Seit Anfang November ist die Seite stopptdierechten offline. Sieben Jahre war sie eine wichtige Plattform, auf der rechtsextreme Umtriebe in Österreich, aber auch von anderen Staaten Europas, dokumentiert wurden. Viele der gerade jetzt wieder in fast allen Medien zitierten Verbindungen der FPÖ ins rechte Eck wurden hier erstmals dokumentiert. Parlamentarische Anfragen, Debatten und auch personelle Konsequenzen in der Politik fanden auf der Seite ihren Ausgangspunkt. Finanziert wurde die Seite von den Grünen. Ihr Gründer und Betreiber Karl Öllinger würde weitermachen, wenn sich Mitstreiter finden. Im Interview mit dem STANDARD erzählt er, mit wem er reden will und wie es ihm mit seinen ehemaligen Mitstreitern bei den Grünen und der Liste Pilz geht.

STANDARD: Seit Anfang November ist Ihre Seite offline. Wie viele Beiträge sind seit der Gründung 2009 online gegangen und wie soll es nun weitergehen?

Öllinger: Es sind über 4.000 Artikel, plus Foto- und Videomaterial. Es gibt drei Varianten: Ein internes Archiv für einen eingeschränkten Nutzerkreis, der sich anmelden und zahlen muss, ein öffentliches Archiv oder der redaktionelle Betrieb wie bisher. Das interne Archiv wäre die günstigste, aber auch am wenigstens effiziente Variante. Das externe Archiv wäre eine Notlösung mit dem Risiko, dass jederzeit Rechtsextreme alte Geschichten klagen können, denn es ändert sich ja auch die Gesetzeslage, Fälle verjähren oder Personen, die keine Funktionäre mehr sind und daher keine Personen des öffentlichen Lebens, kommen und wollen, dass der Eintrag über sie gelöscht wird. Das alles muss auch betreut werden.

"Ich will es auf eine breitere Basis stellen, wir müssen dem erstarkenden Rechtsextremismus in Österreich etwas entgegensetzen. Wir wollen Leute von der Liste Pilz ins Boot holen, Leute bzw. Organisationsteile der SPÖ und andere."

STANDARD: Sind derzeit Klagen anhängig?

Öllinger: Ja, es gibt ein Verfahren gegen einen deutschen Geschäftsmann, der in einer Wehrsportgruppe war. Er kam vor einigen Jahren durch andere Geschichten in die deutschen Medien und wir hatten unser Wissen über ihn auf unserer Seite dokumentiert. Der Mann klagte daraufhin alle Medien, auch die großen. Wir konnten aber sogar mit einem von ihm unterschriebenen Dokument belegen, dass er bei dieser Wehrsportgruppe war. Sein Anwalt streitet die Echtheit ab. Das ist jedenfalls unsere letzte anhängige Klage. Wir haben in den ganzen Jahren nur zwei oder drei Prozesse verloren und da ging es nur um Bildrechte.

STANDARD: Welcher ist der bekannteste Fall, den Sie gewonnen haben?

Öllinger: Es gab eine Bürgerinitiative in Wien, die gegen den Bau einer Moschee mobilisiert hatte. Die haben im FPÖ-Umfeld agiert, und zwar verbal so aggressiv, dass ich davor warnte, dass so etwas schnell in tatsächliche Gewalt umschlagen könnte. Dann wurde kurz nach einer Demo gleich in der Nähe bei einem Wohnheim für Flüchtlinge ein Brand gelegt. Die Initiative hat uns geklagt, weil wir ihnen die Vorbereitung für ein Klima der Gewalt vorgeworfen hatten. Den Prozess haben wir gewonnen.

STANDARD: Wie wurde die Seite finanziert?

Öllinger: Lange hat es der Grüne Parlamentsklub alleine finanziert, dann der Klub und die Grüne Bildungswerkstatt. Denn wir wollten das Wissen, das wir gesammelt haben, auch für Bildungsarbeit für unsere Funktionäre und Mandatare aufarbeiten.

STANDARD: Gab es denn auch "schwierige" Fälle in Ihrer eigenen Partei?

Öllinger: Es gab da sehr engagierte Gruppen, aber auch welche, die kaum ein Wissen hatten, die gewisse Codes oder Begrifflichkeiten aus dem rechtsextremen Bereich nicht einmal erkannten. Und dann gab es vor allem am Land oft die Situation, dass man als Grüner jahrelang nur geprügelt wurde und wenn es dann einer in einen Gemeinderat geschafft hatte, fühlte er sich geehrt und betrachtete dann auch Kollegen von der FPÖ – und es gibt da ja auch ganz normale – als Mitstreiter. Da kam es auch vor, dass Leute von uns in kleinen Gemeinden eine Beißhemmung gegen rabiate FPÖler hatten.

STANDARD: Die Gründung von stopptdierechten.at passierte quasi als Reaktion auf die verbal extrem aggressive, anonym betriebene Neonazi-Plattform Alpen-Donau.Info.

Öllinger: Ja, 2009 ist das Nazi-Portal Alpen-Donau.Info samt angeschlossenem Forum auf den Plan getreten. Ich war sehr bald überzeugt davon, es müssen Informationen aus dem Parlament aus den FPÖ-Büros direkt auf diese Seiten geflossen sein. Dann wurde ein Faksimile eines internen Briefes von einem FPÖ-Abgeordneten auf der Seite veröffentlicht – um diesem mit antisemitischem Unterton vorzuwerfen, er "packelt mit den Juden". Man muss es ihm direkt vom Schreibtisch gefladert haben. Der Fehler von ihnen war: Im veröffentlichten Faksimile war unten noch die Faxkennung zu sehen – und die war vom Privatfax eines anderen ehemaligen FPÖ-Politikers, zu dessen Wohnung auch aktive FPÖler Zugang hatten. Damals zog ich den Polizisten und Datenforensiker Uwe Sailer zu Rate.

STANDARD: Was die FPÖ den größten Spitzelskandal der Zweiten Republik nannte.

Öllinger: Noch bevor die Geschichte in einer Zeitung stand, trat Strache ans Rednerpult und sprach von einer Verschwörung von mir, der Polizei, ja dem ganzen Innenministerium – und am Abend desselben Tages gab es auch schon einen Untersuchungsausschuss zur Causa. Ein Schlüsselerlebnis für mich.

STANDARD: Sie wurden in dem Untersuchungsausschuss aber rein gewaschen.

Öllinger: Ja, dafür sind da andere Dinge heraus gekommen, die für die FPÖ nicht gerade günstig waren. Damals haben wir jedenfalls beschlossen, wir können nicht mehr so weiterarbeiten, wir müssen das auf eine systematische Grundlage stellen. Erstens um zu zeigen, dass es hier Verbindungen aus den FPÖ-Büros gibt. Zweitens sind ja auf Seiten wie Alpen-Donau.Info Menschen ganz konkret bedroht worden, Jüdinnen und Juden, Politikerinnen wie die verstorbene Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, um nur einige zu nennen. Deswegen stand diese Seite am Anfang im Zentrum. Drittens gab es schon damals einige antifaschistische Gruppen, die gute Geschichten online gestellt haben, wir wollten die im Netz verknüpfen. Wir machten dann eine umfangreiche parlamentarische Anfrage zu Alpen-Donau.Info und die Anfragebeantwortung wurde die erste im Parlament, in der weite Teile geschwärzt wurden.

STANDARD: Die erste überhaupt?

Öllinger: Ja, weil wir Namen genannt haben. Man warf uns vor, dass wir mit noch nicht erwiesenen Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen, während die Ermittlungen noch Zeit brauchen. Aber sie hatten da schon zwei Jahre ermittelt und die Seite war ja die ganze Zeit – mit allen Drohungen und NS-Wiederbetätigung, mit Adressen und Fotos von Bedrohten – weiter online, mit dem Argument, sie liege auf einem US-amerikanischen Server. Als es dann endlich zu Anzeigen und Verhaftungen kam, waren das fast alles Namen, die wir schon von Anfang an genannt hatten. So auch Gottfried Küssel. Nur einen Angeklagten hatten wir nicht auf dem Radar gehabt.


Öllinger über jüngste Angriffe auf seine Seite: "Wir sind auch mehrmals gehackt worden, aber die Attacke von Daily Stormer war so massiv, das waren Millionenzugriffe. Die Nazis gaben dafür einen Haufen Geld aus."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Und nach Alpen-Donau.Info?

Öllinger: Unsere Arbeit hat dazu geführt, dass mehrere Seiten, auch auf Facebook, schließen mussten. Und die Verbindungen auch von FPÖ-Unterorganisationen, wie dem RFJ und BFJ wurden manifest, wir wurden zur Anlaufstelle für Informationen. Zuletzt war da die US-Seite Daily Stormer, eine der größten Nazi-Plattformen der Welt, die über eine österreichische Domain lief und schon eine Zulassung hatte. Die Zulassungsstelle sagte mir, da könne man nichts machen. Ich hab das angezeigt und innerhalb von zwei Stunden war es vorbei. Die Seite ist vorher von mehreren Ländern abgelehnt worden. Jetzt soll sie im Darknet abrufbar sein. Tage danach erlitten wir eine unglaubliche Attacke.

STANDARD: Sie wurden gehackt?

Öllinger: Es war eine DDoS Attacke, unser Provider, ein großer in Österreich, ist fast zusammengebrochen. Wir sind auch mehrmals gehackt worden, aber die Attacke von Daily Stormer war so massiv, das waren Millionenzugriffe. Die Nazis gaben dafür einen Haufen Geld aus. Selbst muss man dann auch eine Firma beauftragen, die diese Angriffe abwehrt. Das kostet.

STANDARD: Wann entscheidet sich die Zukunft von stoppdierechten.at?

Öllinger: Die Grünen sind in einer sehr misslichen Lage, auch finanziell.

STANDARD: Die Liste Pilz hätte ja jetzt Geld.

Öllinger: Ich will es auf eine breitere Basis stellen, wir müssen dem erstarkenden Rechtsextremismus in Österreich etwas entgegensetzen. Wir wollen Leute von der Liste Pilz ins Boot holen, Leute bzw. Organisationsteile der SPÖ und andere.

STANDARD: Gibt es schon Gespräche?

Öllinger: Ja, und wir müssen in der nächsten Woche auch Nägel mit Köpfen machen.

STANDARD: Wird auch mit den Neos geredet?

Öllinger: Ich möchte das nicht, ehrlich gesagt. Ich will einzelnen Leuten bei den Neos das nicht absprechen wollen, aber die Neos als ganze Partei schätze ich als Mehrheitsbeschaffer für Schwarzblau ein.

Öllinger über Bedingungen für künftige Mitstreiter: "Beim Thema Rechtsextremismus gab es keine Rücksicht auf irgendeine Parteizugehörigkeit."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Sie wollen ihnen kein antifaschistisches Feigenblatt verschaffen?

Öllinger: Ja, das ist mein Problem dabei. Ich glaube, Leute würden es nicht verstehen, wenn die eine antifaschistische Plattform unterstützen und auf der anderen Seite mit Mehrheitsbeschlüssen die Arbeiterkammer attackieren.

STANDARD: Aber bei der SPÖ müssten Sie doch jetzt offene Türen einlaufen.

Öllinger: Ja, eh, aber es muss noch viel besprochen werden: Durch meine Person hatten wir völlige redaktionelle Freiheit. Beim Thema Rechtsextremismus gab es keine Rücksicht auf irgendeine Parteizugehörigkeit. Das heißt, wenn es einen Anflug von Rechtsextremismus bei einem Grünen gibt, dann wird das auch geschrieben. In Wiener Neustadt stellten sich etwa einmal Grüne mit der so genannten bunten Koalition mit rechten Listen für ein Foto auf. Wir haben diese Listen trotzdem vorgeführt.

STANDARD: Und das müssten die SPÖ und die Liste Pilz auch aushalten?

Öllinger: Natürlich.

STANDARD: Weil Sie schon die Liste Pilz erwähnten, wie geht es Ihnen als ehemaliger Mitstreiter und Freund von Peter Pilz und seinem Umgang mit Vorwürfen von Frauen?

Öllinger: Sehr schlecht. Wie er sich gerechtfertigt hat, wie er an einem Tag sein ganzes Lebenswerk zerstört hat, seine unbestreitbaren Verdienste, wie er sich dann zurückzog und dann doch nicht, das ist alles furchtbar. Aber es gibt einen anderen Aspekt, da verstehe ich ihn. Da geht es um einzelne Medien. Es gab ein Zeitungscover mit fünf Köpfen, in der Mitte Pilz und neben ihm Weinstein. Das finde ich, geht nicht. Ein Vergewaltiger mit jemandem der Scheiße gebaut hat, also sexuelle Belästigung betrieben hat, auf die gleiche Ebene zu stellen, ist nicht angemessen. Aber damit will ich überhaupt nicht verharmlosen, was er gemacht hat.

STANDARD: Sie gehen nicht von einer groß angelegten Intrige gegen Peter Pilz aus.

Öllinger: Nein. Ich hab mich genau erkundigt, und wie die Grünen mit der Geschichte mit seiner Mitarbeiterin umgegangen sind, war sehr okay. Auch die meisten Medien waren sehr okay. Viele haben nichts geschrieben, weil sie wussten, dass diese Frau keine Öffentlichkeit will. Ich kenne sie und sie ist eine absolut integere Person. Sie wollte nur eine Entschuldigung. Die Grünen haben Ihren Teil der Vereinbarung als Arbeitgeber eingehalten.

"Das muss man sich vorstellen: Unsere Leute sind geschult worden, wie man Koalitionsverhandlungen führt. Es ist einfach tragisch."
Foto: Der Standard/Cremer

STANDARD: Es ist laut Statistik sehr unwahrscheinlich, dass eine Partei wieder ins Parlament kommt, wenn sie einmal rausgeflogen ist. Selbst sind Sie ja in Politpension, glauben Sie, dass das die Grünen je wieder schaffen?

Öllinger: Ich glaub schon, dass sie die Chance haben, aber sie müssen sich runderneuern. Sie müssen Ziele formulieren, aber sie hauen sich derzeit gegenseitig das Hackel ins Kreuz. Viele von denen, die jetzt noch in Funktionen sitzen, müssen weichen, eine geordnete Übergabe machen.

STANDARD. Wenn alle weggehen, die noch da sind und alle die rausgeflogen sind, nicht zurückwollen, wer bleibt übrig?

Öllinger: Das werfe ich den Grünen vor, dass sie nie eine Kultur entwickelt haben, wie man mit Leuten, die ausgeschieden sind, oder mit Älteren, umgeht. Für mich waren die Kardinalfehler im letzten Jahr, dass man zuerst die Jungen abgefotzt und rausgehaut hat, übrigens innerhalb von zehn Jahren das zweite Mal. Das war die Jugend die für Van der Bellen gerannt ist. Der zweite war dann, dass man die Älteren durch Nichtwahl abgefotzt hat – nicht nur den Peter Pilz. Bei mir war schon vorher klar, dass ich nicht mehr antrete. Aber ich hab von vielen Wählern meines Alters gehört: Ich wähl euch nimmer!

STANDARD: Mediationen oder ähnliches gab es in der Partei im letzten Jahr keine?

Öllinger: Früher war das eine Qualität, die uns ausgezeichnet hat: dass man Konfliktpsychologen in eine Klubklausur reingeholt hat. Da wurden Konflikte aufgearbeitet. Wir hatten so etwas auch 2003, als die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP die Partei inhaltlich spalteten. Das hat wirklich viel gebracht. Aber das ist zuletzt nicht passiert, stattdessen sind Verhandlungstrainings angeboten worden. Das muss man sich vorstellen: Unsere Leute sind geschult worden, wie man Koalitionsverhandlungen führt. Es ist einfach tragisch. (Colette M. Schmidt, 19.11.2017)