Max Stiegl hat mit Matthias Birnbach ein junges Talent auf den Knappenhof in Reichenau gelockt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Rehrücken kommt mit Champignon-Duxelles und Butter-Blätterteig umhüllt als Filet Wellington zu Tisch. Rote Rübe wird dicht in Raxer Gebirgsheu gepackt, um sich im Rohr mit den Aromen der unmittelbaren Umgebung vollzusaugen, bevor sie mit köstlicher Kren-Mousseline aufgetragen wird.

Das kleine Jägerrecht, bestehend aus Leber, Herz, Niere und (nicht ganz klassisch, aber köstlich) aus Schulter vom Frischling, interpretiert Matthias Birnbach als Financière – wie das (im französischen Original vom Kalb und seinen Innereien zubereitete) "Ragout fin" der Haute Cuisine.

Der Wildfang-Wolfsbarsch aus Brač, wo Knappenhof-Betreiberin Helena Ramsbacher mit dem Lemongarden noch ein Hotel hat und mit lokalen Fischern kooperiert, wird in Nussbutter ganz sanft glasig gezogen, bevor er in der heißen Pfanne an der Haut knusprig werden darf. Klassischer französisch geht es kaum. Dabei ist der Knappenhof, hoch über Reichenau, doch so altösterreichisch wie nur?

Das zur Jahrhundertwende im alpin verspielten Semmeringstil erbaute Haus mag nach opulenter Renovierung und Aufwertung (der Pool ist noch in Planung, Anm.) luxuriös zwischen Nostalgie und zeitgenössischer Kunst spielende Atmosphäre verströmen – bei der Küche aber ist jetzt große, hierorts oft verschüttgegangene Klassik das Thema. Und da kommt man um französische Einflüsse nicht herum, nicht einmal, wenn man wollte.

Es ist also eine ziemlich bemerkenswerte, weil für Österreich so ungewöhnliche Küchenlinie, die Max Stiegl als Restaurantbetreiber und sein 24 Jahre junger Küchenchef Matthias Birnbach da vorlegen. "Der Knappenhof steht für Sommerfrische", sagt Max Stiegl, "und die ist nun einmal eine Idee der ausgehenden Kaiserzeit."

Beim Recherchieren sei er sehr schnell draufgekommen, dass die aktuell grassierende Dauerverwechslung von Regionalität und Nationalität in der Küche damals vermieden wurde. "In alten Speisekarten dieser Kategorie waren Seezunge und Hummer, Austern und Steinbutt gang und gäbe."

Das K.-u.-k-Bürgertum war weltläufig und verlangte dies auch von seinen Köchinnen und Köchen. Im Purbacher Stammbetrieb serviert Stiegl nur Wildfisch aus dem Neusiedler See, angesichts des Knappenhof-Partnerhotels auf Brač erscheint es nur konsequent, am Berg auch auf Wildfisch zu setzen – nur halt, wie zu Kaisers Zeiten, aus der Adria.

Regional statt national

Der Küche tut Stringenz nur gut.
Foto: Gerhard Wasserbauer

"In Wahrheit ist die Überwindung von nationalen Grenzen geradezu ein Merkmal von regionalem Essen", sagt Stiegl mit Verweis auf ultraösterreichische Klassiker wie Gulasch und Szegediner, Apfelstrudel oder Schnitzel. Der Küche tut derlei Stringenz nur gut. Stiegl hat, angesichts der Lage zwischen Berg, Wald und Wiese, "das Wild und sein Futter" als Leitmotiv vorgegeben, da kommt es nicht schlecht, wenn auch die Fische aus freier Wildbahn statt aus dem Plastiktank kommen.

Crudo von Wildgarnelen betört mit seidig schmelziger Konsistenz und, dank marinierten Rhabarbers, mit knackig säuerlichen Kontrasten. Entenherzen werden auf Kieferzweigen gegrillt und mit einem Schüppel frischer Kräuter, aber auch mit fermentiertem Knoblauch, Erdnüssen und allerhand wilden Gewürzen serviert – richtig gut.

Schwammerlgulasch mit einer Vielzahl verschiedener Pilze ist meisterlich in die Hochküche transferierte Beislkost. Besonderes Lob auch für die Bittersalate, abermals mit mariniertem Rhabarber und köstlichem Molkedressing – so wird Salat zur begehrenswerten Vorspeise.

Hinterher tut sich die Patisserie mit aufwendig dekorierten Desserts viel an – an der Auswahl von Kaes.at-Capo Stephan Gruber sollte man aber dennoch nicht vorbei: Besser gereiften, cremigen Rohmilchkäse wird man im Land kaum finden. (Severin Corti, RONDO, 22.4.2022)

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