Fest in FPÖ-Hand: In Hüttenberg am nördlichen Rand Kärntens war Walter Rosenkranz ebenso siegreich wie zuvor Bürgermeister Josef Ofner. Doch auch ein politisch Untoter spielt immer noch eine Rolle: Jörg Haider.

Foto: Ferdinand Neumüller

Er ist am Sonntag nicht angetreten. Trotzdem kommt man an ihm kaum vorbei. Wer in Hüttenberg im Bezirk St. Veit an der Glan über den Ausgang der Präsidentenwahl diskutiert, landet nicht nur bei den Kandidaten, sondern auch bei einem toten Politiker. "Der Jörg Haider", ist da zu hören, "hat halt so viel für uns getan."

Geht es nach diesen Stimmen, dann zehrt die FPÖ hier, im oberen Görtschitztal, bis heute vom Erbe des einstigen Helden. 1300 Menschen sind es, die den auf Gräben und auf Hügel verstreuten Flecken bevölkern. Dank des berühmtesten Sohnes der Gemeinde, des Abenteurers Heinrich Harrer, durchbricht ein tibetischer Pilgerpfad die bröckelnde Anmutung der niedergegangenen Bergbaumetropole – und auch politisch fällt Hüttenberg auf. Wäre der Ort der Maßstab, könnte sich Walter Rosenkranz für die Hofburg rüsten. Mit 43 zu 32 Prozent lag der Herausforderer vor Titelverteidiger Alexander Van der Bellen.

Die gallischen Dörfer der Präsidentenwahl

Das ist typisch für die Region. Während der freiheitliche Hofburg-Anwärter im Rest Österreichs nur in einzelnen versprengten Kommunen eine Mehrheit errungen hat, erstreckt sich durch den Norden Kärntens ein blauer Gürtel. Warum zieht die FPÖ, allen Parteispaltungen und Skandalen zum Trotz, in diesem Landstrich immer noch so stark?

Die Ursachenforschung beginnt im gelb getünchten Gemeindeamt, auch hier ist der Geist Haiders quicklebendig. Er werde am Abend eine Kerze anzünden, sagt der blaue Bürgermeister Josef Ofner, fällt der Besuch des STANDARD doch auf den 14. Todestag des einstigen Landeshauptmannes. Na klar bleibe der Verblichene ein Vorbild, da möge noch so viel Korruption und Verschwendung behauptet werden: Wie glaubwürdig seien schon Anschuldigungen gegen einen Mann, der sich nicht mehr wehren könne?

Dem Klischee des polternden Ortskaisers mit schraubstockfestem Händedruck wird Ofner nicht gerecht. Fast schüchtern wirkt der schmal gebaute 43-Jährige im locker sitzenden Anzug – und doch zielstrebig. Nicht nur diverse Parteiämter zeugen von Ambition. In Wien zeigt er als Bundesratsmandatar ebenso überregionalen Einsatz wie als Besucher der Demos gegen die Corona-Politik. Als freiheitsliebendem Kärntner dränge sich ihm schon die Frage auf, sagt der bekennende Ungeimpfte, ob hinter den Lockdowns nicht wirtschaftliche Interessen gestanden seien.

Beharrlich ging der 2009 gewählte Bürgermeister auch sein Amt an. Vorgänger Rudolf Schrattner von der SPÖ verabschiedete er mit einer Strafanzeige samt Disziplinarverfahren. Nach gut drei Jahren waren alle Causen eingestellt – und doch verkauft sich Ofner als Garant eines unparteiischen Stils, der eben auch bei Wahlen belohnt werde. Anders als zu Zeiten der roten Regentschaft werde niemand nach politischer Farbenlehre bevorzugt: "Ich behandle alle Bürger gleich."

Der korrekte Seppl

Gegenüber, vor dem Greißler an der Hauptstraße, stößt die Selbstbeschreibung auf wenig Widerspruch. Der "Seppl" sei ein "korrekter Bursch", der auf alle Menschen offen zugehe: Das sagt sogar ein Passant, der sich als Sozialdemokrat deklariert. Den meisten hier fällt der Ortschef als erster Grund ein, warum so viele nun auch bei Rosenkranz ihr Kreuz gemacht haben. Eine Bürgerin fügt an: Der alte rote Bürgermeister sei tatsächlich gerne über die Leute drübergefahren.

Tibetischer Pilgerpfad in der Heimatgemeinde des Abenteurers Heinrich Harrer: Auch das Kärntner Wesen ist bisweilen mysteriös.
Foto: Ferdinand Neumüller

Baut die blaue Dominanz also auf lokalen Ursachen auf? Befriedigend ist diese Antwort kaum, zumindest nicht als einzige Begründung. Denn sonst müsste gerade Kärnten, und da speziell der Norden, mit besonders fähigen Kommunalpolitikern gesegnet sein, während die Parteifreunde in den anderen Bundesländern versagten. Der Politologe Peter Filzmaier, dank seiner Vergangenheit an der Klagenfurter Uni mit dem Kärntner Wesen vertraut, bietet deshalb die Ideologie als Erklärung an: Jenes Nationalbewusstsein, das schon Haider erfolgreich abschöpfte, sei immer noch Garant für freiheitliche Stärke.

Wer nach den Wurzeln sucht, muss tief graben. Ein Strang führt bis zurück in die Zeit der Glaubenskämpfe, als protestantische Familien der Gegenreformation der katholischen Habsburger trotzten, ein anderer zum "Abwehrkampf" nach dem Ersten Weltkrieg. Aus dem Widerstand gegen die einfallenden Truppen des jugoslawischen SHS-Staates wuchs ein deutschnational gespeistes Wir-Gefühl, das gerade die Freiheitlichen nach Kräften anheizten – inklusive Ressentiments gegen die slowenischsprachige Minderheit.

Ob es nun an der geografischen Besonderheit des durch Gebirge abgeschotteten Landes liegt oder an anderen Gründen: Das regionale Nationalgefühl äußere sich in eigentümlicher Form, bemerkt Filzmaier. Während andere Völkchen wie etwa die Tiroler übersteigertes Selbstbewusstsein – "bisch a Tiroler, bisch a Mensch" – an den Tag legten, seien die Kärntner im Eindruck der ständigen Benachteiligung verhaftet. "Davon profitiert die FPÖ besonders dann, wenn sie in Opposition ist", sagt der Politologe. Das gelte umso mehr für den ländlichen Raum, wo sich weniger internationaler Geist breitmacht als in den Städten.

Gefallene rote Hochburg

In Hüttenberg selbst überzeugt diese These allerdings nur begrenzt. Im Möll- oder Gurktal, wo Rosenkranz ebenfalls gewonnen hat, sei das deutschnationale Milieu tief verwurzelt, wendet Sophie Carina Polzer ein, aber nicht hier, im historischen Erzabbaugebiet. Sonst wäre die Gemeinde nicht über Ewigkeiten eine rote Hochburg gewesen.

Herausforderin Sophie Carina Polzer von der SPÖ kämpft für den Umschwung: Alles was rot ist, werde zum Feindbild erklärt.
Foto: Gerald John

Polzer ist die neue Hoffnung der einstigen Platzhirsche. Seit drei Wochen ist die mit einer direkten Art ausgestattete 29-jährige Vizebürgermeisterin, zur Kür als örtliche SPÖ-Chefin hat sich Landeshauptmann Peter Kaiser angesagt. Dafür, erzählt sie, habe ihr bei der Angelobung im Gemeinderat mit Ausnahme Ofners kein FPÖ-Vertreter gratuliert.

Die blaue Dominanz erklärt sie mit einer Verkettung verschiedener Umstände. Tatsächlich habe sich der letzte SPÖ-Bürgermeister – "ein eher in sich gekehrter Mensch" – wohl zu sehr auf sein Steckenpferd, das Heinrich-Harrer-Museum, konzentriert als auf andere Sorgen der Leute. Der "Seppi" hingegen sei auf jedem Fest zu treffen und als Kapellmeister gerade bei den Älteren beliebt; dass er alles, was rot sei, zum Feindbild mache, gehe dabei unter. Auch die Landesregierung habe unter FPÖ-Führung das Ihre zum Stimmungsumschwung beigetragen. "Es stimmt, dass Haider einiges getan hat", sagt Polzer. Man denke etwa an die Musikakademie im Ort.

Wähler zwischen 50 und scheintot

Eine andere Hüttenbergerin urteilt, was die nationale Frage betrifft, weniger gnädig über die Mitbürger. "Die waren doch immer schon braun hier", schimpft die Pensionistin, die gerade ihren Tageseinkauf erledigt hat, "am liebsten täten s’ den Hitler ausgraben." Weil die Jungen auf der Suche nach Jobs, Bildung und sprühendem Leben das Weite suchten, bleibe nur die FPÖ-Klientel übrig: "Man hat es am Sonntag im Wahllokal gesehen: lauter Menschen zwischen 50 und scheintot."

Bröckelnde Fassaden im ehemaligen Bergbauzentrum: In 40 Jahren hat sich die Bevölkerung halbiert.
Foto: Ferdinand Neumüller

Worauf die Dame anspielt, lässt sich bei einem Spaziergang durch den Ortskern nachvollziehen. Staubige Fensterscheiben vor grauen Vorhängen verraten, dass hinter so mancher Fassade kein Leben mehr herrscht. Die Wirtshäuser an der Hauptstraße haben kapituliert, nur ein Café hält noch die Stellung. Selbst die Landesausstellung von 1995 brachte keinen Turnaround. Das damals vom Stararchitekten Günther Domenig überbaute ehemalige Eisenhüttenwerk im Ortsteil Heft lag lange Jahre brach, ehe die spektakuläre Location heuer zum zehnten Todestag ihres Erschaffers erstmals wieder genutzt wurde.

Mehr als halbiert hat sich die Bevölkerung, seit Ende der Siebziger das letzte Bergwerk Hüttenbergs aufgab – mutmaßlich ein weiterer Baustein zum blauen Erfolg. Denn wo Menschen pessimistisch in die Zukunft blicken, sagen Wahlforscher, strömten sie gerne zu rechten Parteien, die eine Rückkehr zur alten, heimeligen Ordnung versprechen.

Rosenkranz’ lokaler Erfolg habe wohl viele Väter, sagt ein Hüttenberger, der sich als Bergbauer mit Wirtschaftsstudium vorstellt. Rechte Tradition, Entvölkerung, das "Nachbrennen" der Haider-Zeit bildeten den Humus, auf der die allgemeine "Trotzreaktion" wegen Corona und Teuerung besonders gedeihe. Die wahre Überraschung sei deshalb das Resultat des Konkurrenten: "Es ist ein Wahnsinn, dass Van der Bellen unter diesen Umständen hier überhaupt so viele Stimmen hat." (Gerald John, 14.10.2022)