Iulianus Apostata lässt sich von seinen Handlangern als neuer Kaiser präsentieren.

Foto: Andreas Hofmarcher

Die Matronen Aurelia und Valeria posieren im feinen Festgewand.

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Eine Germanenfamilie aus dem Stamm der Alamannen zu Tisch.

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Ein Kommandeur befehligt seine Truppen.

Atelier Olschinsky

In der Spätantike trugen römische Legionäre ovale Schilde und längere Schwerter. Hauptwaffe war ein Wurfspeer namens pilum.

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In der Spätantike trugen die römischen Legionäre ovale Schilde und längere Schwerter. Hauptwaffe war nach wie vor ein Wurfspeer, das pilum.

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Zuerst dröhnt ein Signalhorn von Weitem: "Döööööm...". Dann kommen die Lakaien angerannt: "Macht Platz! Bejubelt den Kaiser!", schreien sie. "Jubelt! Jubelt!". Die ersten Legionäre marschieren auf – in Zweierreihe, ihre spätantiken, farbenprächtigen Rüstungen mit den charakteristischen Ovalschilden haben sie festlich herausgeputzt. "Roma caput mundi!", brüllt ein Centurio, um gleich eines klarzustellen: Rom, das ist der Nabel der Welt, basta. Und auch wenn das Provinznest, in das man gerade einmarschiert, an der nordöstlichen Peripherie des Reichs liegt, soll hier heute Geschichte geschrieben werden.

Wir befinden uns im Jahr 361 nach Christus. Carnuntum, die Stadt am Donaulimes, in der Philosophenkaiser Marc Aurel knapp zweihundert Jahre zuvor die Barbaren in Schach hielt und nebenbei an seinen stoischen Selbstbetrachtungen schrieb, hat schon bessere Tage gesehen. Nach einem Erdbeben liegt die Stadt in Trümmern. Ausgerechnet jetzt kündigt sich mit dem Besuch Iulianus Apostatas ein Anwärter auf den Kaiserthron an. Von Gallien kommend, macht er hier eine Pinkelpause, kurz wird er tatsächlich Kaiser werden, aber schon nach zwei Jahren in Persien den Tod finden. In der Spätantike, erfährt man, war es eben schick, dass Kaiser an vorderster Front selbst den Kopf hinhalten.

Willkommen in der Spätantike!

In Carnuntum kommt es vorerst zu einer zünftigen Parade mit anschließender Kundgebung, bei der der Usurpator sich vorstellt, Treueschwüre abnimmt, den Menschen Brot und Wein verspricht und befiehlt, den diebischen Regionalfürsten (ein Dux) zur Rechenschaft zu ziehen. In aller Ruhe aber, denn: "Bürgerkrieg? Brauchen wir keinen. Wir haben genug Krieg an unseren Grenzen", sagt Iulianus und begibt sich mit seinem Gefolge zu Tisch. Willkommen beim Fest der Spätantike im archäologischen Park Carnuntum!

Aufstellung vor den rekonstruierten Gebäuden in Carnuntum.
Foto: Stefan Weiss

Seit den 1980er-Jahren betreibt man hier experimentelle Archäologie, hat Gebäude wie eine Therme und Villen originalgetreu rekonstruiert, erprobt antikes Handwerk – und gibt ein paarmal im Jahr hunderten Reenactors aus ganz Europa die Gelegenheit, das Areal mit Leben zu füllen. Neben diversen bavarischen Dialekten hört man Spanisch, Italienisch, Französisch, Tschechisch, Gruppen aus Dänemark, Polen und Bulgarien sind dabei. Ein Wochenende lang stellen sie Leben und Sterben in der Spätantike dar.

"Es ist wie ein Familientreffen. Wie Urlaub", sagt der Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus zum STANDARD. Er, der in Wirklichkeit Martin Müllauer heißt und als Buchhändler arbeitet, hat an der diesjährigen Storyline mitgewirkt. Die Wiener Gruppe Gentes Danubii, zu der er gehört, bemüht sich besonders, das Zivilleben der Zeit darzustellen, andere interessieren sich mehr fürs Militär. Die sozialen Hintergründe der Akteure seien bunt durchgemischt, sagt Müllauer, pardon Ammianus. Herkunft oder sexuelle Orientierung spiele keine Rolle: Studierte träfen auf Hobbyisten, Unternehmer auf Handwerker. "Die Reenactors hier sind lauter liebe Leute. Politik? Bleibt draußen, hat am Lagerfeuer nichts verloren."

Zentrum der Reenactorszene

Ja, das Lagern gehört natürlich mit dazu, wenn schon, dann richtig. Bis zu einer Woche lang lebt man in Jurten, möglichst historisch korrekt, "es kann aber schon sein, dass man zwischendurch einmal modern duschen oder aufs WC geht", gibt Müllauer zu. Carnuntum sei bei den Reeanctors besonders beliebt, weil es in Europa zentral liegt und einmalige (römische wie moderne) Infrastruktur bietet.

Einer, der von Anfang an dabei war, ist der Storyline nach heute zum ersten Mal da: Iulianus Apostata, der Wohlgeborene, der sich gerade in der Villa urbana auf seinem Sofa breitgemacht hat, um dem Festmahl seiner Gefolgschaft beizuwohnen. Diener reichen ihm Fleischbällchen und Obst, Trinksprüche werden auf ihn gehalten, untermalt wird die Szenerie von einer Band, die musikarchäologisch rekonstruierte Hits von damals spielt.

Iulianus Apostata diniert standesgemäß im Liegen. Der Reenactor Geza Frank ist Dreh- und Angelpunkt der Spätantikendarstellung in Carnuntum.
Foto: Stefan Weiss

Iulianus Apostata heißt bürgerlich Geza Frank, ist professioneller Flötist, Abenteurer und Milizoffizier beim Bundesheer. Das Geschichtsinteresse wurde dem Sohn von Archäologen in die Wiege gelegt. "Reenactment ist für mich ein Lifestyle", sagt der Mittdreißiger. "Verglichen mit der Spätantike ist die Mode des 21. Jahrhunderts fad. Mit meinem Kostüm gehe ich manchmal sogar durch die Stadt – schön, dass die Gesellschaft so offen ist, dass wir das hier machen können."

Später wird Frank, pardon Iulianus, draußen noch Truppenübungen inspizieren, einen Schwertkampf vorexerzieren und dabei viel Wissenswertes zur Spätantike erklären, die gerade am nunmehr zum Weltkulturerbe ernannten Donaulimes eine spannende Zeit der Umbrüche war und noch immer genug Lücken bietet, die erforscht werden wollen.

Hochzeit auf Spätrömisch

Zwei, die das als Archäologinnen und Kulturvermittlerinnen im zivilen Leben tun, sind heute ebenfalls als römisch gewandete Matronen, also reiche Damen, unterwegs: Aurelia Lavigna (Ruth Lößl) und Valeria Justina (Susanne Lorenz) wollen den Frauenanteil unter den Reenactors heben. Nicht, dass es keine gäbe – gerade unter den angereisten Germanenvölkern sind einige Frauen dabei –, aber "sie sind meist unauffällig im Lager beschäftigt", sagen die beiden Matronen.

Eine germanische Schamanin werden die polytheistisch unersättlichen Römerinnen (viel hilft viel) später noch um einen Zauber gegen die Eifersucht ihrer Gatten bitten. Frauen mit Bürgerrecht, sagen Aurelia und Valeria, waren in der Spätantike verhältnismäßig gut gestellt: Scheidungen waren möglich, es gab Eheverträge und Unterhaltspflichten. Eine spätrömische Eheschließung, die dann unter dem Einsatz zahlreicher Brandopfer (etwa für Göttin Ceres) auch noch durchgespielt wird, zeigt, wie viel Ritus aus dieser Zeit ins Katholische übernommen wurde.

Was nun aber eine Legionärsrunde aus Tschechien, die zum ersten Mal dabei ist, genau an der römischen Armee fasziniert? "Organisation", lautet die Antwort, die wie aus der Balliste geschossen kommt. Ausgerechnet der Hauptmann der Gruppe zieht dabei allerdings ganz schön seinen Bauch ein: In puncto Übung könne man den alten Römern dann doch nicht das Wasser reichen, sagt er.

Gelegenheit zu weiteren Exerzitien gibt es bereits am 17. und 18. September, wenn das jährliche Römerfest, ein noch größeres Reenactment-Spektakel, stattfindet. Bis dahin gilt der Wahlgruß der Szene: "Carnuntum vivas!" (Stefan Weiss, 27.8.2022)