Ist es noch einmal gutgegangen? Bis Freitagabend sah es, allen Drohgebärden zum Trotz, eher danach aus. Zwar reagierte China nicht nur mit verbalen Drohgebärden und Symbolpolitik auf den Besuch von US-Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi in Taiwan, sondern auch mit konkreten Taten. Allerdings scheint der schlimmste Fall – ein Zusammenstoß, der dann in eine Eskalation mündet – vorerst vermieden worden zu sein. Ob das so bleiben würde, war unsicher. Immerhin halten die Manöver noch an, und ein Missgeschick ist schnell passiert. Andererseits: Alle Seiten scheinen sich der Risiken bewusst zu sein – und zumindest gerade noch ausreichend vorsichtig zu kalkulieren.

Wobei: gutgegangen? Die Folgeschäden dessen, was sich diese Woche ereignet hat, werden lang nicht behoben sein. Zurück bleibt Misstrauen. Dass Peking den Militärdialog mit Washington abbricht, macht versehentliche Zusammenstöße in Zukunft wahrscheinlicher.

Nancy Pelosis Visite in Taiwan ist kein Signal, das China in seinen Sicherheitsinteressen bedroht.
Foto: EPA/TAIWAN MIN. OF FOREIGN AFFAIRS

Misstrauen bleibt auch in Taiwan. Dessen stoische Bevölkerung ist zwar an die Dauerbedrohung durch den großen Nachbarn gewöhnt: Die Bilder von über die Insel dahinzischenden Raketen werden sich dennoch viele merken. Pekings Werben um Zuneigung auf der Insel hing schon vorher höchstens am seidenen Faden – spätestens jetzt kann China diese Bemühungen aufgeben.

Dass die Raketen in Gewässern Japans einschlugen, wird Tokio weiter zur Rüstung motivieren. Die Weltwirtschaft dürfte über das Szenario, dass Taiwan als globaler Hauptproduzent von Halbleitern in Arbeit oder Export beschränkt werden könnte, nicht jubilieren.

Misstrauen, so ehrlich muss man sein, ist wohl auch in China gestiegen. Um es klar zu sagen: Pelosi hat jedes Recht, Taiwan zu besuchen. Und die Visite ist kein Signal, das China in seinen Sicherheitsinteressen bedroht. Dass Peking das aber anders wahrnehmen und sich provoziert fühlen würde, war vor der Reise völlig klar.

In Moskau lacht man sich ins Fäustchen. Trotz aller Bekundungen über unverbrüchliche Freundschaft hatte China von direkter Unterstützung für Moskau im laufenden Ukraine-Krieg bisher abgesehen und Moskaus Bitten um Waffenlieferungen nicht erfüllt. Ob das nun auch weiter so bleibt, ist nicht sicher. Auch Nordkorea freut sich über die abgelenkte USA und plant einen Atomtest.

Eine Provokation auf die man nicht verzichten kann

Der Zeitpunkt für Pelosis Besuch war riskant. Eine Provokation ohne Wert war die Visite aber nicht. Denn umgekehrt muss man fragen: Würde sich China dauerhaft von einer Militäraktion abhalten lassen, wenn die USA ihre Partnerschaft zu Taiwan nicht öffentlich zeigen? Kaum. Immerhin betonen die Kader in Peking immer offensiver den Wunsch und auch die angebliche Unvermeidbarkeit einer baldigen "Wiedervereinigung". Eine prosperierende Demokratie mit sehr ähnlicher Geschichte vor der eigenen Haustüre ist für Chinas autoritäre Führung die schlimmste Provokation – aber eine, auf die zu verzichten weder für Taiwan selbst noch für andere demokratische Staaten akzeptabel ist.

Dass die Krise schnell abflaut, ist angesichts des chinesischen KP-Parteitags im Herbst, vor dem Präsident Xi Jinping sich keine Blöße geben darf, unwahrscheinlich. Ein Nachgeben der USA ist nicht akzeptabel. Was nun also bleibt, sind sorgfältige Politik und ein steter Balanceakt zwischen Provokation und der Abschreckung eines chinesischen Angriffs. Es ist ein Balanceakt, der gelingen muss. (Manuel Escher, 6.8.2022)