Mischung aus Kraft und Fragilität: Akemi Takeya

Foto: Yako One

Erstens ist Akemi Takeya als Gründerin des "Lemonism" wahrscheinlich die weltweit einzige Vertreterin ihrer Kunstrichtung. Zweitens versteht sich dieser Zitronismus als Aktion gegen jegliche Kunstrichtung. Und drittens erinnert die aus Japan stammende Wiener Tänzerin, Künstlerin und Sängerin daran, dass Ismen-Erfindungen heute nach langer Abwesenheit wieder Spaß machen könnten.

Bei Impulstanz zeigt Takeya (60) gerade die Uraufführung ihres neuen Stücks Schrei X8 im Odeon. Mit dabei sind eine meterhohe Zitronenentsaftungsmaschine, der Tänzer Evandro Predroni, der Schlagzeuger Didi Kern und ein Flügel, der vielleicht ein bisserl säuerlich wirkt, weil seine Tasten die ganze Zeit über unberührt bleiben.

Der Titel ist dem Album Schrei X (1996) der US-amerikanischen Stimmkunstgigantin Diamanda Galás entlehnt, der Takeya während der Performance auch kurz ihre Gesangsreverenz erweist. Dabei wird deutlich, wie gut Galás (66), die ihre Karrierehöhepunkte in den 80er- und 90er-Jahren feierte, wieder in die Zeit passt. Man darf auf ein überfälliges Revival hoffen. Sollte das in Erfüllung gehen, wird Takeya es vorhergesehen haben.

Tiefe Verneigung

Ebenso verneigt sie sich unter anderen vor Yoko Ono, Joseph Beuys, Marina Abramović, Andy Warhol, Nina Simone und Maria Callas, die ihr allesamt künstlerische Referenzen geliefert haben. Das hat seine Logik, denn in Schrei X8 lässt Akemi Takeya ihre Lebensgeschichte tanzen. Mit eigenem Gesang hält sie sich, die ursprünglich Sängerin werden wollte, zurück.

In einer für sie charakteristischen Mischung aus Kraft und Fragilität weist Takeya nach, wie stark unser aller Leben von prägenden Einflüssen bestimmt wird und wie weit ein Charakter durch deren Moderation geformt ist. Evandro Pedroni tritt im japanisch wirkenden Kostüm eines, sagen wir, Zitronengeists auf: Der ist ein Guter, er fordert heraus, schützt aber auch. Textpassagen, Pixelbilder und Scheinwerfer liefern Tänze ab, eine kurze Geschichte wird erzählt: über den Anfang der Welt, als es nur Luft und Vögel gab.

Kulturschock in Wien

Takeya übersiedelte 1991 nach Wien und hatte gleich einen Kulturschock. Insofern kann das Gelb im Zitronismus als Hinweis darauf gelten, dass Europäer den Indigenen aus dem asiatischen Raum einst die Hautfarbe Gelb zuordneten. Die Zitronenentsaftungsmaschine unterstützt dieses Bild. Deren Inhalt wird gegen Ende von Schrei X8 durch ein Kleid aus durchsichtigen Schläuchen gepumpt, in das sich die Performerin gezwängt hat.

Seit 2015 erfährt das Impulstanz-Publikum regelmäßig über die Reflexionsebenen des Zitronismus, und es hat gelernt, wie erfrischend es sein kann, sich an Historischem abzuarbeiten. Als Metapher für Kunst liefert die Zitrone ein treffendes Spektrum an Bedeutungen: die Signalfarbe, das gesunde Vitamin, aber eben auch eine Säure. (Helmut Ploebst, 24.7.2022)