Tafeln von der Nürnberger Woche gegen Rassismus im März 2022.

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619 Stimmen. Ein kleines Dorf. So wenig fehlte dem antirassistischen Volksbegehren Black Voices zur 100.000er-Hürde, die es zu nehmen gilt, damit die Inhalte im Nationalrat behandelt werden müssen.

Dass es verhältnismäßig wenige Stimmen waren, die die Initiative scheitern ließen, ist besonders bitter. Dass sich in einem Land mit fast neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern keine 100.000 Volljährige finden, die unterschreiben, dass sich die Regierung aktiv gegen Rassismus etwa in Behörden, Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Raum einsetzt, ist eigentlich desaströs.

Brutale Realität

Zu verkopft sei das Thema, hörte man da und dort. Regelmäßig unter Generalverdacht zu stehen, wenn man abends ausgeht, bei Kontrollen eher rausgefischt zu werden, keine Wohnung zu bekommen oder sogar mehr Gewalt und Hass im Netz und auf der Straße ausgesetzt zu sein: Das ist alles nicht verkopft, das ist brutale Realität für Menschen mit dunklerer Hautfarbe oder beziehungsweise jene, die nicht in die weiße Norm passen.

Ob nun fehlende Empathie für Betroffene, zu wenig Sensibilisierung für das Thema oder die Krisenzeiten, in denen Menschen lieber auf sich selbst und ihr Bargeld schauen, schuld am Scheitern des Volksbegehren waren, ändert nichts an der Sache, dass Rassismus ein Problem in unserer Gesellschaft bleibt, das nicht von allein weggeht.

Forderungskatalog

Das Parlament muss die Anliegen der Black Voices nun nicht behandeln. Die gute Nachricht: Die Regierung könnte das eigentlich jederzeit. Sie könnte sich den Forderungskatalog des Volksbegehrens, hinter dem auch viele namhafte und langjährige Organisationen wie Zara oder SOS Mitmensch stehen, ansehen und schnellstmöglich mit dessen Umsetzung anfangen.

Ein ressortübergreifender nationaler Aktionsplan gegen Rassismus, wie ihn die Regierung im Vorjahr gegen Antisemitismus vorgelegt hat, wäre ein Anfang. Sich um diskriminierte Minderheiten zu kümmern, ist nämliche keine Kür, sondern ein Pflichtprogramm in jeder Demokratie.

Und immerhin: 99.381 haben das Volksbegehren unterschrieben. Das ist kein Dorf, sondern immerhin eine Kleinstadt. (Colette M. Schmidt, 27.9.2022)