Sein Kellner studiert eigentlich Weinbau und macht gerade ein Auslandssemester, also kommt Marco Gangl selbst zu den Gästen. "Wenn wir mehr als zwölf Reservierungen haben, brauche ich schon Verstärkung", sagt er.

Gangl ist gerade dreißig geworden und kocht seit diesem Sommer im malerischen Zaußenberg am Wagram, wo sich Spitzenwinzer Josef Fritz vor ein paar Jahren ein Top-Restaurant zur entsprechenden Positionierung seiner aufregend guten Weine geleistet hat. Damit sich derlei Ausflüge in den Gastraum oder, bei Schönwetter, in den Hofgarten, auch ohne Abstriche beim Essen ausgehen, hat er in der Küche mit dem gerade erst 21-jährigen Marcel Herndl ("Darf ich vorstellen: Das ist der Mann, der Ihr Essen kocht.") kompetente Unterstützung.

Marco Gangl kocht und serviert im Restaurant Himmelreich von Winzer Josef Fritz am Wagram – ganz herausragend gut.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Mautern, Stockholm

Gangl war Küchenchef bei Willi Bründlmayer, er weiß also, wie man toll kocht und gleichzeitig tolle Weine in Szene setzt. Davor werkte er in Stockholm bei Küchen-Weltstar Björn Frantzén und bei Thomas Dorfer im Landhaus Bacher. Während im Frantzén Blingbling-Zutaten wie Kaviar, Trüffel und Gänseleber saisonunabhängig zu prächtigen Pretiosen modelliert werden, die auf Instagram hunderttausendfach geklickt werden, beugt Gangl sich mit Vorliebe zu Obst und Gemüse herab, um daraus spannungsgeladenes Essen zu formen. Insofern scheint Thomas Dorfer eindeutig mehr Eindruck auf den jungen Koch gemacht zu haben als der in Social-Media-Dingen so geschliffene Star aus Stockholm.

Ceviche.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Das große Menü umfasst nominell sechs Gänge, das kleine vier. Die Batterie an Köstlichkeiten, die in beiden Fällen schon mit dem Aperitif zu Tisch kommen, ist da ebenso wenig eingerechnet wie der zusätzliche Überraschungsgang, den Gangl offenbar fix eingeplant hat. Vorneweg gibt es etwa ein kunstvoll gerolltes Blatt von der Kapuzinerkresse, gefüllt mit geradezu knackig frischem Eierschwammerltartare; dann Ceviche von zweierlei Forelle, in limettensaurer Leche de Tigre, mit funkelnden Würfelchen Roter Rübe, wunderbar, wie die seidige Schlüpfrigkeit des Fischs mit der forschen Bissigkeit der Erdfrucht kontrastiert.

Portobello wird gegrillt und mit cremigem Lauch gefüllt, dazu gibt’s kaum gezähmte Wildheit in Form marinierter Preiselbeere und geräucherten Pfeffers – außerordentlich gut. Ein bissl Sommer darf es auch nochmal werden, als Granita von grünem Paprika und Gurke mit Chili aufgetragen wird, so frisch und grün und chlorophyllig ungestüm, dass es einem tatsächlich einen Ruck versetzt.

Melone und Kernöl.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Gut so, das Essen verdient auch volle Aufmerksamkeit: Viererlei Melone wird als süßsalziger Salat mit einer fantastisch aromatischen Basilikummayonnaise und einem Schlenker besten Kernöls konturiert – meisterhaft, wie Gangl Süße und Duftigkeit gegen die kraftvollen Röstaromen des Öls und die krenige Schärfe von Kapuzinerkresse-Blüten ins Rennen schickt.

Geiles Gemüse

Paradeiser und Tomatillos in vielerlei Gestalt bekommen eine fantastisch dichte Salzmandelcreme als Unterlage, dazu gibt es sehr späte und dennoch bissig süßsaure Ribiseln, Estragon und köstlich geröstete ganze Mandeln – ein geiler Gang, der zeigt, was große Gemüseküche ausmacht: die Vielfalt natürlicher Konsistenzen, der Fokus auf Biss und Kraft – nicht auf die Fähigkeiten der Transformation in Gels, Pasten und Pürees, die sich besternte Gemüseköche gern zur Aufgabe machen.

Paradeiser und Tomatillos.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Steinpilze mit hochreifen Feigen sind noch so ein Beispiel, wie kluge Kombination und kulinarische Intuition viel deutlicher ins Glückszentrum vordringen als noch so fein gearbeitetes Tütü und Tata. Fleisch gibt es auch, ein vielschichtig mariniertes Hendl mit den salzig fermentierten Fruchtaromen von Umeboshi und einer Art Polenta aus frischem Zuckermais kombiniert.

Steinpilze mit Feigen.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass auch der zweite Fleischgang aus Hendl und seinem Körndl besteht – konkret aus sehr saftig gebratener Brust mit einer Art Risotto aus Perlgraupen und Mais mit köstlich levantinischem Gewürzjoghurt und gebratener Nektarine obenauf –, ist dann aber fast zu viel des Guten. "Ich verstehe es als eine Hauptspeise, in zwei Erscheinungsformen serviert", meint Gangl. Touché – noch dazu, wo der zweite Gang ja buchstäblich geschenkt ist. (RONDO, Severin Corti, 29.9.2022)

Hendl mit einer Art Polenta aus frischem Zuckermais.
Foto: Gerhard Wasserbauer

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