Ein Schild im israelischen Grenzort Rosh Hanikra warnt davor, in dem militärischen Gebiet ins Wasser zu gehen, da dies verboten ist.

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Jerusalem – Israel und der Libanon haben laut israelischen Angaben ein "historisches Abkommen" zur Grenzziehung im Mittelmeer erzielt und damit ihren Streit über Offshore-Gasfelder beigelegt. "Dies ist eine historische Errungenschaft", teilte Israels Regierungschef Jair Lapid am Dienstag mit.

"Dieses beispiellose Abkommen wird Israels Sicherheit stärken, unsere Wirtschaft fördern und Ländern auf der ganzen Welt saubere und erschwingliche Energie liefern", verkündete Lapid auf Twitter. Er dankte US-Vermittler Amos Hochstein für "seine harte Arbeit zum Zustandekommen dieses historischen Abkommens". Am Mittwoch soll es dem israelischen Sicherheitskabinett sowie in einer Sondersitzung der Regierung vorgelegt werden.

Das Büro des libanesischen Präsidenten Michael Aoun teilte über Twitter mit, dass die endgültige Fassung des Abkommens den Libanon zufriedenstelle, seine Forderungen erfülle und seine Rechte an seinen Ressourcen wahre. "Ich bin optimistisch", sagte Libanons Chefunterhändler Elias Bu Saab. "Wir glauben, dass dies ein faires Abkommen ist."

Mögliche Linderung der Energiekrise

Dem Libanon soll mit dem Abkommen nach israelischen Medienberichten die Erschließung des Offshore-Gasfeldes Kana ermöglicht werden. Israel behält demnach die Hoheit über das Gebiet rund um die Karisch-Gasplattform, nordöstlich der israelischen Hafenstadt Haifa. Details zu dem Abkommen wurden bisher jedoch nicht offiziell bekanntgegeben.

Das Gas aus Israel könnte auch zur Linderung der Energiekrise in Europa beitragen. Seit der russischen Invasion in der Ukraine sucht die EU verstärkt nach anderen Energiequellen. Lapid hatte vor einiger Zeit angekündigt, Gasexporte nach Europa erhöhen zu wollen. Am Sonntag war Karisch bereits an Israels Fördersystem angeschlossen worden. Das Unternehmen Energean teilte mit, es handle sich nicht um den Beginn der Gasförderung, sondern um eine Prüfung der Systeme.

"Grünes Licht" von Hisbollah

Hintergrund des jahrzehntelangen Streits ist eine umstrittene 860 Quadratkilometer große Fläche vor der Küste, die beide Seiten als ihre ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen. Der Konflikt um den Grenzverlauf hatte sich nach der Entdeckung von großen Mengen Erdgas verschärft. Die Nachbarn erhoffen sich wirtschaftliche Vorteile.

Beobachter hatten davor gewarnt, dass ein Scheitern der Verhandlungen zu neuer Gewalt zwischen beiden Ländern führen könnte. Die im Libanon einflussreiche Schiitenmiliz Hisbollah ist mit Israel verfeindet. Ohne deren Zustimmung wäre eine Einigung in dem Konflikt unmöglich. Laut Informationen der Nachrichtenagentur Reuters habe die Hisbollah jedoch bereits "grünes Licht" zu dem Abkommen signalisiert.

Eine weitergehende diplomatische Annäherung der verfeindeten Staaten Libanon und Israel ist jedoch in naher Zukunft nicht zu erwarten. Vor der Einigung hatten beide Seiten betont, dass mit den Gesprächen keine Normalisierung der Beziehungen einhergehe. Es gehe ausschließlich um die gemeinsame Seegrenze. Offiziell befinden sich Israel und der Libanon noch immer im Krieg. Die Verhandlungen über den umstrittenen Grenzverlauf waren im Oktober 2020 in einem ungewöhnlichen Schritt aufgenommen worden. Es war der erste Kontakt seit Jahrzehnten, der sich nicht um das Thema Sicherheit drehte.

Konkurrenz um Erdgas-Ressourcen

Der Libanon steckt derzeit in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte, die unter anderem die Energieversorgung schwer getroffen hat. Viele Libanesen haben am Tag nur noch ein oder zwei Stunden Strom. Privat betriebene Generatoren können sich wegen steigender Ölpreise nur wenige Menschen leisten. Von der künftigen Gasförderung erhoffen sich viele Libanesen einen Aufschwung. Allerdings ist noch unklar, ob und welche Mengen Gas das Land überhaupt fördern kann.

Der Wettlauf um Erdgas im Mittelmeer hatte sich in den letzten Jahren zugespitzt. Laut der US-Forschungsbehörde Geological Survey enthält das sogenannte Levante-Becken, das vom Osten Ägyptens bis zum Norden Syriens und zur Türkei führt, rund 3,5 Billionen Kubikmeter förderbares Erdgas. In der Region konkurrieren neben Israel und dem Libanon auch Ägypten, Zypern und die Türkei um Erdgas-Ressourcen.

Die internationale Grenze Israels und des Libanons führt entlang der sogenannten blauen Linie. Nördlich von ihr, im Südlibanon, wurde eine internationale Sicherheitstruppe mit Uno-Mandat und Soldaten der libanesischen Armee stationiert, um den Frieden zu gewährleisten. (APA, red, 11.10.2022)