Montenegros Premier Dritan Abazović wurde per Misstrauensantrag abgesetzt.

Foto: AP / Risto Bozovic

Nach stundenlangen Debatten im Parlament wurde die montenegrinische Minderheits-Regierung unter dem grünen Premier Dritan Abazović am Freitag durch einen Misstrauensantrag gestürzt, der von der Partei von Präsident Milo Đukanović (DPS) und kleineren Parteien in der Regierungskoalition initiiert worden war. 50 von 81 Abgeordneten stimmten für die Entlassung des Kabinetts von Abazović, andere verließen vor der Abstimmung den Saal.

Verlorene Schlacht

Die Regierung von Abazović wurde erst am 28. April gewählt und war nur 113 Tage im Amt. Zuvor war eine – ebenfalls sehr wackelige Koalition – unter Zdravko Krivokapić ein bisschen länger als ein Jahr im Amt. Der Sturz der Regierung wird nun aber nicht automatisch zu vorgezogenen Neuwahlen führen, denn dazu müsste zunächst das Parlament aufgelöst werden. Es könnte auch sein, dass sich neue Mehrheiten finden.

Eine verlorene Schlacht bedeute noch keinen verlorenen Krieg, kommentierte Premierminister Dritan Abazović das Geschehen Freitagnacht. Er meinte, dass in der aktuellen politischen Auseinandersetzung einer die Oberhand gewinnen müsse, entweder er selbst oder der Staatschef und Chef der DPS, Milo Đukanović. "Angesichts der Tatsache, dass ich politisch viel schwächer bin, finanziell unvergleichlich – das sind Welten – hat er Menschen aus der Unterwelt, die ich nicht habe und Medien, die ich nicht habe."

Kriminelle freuen sich

Đukanović`s DPS war vor der Regierung Krivokapić drei Jahrzehnte an der Macht, der Machtwechsel 2020 galt deswegen als wichtige demokratiepolitische Erfahrung für Montenegro. Doch inhaltlich lagen die Koalitionspartner weit voneinander entfernt – insbesondere die serbisch-nationalistischen Parteien und die Grünen (URA) von Abazović, sowie die Demokraten verfolgten vollkommen andere Ziele.

Abazović war mit dem Versprechen angetreten, die Korruption und Drogenschmuggel zu bekämpfen, so wie eine unabhängige Justiz zu stärken. Vor seiner Abwahl nannte er am Freitag einige Personen und Unternehmen namentlich, die mit kriminellen Vorgängen zu tun hätten und beschuldigte sie auch, für die Destabilisierung im Lande verantwortlich zu sein. Die Unterstützung für seine Regierung sei geschwunden, weil das jahrzehntelang lukrative Geschäfts des organisierten Zigarettenschmuggels durch seine Maßnahmen gefährdet worden wäre, meinte er.

Abkommen mit der serbischen Kirche

In Montenegro wurden in den vergangenen Jahren bei mehreren großangelegten Polizei- und Zolleinsätzen mehrere hundert Tonnen geschmuggelter Zigaretten und mehr als zwei Tonnen Kokain im Hafen von Bar beschlagnahmt. Die DPS hatte offiziell die Unterstützung für das Minderheits-Kabinett von Abazović entzogen, nachdem dieser ein Grundsatzabkommen mit der serbisch-orthodoxen Kirche am 3. August unterzeichnet hatte. Die DPS liegt seit Jahren in einem Machtkampf mit der serbisch-orthodoxen Kirche, die eine starke politische Rolle spielt und damit auch die Einmischung des Nachbarstaates Serbien in montenegrinische Angelegenheiten fördert.

Gemäß der neuen Vereinbarung muss sich die serbisch-orthodoxe Kirche an das Gesetz zum Schutz des Kulturerbes halten. Die Regierung ist wiederum verpflichtet, alle orthodoxen Kirchen und Klöster zu registrieren und auch den Rückgabeprozess für Kircheneigentum einzuleiten, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den kommunistischen Behörden verstaatlicht oder beschlagnahmt wurde. Dem Abkommen zufolge darf der Staat aber den Bau orthodoxer Kirchen ohne Zustimmung der serbisch-Orthodoxen Kirche nicht genehmigen. Das wiederum ist umstritten, denn es gibt auch eine unabhängige montenegrinisch-orthodoxe Kirche, die von Đukanović unterstützt wird.

Umstrittener "Open Balkan"

Die DPS, aber auch die Sozialdemokraten werfen der serbischen Kirche seit langem vor, den serbischen Nationalismus zu fördern und die montenegrinische Staatlichkeit zu untergraben. Laut der Volkszählung von 2011 identifizieren sich 72 Prozent der Montenegriner als orthodoxe Christen und davon etwa 70 Prozent als Teil der serbisch-orthodoxen Kirche und 30 Prozent als Teil der montenegrinisch-orthodoxen Kirche. Muslime machen weitere 20 Prozent der Bevölkerung aus.

Neben dem umstrittenen pro-serbischen Abkommen mit der Kirche, wurde Abazović aber auch für seine Annäherung an das "Open-Balkan"-Projekt des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić kritisiert. Die montenegrinischen Vorgängerregierungen hatten sich bisher geweigert, bei der Initiative, bei der auch Nordmazedonien und Albanien dabei sind, mitzumachen, weil sie "Open Balkan" als eine Alternative zur EU-Annäherung ablehnten.

Unterstützung von Russland

Kritiker von "Open Balkan" befürchten vor allem, dass dadurch die Dominanz des autokratisch regierten Serbiens auf dem Westbalkan verstärkt wird, ohne den vertrauensbildenden Mechanismus des Berliner Prozesses, der noch von der früheren deutschen Kanzlerin Angela Merkel eingeleitet worden war.

Auf dem Gipfel in Sofia 2020 verpflichtete sich alle sechs Westbalkan-Staaten zu einem regionalen gemeinsamen Markt im "Berliner Prozess", der integral mit den EU-Regeln und EU-Normen verbunden ist. Die Initiative "Open-Balkan" wird hingegen vom russischen Außenminister Sergej Lawrov unterstützt. Es handelt sich um einige bilaterale Abkommen zur Erleichterung des Handels- und Personenverkehrs. Wenn man sich allerdings auf den Weg zur Grenze, etwa zwischen Serbien und Nordmazedonien begibt, ist von Erleichterungen oder schnelleren Abwicklungen nichts zu merken. Nur ein blaues Schild mit dem Hinweis "Open Balkan" ist dort zu sehen.

Errungenschaften der EU

In EU-Fachkreisen wird zudem kritisiert, dass "Open Balkan" sich einfach die Errungenschaften, die im Rahmen des Berliner Prozesses und damit im Rahmen der EU-Annäherung erreicht wurden, zu eigen gemacht hat. Dazu gehört etwa die Erarbeitung des Systems zur gegenseitigen Anerkennung des sogenannten "Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten" im Zollrecht, welcher ein wesentliches Element des EU-Sicherheitskonzepts darstellt. Die Einführung dieses Systems und die regionale Zoll-Software wurden mitnichten von den Mitgliedern von "Open Balkan", sondern von der EU finanziert.

Die EU hat zudem die Zollbehörden beraten, eine gemeinsame Risikostrategie zu entwickeln und einen gemeinsamen Aktionsplan umzusetzen. Regional einheitliche pflanzengesundheitliche Kontrollen, die wechselseitig anerkannt werden, wurden im Rahmen des Zentraleuropäisches Freihandelsabkommen (Cefta) im Jahr 2019 erreicht und sind demnach nicht auf die Open-Balkan-Initiative zurückzuführen. Deswegen wird "Open-Balkan" auch von manchen als "Mogelpackung" bezeichnet. (Adelheid Wölfl, 20.8.2022)