Die älteste noch erscheinende Tageszeitung ist das nur noch bis 2023.

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Intrigen zur Einstellung der "Wiener Zeitung" wurden seit langem gesponnen, nun ist die Untat vollbracht. Das Blatt muss nach 320 Jahren seine tägliche Druckausgabe einstellen, soll aber mit allerhöchstem Privileg einer sich selbst als hochlöblich empfindenden Obrigkeit noch einige Zeit lang als Online-Gerippe durch die traurige österreichische Medienlandschaft geistern dürfen.

Kaltschnäuzigkeit und schlechtes Gewissen

Die Regierung erklärt, in Medienvielfalt investieren zu wollen, und tut so, als ob das ohne die Einstellung eines Qualitätsblattes nicht möglich wäre. Die Zeitung als Online-Produkt zu erhalten, das mindestens einmal im Monat printnostalgisch erscheinen darf, ist nichts anderes als eine Kombination von Kaltschnäuzigkeit und schlechtem Gewissen.

Die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen als quasi unvermeidliche Todesursache der "Wiener Zeitung" darzustellen erscheint angesichts der Milliarden, mit denen diese Regierung sonst um sich wirft, eine willkürliche Begründung. Der Zusammenhang müsste nicht zwangsläufig hergestellt werden, wenn man ernstlich daran interessiert gewesen wäre, eine gute Tageszeitung zu erhalten und dem behaupteten Interesse an Meinungsvielfalt Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Den Chefredakteur nicht überzeugt

Den Chefredakteur konnten die türkisen und grünen Medienexpertinnen in der Regierung nicht überzeugen. Behaupten sie, sich für Meinungsvielfalt zu zersprageln, hielt er im Leitartikel der Donnerstag-Ausgabe dagegen. Wenn alles so kommt, wie befürchtet, dann verliert die Republik Österreich ein Kulturgut von einzigartigem Wert und eine hervorragende Tageszeitung. Man fragt sich: Cui bono? Wem nützt ’s?

Dagegen das leere Geschwätz von Medienministerin Susanne Raab. Es gehe darum, "die Medienvielfalt abzusichern, den Medienstandort Österreich stärken und in die Zukunft führen". Und die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, salbadert dazu: "Wir brauchen als Bürgerinnen und Bürger qualitätsvollen Journalismus, der die Unordnung ordnet. Ohne Medien und Journalismus ist die Demokratie inexistent. Diesen Beitrag zur Demokratie wollen wir unterstützen."

Medienpolitische Unordnung im Kopf

Statt die medienpolitische Unordnung in ihrem Kopf zu ordnen, versucht die zuständige Ministerin den Eindruck zu erwecken, als wäre die Einstellung des Blattes gewissermaßen naturgesetzlich bedingt. Hintergrund für die Änderung des Geschäftsmodells ist die Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen in gedruckter Form im Amtsblatt der Zeitung. Sie machen mit 20 Millionen Euro einen großen Teil der "Wiener Zeitung"-Einnahmen aus und dürften mit Jahresende wegfallen.

Preisfrage: Wer hat denn die Änderung des Geschäftsmodells im vollen Bewusstsein der Folgen beschlossen? Und welche der Expertinnen und Experten, mit denen die Ministerin in den letzten Monaten ausführliche Gespräche geführt haben will, haben erkannt, dass die "Wiener Zeitung" nicht mehr täglich im Druck erscheinen darf, um nur ja die Medienvielfalt in Österreich nicht zu gefährden?

Der Chefredakteur stellt dazu richtig fest: Guter Journalismus ist keine Frage des Formats oder der Frequenz, von Print oder Online, sondern eine Frage der inneren Einstellung und der äußeren Möglichkeiten einer Redaktion. Indem die Bundesregierung jedoch keine verlegerische Entscheidung getroffen hat, sondern ihren politischen Willen dekretiert, ist die Gefahr groß, dass die "Wiener Zeitung" als Medium wie als älteste noch bestehende Tageszeitung der Welt einen leisen Tod sterben wird.

Es gibt ja den Boulevard

Sehr ausgeprägt war das medienpolitische Interesse dieser Regierung von Anfang an nicht. "Die Presse" erinnerte Donnerstag: Auf Seite 40 im türkis-grünen Regierungsprogramm einigten sich die beiden Parteien zwar auf allerhand medienpolitische Ziele, Details gab es im Gegensatz zu anderen Vorhaben im 232-seitigen Koalitionspakt aber kaum ... Vergleichsweise konkret war diesbezüglich noch das Vorhaben, die republikeigene "Wiener Zeitung" zu erhalten. Aber: An anderer Stelle, nämlich im Wirtschaftsteil des Programms, wurde dann nachgereicht, dass man die Veröffentlichungspflicht in Papierform in der "Wiener Zeitung" abschaffen möchte – was Unternehmen von einer Zahlungspflicht entbinden würde, dem alten Blatt aber die ökonomische Basis entzöge.

Es entsteht ja nicht zum ersten Mal der Eindruck, dass die türkis-grüne Koalition nicht so recht weiß, was sie erst will und dann tut. Aber solange es nur um Meinungsvielfalt geht, ist das kein Problem. Es gibt ja den Boulevard. (Günter Traxler, 9.10.2022)