Freude an expressiver Farbgebung: In der Hollandstraße machen drei Italiener frische Pasta, wie sie ihnen schmeckt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

So Fàre – der Name des während des Lockdowns eröffneten Restaurants in der Leopoldstadt lässt sich auf gut Deutsch so übersetzen, wie der Titel des Artikels heißt. Und wer hier die Strozzapreti (vulgo Pfaffenwürger) mit Pesto alla Genovese kostet, dem wird es schwerfallen, der Lokalname gewordenen Selbsteinschätzung von Betreiber Marco Ramassotto aus Turin zu widersprechen: So himmelschreiend köstlich kriegen sie den Basilikumgatsch auch am Ort seiner Erschaffung, in Ligurien, kaum je hin. (Alle anderen Saucen sind hausgemacht, im konkreten Fall importiert er das Pesto aber auch genau von dort.)

Dass die Nudeln im Vergleich zu dem, was unsereins Pasta-secca-Vernichter gewohnt sind, nur moderat bissfest rüberkommen, kann man als Herausforderung für den nächsten Italianità-Vertiefungskurs verstehen – oder sich bloß das Pesto holen und die Pasta wie gewohnt aus Industrieware garen. Man muss nämlich kein Italiener sein, um die Segnungen der industriellen Revolution ganz konkret am Thema Pasta fest (sic!) zu machen.

Aber das ist ein anderes Thema. Im So Fàre zeigen Marco, seine Köche Debora Velli aus Rom und Manuel Tocci aus Bologna sowie Kellnerin Federica Scasso aus Alessandria, was wahre Pastaliebe ist. Die geht nämlich nicht den einfachsten Weg, sondern jenen der gnadenlos frischen, täglich mehrmals aus der Maschine gedrehten Formen, die sich dem Teig und der Teighaftigkeit seiner Launen mit Freude ergeben.

Al dente ist da relativ – wer frische Pasta dieser Art liebt, wird sich wohl an der Elastizität, dem samtenem Mundgefühl und generellen Flutsch dieser Pasta mit einer knappen Minute Garzeit ergötzen. Aber das ist nur eine Vermutung. Zumindest die Eleganz der flach gewalzten Tagliolini, Tagliatelle und Pappardelle ist auch dem schrumpfbalkanischen Alpingaumen austriakischer Prägung eingängig – und zwar jenseits des Verlangens nach Bissfestigkeit und Hochsaugfreude.

Das Lokal spricht mit offener Küche, Plastiktischen und -stühlen in zwei Reihen und Bestellung an der Theke ganz eindeutig die Sprache einer aufrecht proletarischen Kantine. Dementsprechend schmal ist auch das Speisenangebot: Frische Pasta in mehreren Variationen, dazu eine Batterie hausgemachter, im Laufe der Jahreszeiten wechselnder Saucen, basta. Solch Mut zur Lücke fußt auf echter Qualität. Die Ravioli mit Ricotta-Zitronen-Fülle etwa bersten mit cremiger Frische am Gaumen, Walnuss-Pesto steuert mit adstringierender Strenge ganz köstlich dagegen.

Frische Pasta in mehreren Variationen ist im So Fàre erhältlich.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Süße rote Frucht

Spaghettoni al Pomodoro betören mit atemberaubend purer, fruchtsüßer Aromatik, die laut Patron Marco der Passata aus "Pera d’Abruzzo" geschuldet ist, einer Tomate, die im Gegensatz zur San Marzano auf tiefgründige Süße und fruchtiges Schillern hin gezüchtet wird. Ragù alla Bolognese gibt es natürlich auch, mit derselben süßen Passata (und deshalb ganz ohne Milch) geschmort, ein puristisches Manifest des Wohlgeschmacks.

Mittwochs gibt es wechselnde Lasagne, zum Wochenende hin eine Pasta ripiena mit Fleisch oder Fisch – zuletzt sogar Tortellini Bolognesi, in Wien in dieser handgemachten Form definitiv einzigartig. Die Preise sind, wir sind ja nicht in Italien, nicht ganz so proletarisch wie der Habitus: Pasta al Pomodoro samt Parmesan (wird extra verrechnet, ist aber auch von Vacche Rosse, den Parmenser DOC-Kühen mit rotem Fell) geht noch um beinahe zivile neun Euro über die SB-Theke, für Ravioli samt Pesto werden dafür schon 13 Euro fällig – noch ohne Käse.

Biowein aus Italien gibt’s ab 27 Euro die Flasche, den Single-Origin-Espresso aus Wien sollte man als Italien-Fan aber nur ordern, wenn man einen ähnlich offenen – und säureverträglichen – Hang zum Abenteuer in sich trägt wie Chef Marco. (Severin Corti RONDO, 14.5.2021)

Die aktuellsten Kritiken von Severin Corti