Rampen, die sich um Ranken ranken: Bisher existiert von den Plänen der S+B Gruppe nur ein Video, dem diese Visualisierung entnommen ist. In zehn Jahren könnte das alles aber Wirklichkeit sein.

Visualisierung: Dietrich Untertrifaller Architekten

Bis vor die Wohnungstür im siebenten Stock lässt es sich kommod mit dem E-Scooter fahren; über Rampen, die sich wie Serpentinen vorbei an einer Café-Bäckerei, einer Fahrradreparaturwerkstatt und einem kleinen Park im dritten Stock nach oben schlängeln. Im kleinen On-demand-Kinosaal in der vierten Etage läuft gerade Live-Fußball, im Anschluss wird Zurück in die Zukunft III gezeigt, weil man sich das selbst so ausgesucht hat. Vor dem Schlafengehen noch schnell ein kleiner Spaziergang zum tosenden Wasserfall, vielleicht gefolgt von einem Drink in der Rooftop-Bar.

Stadt von morgen ...

Klingt ein bisschen sehr nach Utopia; aber Wolfdieter Jarisch ist fest entschlossen, genau das am Wiener Rennweg in den nächsten zehn Jahren zu realisieren: die Stadt von morgen, mit allen nur erdenklichen Nutzungen direkt vor der Haustür. Das dafür vorgesehene Areal direkt gegenüber vom T-Center hat sein Unternehmen S+B Gruppe bereits im Vorjahr für rund 30 Millionen Euro erworben.

Seither hat Jarisch, Vorstand und Gesellschafter der S+B Gruppe, gemeinsam mit Dietrich Untertrifaller Architekten und der Kommunikationsagentur art:phalanx an einem Konzept für einen Stadtteil gearbeitet, für den die oft schon sehr strapazierte Bezeichnung "Stadt der Zukunft" möglicherweise wirklich einmal passen würde.

... als "produktive Stadt"

Das Areal zwischen Rennweg (Hausnummern 110 bis 120) und den Bahngleisen entlang der Leberstraße hat derzeit noch eine reine Gewerbewidmung, hier befand sich bis vor kurzem ein Autohändler. Auf der Fläche kann sich die Stadt Wien allerdings eine neue Widmung vorstellen – im Rahmen des Konzepts "Produktive Stadt". Dabei wäre eine Umwidmung samt höherer Bebauung für den Fall möglich, dass ein Entwickler mit einem ansprechenden Konzept für eine "kreative Mischnutzung" daherkommt. Wichtig ist der Stadt dabei, dass der Anteil des Gewerbes nicht zu kurz kommt. Nachverdichtung und Überbauung sind weitere Kriterien. Deshalb ist in Jarischs Plänen auch eine Überplattung der S-Bahn-Gleise vorgesehen.

Das Nutzungskonzept sieht vorerst einmal 30 Prozent an "normaler" gewerblicher Nutzung vor, etwa in Form von Büros oder einem Rechenzentrum. Dessen Abwärme könnte den Stadtteil – Arbeitstitel: "LebGrün3" – übrigens auch gleich beheizen. Überhaupt soll es ein Plusenergie-Stadtteil werden, "wo vor Ort mehr Energie erzeugt als verbraucht und beispielsweise auch der Abfall wiederverwertet wird". Der eingangs erwähnte Wasserfall soll einerseits für ein behagliches Mikroklima sorgen, andererseits dafür, dass der Lärm von den Straßen übertönt, "neutralisiert" wird.

Zwei Hochhäuser mit 70 Metern

15 Prozent der geplanten rund 140.000 Quadratmeter an Bruttogeschoßflächen wären dezidiert als "Produktive Stadt"-Nutzung vorgesehen, mit Produktion, Kleingewerbe und Ähnlichem. 35 Prozent soll der Wohnnutzung vorbehalten sein, die restlichen 20 Prozent entfallen u. a. auf Räume für Ärzte, Ausstellungen, Kultur sowie einen Kindererlebnisbereich (Arbeitstitel: "Klimaaah"). Verteilt werden sollen die Nutzungen "vertikal", in neun Baukörpern, davon zwei als Hochhäuser mit Höhen bis 70 Meter ausgeführt.

Über die eingangs bereits erwähnten Rampen werden die Bauteile auch in luftiger Höhe verbunden. Für Scooter- und Radfahrer zweifellos praktisch, aber ob sie Fußgängerinnen und Fußgänger auch benutzen werden? Ja, ist sich Jarisch sicher. Denn in der sogenannten "Stadt der kurzen Wege" sei letztlich nur eines entscheidend: "Es kommt einfach nur darauf an, ob einem der Weg kurz vorkommt."

Sozialleistungen von Studierenden

Ein Teil der Wohnungen soll für "Best Ager", also Seniorinnen und Senioren, zur Verfügung stehen. Andererseits soll es auch für Studierende sehr günstigen Wohnraum geben – jedenfalls viel günstiger als die derzeit in Wien (auch von der S+B Gruppe) entstehenden Studierendenwohnhäuser, denn die Studentinnen und Studenten sollen im Gegenzug für die billige Bleibe diverse Sozialleistungen erbringen, so ist der Plan: "Einkaufen gehen für ältere Bewohner, Fahrtendienste, Schneeräumen", solche Sachen fallen Jarisch dabei ein.

Kosten dürfte das alles etwa eine Milliarde Euro, schätzt Jarisch. Aber kann das tatsächlich alles so gebaut werden, wie es ihm vorschwebt? Nun, das ist alles andere als sicher. Versuchen will er es aber. Der Wiener Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) wurde das Konzept bereits präsentiert. Sie soll von den Ideen recht angetan gewesen sein. Bis zur möglichen Widmung ist es aber wohl noch ein weiter Weg. Als Umsetzungszeitraum denkt Jarisch aber ohnehin an zehn Jahre. (Martin Putschögl, 11.10.2021)