"Femenine" ist ein lebendig getanztes Experiment vor einem Kaisermühlener Gemeindebau. Das Stück von Choreografin Eva-Maria Schaller verbreitet Aufbruchstimmung.
Foto: Mavric

Julius Eastman (1940–1990) fand ein tragisches Ende. Allein und mittellos starb der afroamerikanische homosexuelle Musiker und Komponist mit nur 49 Jahren in Buffalo. Davor standen kindliche Hochbegabung, glänzendes Pianistenstudium, eine vielversprechende Karriere. Trotzdem folgten der Abstieg in Drogensucht, Obdachlosigkeit und Vergessenwerden.

Davon, wie wertvoll Eastmans Erbe ist, kann sich das Publikum derzeit in einer Aufführungsserie des jüngsten Stücks Femenine der Choreografin Eva-Maria Schaller bei Impulstanz überzeugen. Eastmans gleichnamige Minimal-Music-Komposition aus dem Jahr 1974 spielt das Studio Dan unter Daniel Riegler.

Die Musizierenden sowie ein Tänzer und vier Tänzerinnen haben die Uraufführung dieses Werks am Montag unter freiem Himmel auf der Wiese vor einem Kaisermühlener Gemeindebau gewagt. Es ist ein lebendig getanztes Experiment geworden, das zwar zu komplex und sensibel für den öffentlichen Raum ist, dafür aber erfüllt von einer Aufbruchstimmung, die der schwer lastenden Gegenwart entschieden widerspricht.

Expressionistischer Nachwuchstanz

Ganz anders die Stimmung einer Arbeit, die Impulstanz im Rahmen seiner 8:tension-Reihe für Nachwuchstanz zeigt: Das Solo Figuring Age der Choreografin Boglárka Börcsök (in Kooperation mit dem Filmer Andreas Bolm) erinnert an drei völlig vergessene expressionistische Tänzerinnen aus Ungarn. Dieses Thema verbindet Börcsök mit Schaller, die sich ebenfalls mit der historischen Tanzmoderne beschäftigt und im Vorjahr ein Stück über die Wiener Tänzerin Hanna Berger vorgestellt hat.

Die in Berlin und Budapest lebende Ungarin Börcsök ist bei uns bekannt durch ihren Impulstanz-Auftritt in Eszter Salamons Monument 0.3: The Valeska Gert Museum von 2018 und die Online-Uraufführung ihres Films The Art of Movement 2020 im Tanzquartier Wien. In den Film hatte Börcsök die Pionierinnen des modernen ungarischen Tanzes, Éva E. Kovács, Irén Preisich und Ágnes Roboz, bereits vorgestellt.

Geisterhafter Auftritt

Für ihr Stück Figuring Age ist sie einen Schritt weitergegangen. Hier verkörpert sie die drei Tänzerinnen im Alter zwischen 90 und 101 Jahren, so wie sie waren, als Börcsök sie befragte und filmte. Dabei agiert die junge Choreografin als brillante Schauspielerin, in deren Körper sich Kovács, Preisich und Roboz abwechselnd einnisten und noch einmal aufleben.

Ein weiter Raum des Mumok gibt den perfekten Ort für diesen absichtsvoll geisterhaften Auftritt. Alles ist in White-Cube-Weiß gehalten: die Wände, die Requisiten, auch die Kleidung der Performerin, die sich in der Darstellung der greisen Körper von ihrem Publikum stützen und führen lässt.

Schaller wie auch Börcsök sind Teil einer starken Strömung im zeitgenössischen Tanz, die den Blick aufs Historische neu justiert. (Helmut Ploebst, 27.7.2022)