentator Richard Prebble. Doch das Argument verliert bei praktisch jedem öffentlichen Auftritt an Kraft. In TV-Duellen stach sie den Charisma-armen Premier Bill English aus. Ardern ist nicht nur sehr gut über aktuelle Themen informiert, sie nimmt auch Stellung. So sprach sie sich etwa für die Nutzung von Cannabis zu medizinischen Zwecken aus.

Dass English überhaupt um seinen Job fürchten muss, verblüfft Kommentatoren. Sieht man sich die Zahlen an, geht es Neuseeland wirtschaftlich so gut wie schon lange nicht mehr. Das BIP wuchs zuletzt um vier Prozent, die Arbeitslosenrate ist unter fünf Prozent gefallen, der Haushalt ist im schwarzen Bereich. Aber auch in Neuseeland wächst der Graben zwischen Arm und Reich. Karitative Organisationen melden einen Anstieg von Working Poor, die auf Unterstützung angewiesen sind. Ein chronischer Mangel an Wohnraum hat die Preise seit 2013 um über 40 Prozent ansteigen lassen. Laut Economist gehören die Städte Auckland und Wellington zu den teuersten der Welt.

Ein Grund für die Nachfrage ist die Ankunft von Neuzuwanderern. Innerhalb eines Jahres erhielten 72.400 Menschen einen Wohnsitz in Neuseeland. Ardern will diese Zahl um 30.000 reduzieren. Ardern will sich zudem stärker um die Umwelt kümmern: Kritiker bezeichnen das Land heute als eine einzige große Kuhweide, die intensive Nutzung schade der Natur. Böse Zungen nennen die Insel, die sich als Naturparadies vermarktet, ein grünes Gülleloch. (Urs Wälterlin, 21.9.2017)