Was ist, stöhnen nicht nur die Briten, aus den britischen Konservativen geworden? Eine der ältesten und erfolgreichsten politischen Parteien der Welt bietet zurzeit ein Schauspiel, für das das Wort "Farce" oder "Chaos" eine Untertreibung wäre. In den letzten sechs Jahren erlebte man vier verschiedene Regierungschefs und in den letzten vier Monaten vier verschiedene Finanzminister. Es ist vor allem die hanebüchene Inkompetenz, mit der sich die Tories blamieren, die Beobachter verzweifeln lässt.

Erst 40 Tage ist Liz Truss Premierministerin, aber sie steht jetzt vor einem Scherbenhaufen. Das Programm, mit dem sie ins Amt gekommen war, ist grandios gescheitert. Sie wolle die Steuern massiv senken, hatte sie versprochen, um damit das Wachstum anzukurbeln, was wiederum die Mindereinnahmen kompensieren sollte. Doch so einfach ist es nicht.

Erst 40 Tage ist Liz Truss Premierministerin, aber sie steht jetzt vor einem Scherbenhaufen.
Foto: AP Photo/Alberto Pezzali

Ihr Programm basierte auf der sogenannten Trickle-down-Theorie, nach der eine Entlastung der Reichen dazu führt, dass deren Wohlstand zu den unteren Gesellschaftsschichten "herunterrieselt" und damit zu Wirtschaftswachstum führt. Die Theorie gilt allgemein als diskreditiert. Das hielt Truss nicht davon ab, "Wachstum, Wachstum, Wachstum" zum Kern ihrer Wirtschaftspolitik zu erklären und an den umstrittenen Steuersenkungen festzuhalten. Dass genau diese in einer Wirtschaftskrise das falsche Mittel sind, weil sie die Inflation anheizen, die Staatsfinanzen ruinieren und eben nicht zwangsläufig zu Wachstum führen, das ignorierte sie.

Storniertes Steuerpaket

Die internationalen Finanzmärkte haben es nicht ignoriert. Sie reagierten rabiat, ließen das Pfund auf einen historischen Tiefststand zum Dollar fallen und trieben die Zinsen, die das Schatzamt für britische Staatsanleihen zahlen muss, in die Höhe. Das hat dazu geführt, dass auch die Zinsen für Privathypotheken in die Höhe schossen. Viele Briten stehen jetzt vor der Herausforderung, mehrere Tausend Pfund im Jahr zusätzlich für die Finanzierung ihrer Immobilie finden zu müssen. Am Sonntag klagte der angesehene Tory-Abgeordnete Robert Halfon, dass "die Regierung wie libertäre Jihadisten aussieht, die das Land wie Labormäuse behandeln". Am Montag musste der frischgebackene Finanzminister Jeremy Hunt die Reißleine ziehen und das Steuerpaket von Truss stornieren.

Seine Ankündigungen laufen auf eine vollständige Rücknahme des Haushalts hinaus, mit dem sein Vorgänger Kwasi Kwarteng und Truss eine neue Wirtschaftspolitik für Großbritannien einläuten wollten. "Trussonomics" ist somit offiziell gecancelt. Das marktliberale Experiment hat den Kontakt mit der Realität der Märkte nicht überlebt. Es mag mit dem Programm vorbei sein, aber großen Schaden hat es dennoch angerichtet. Das Vertrauen der Finanzmärkte ist erschüttert, wofür der britische Staat zahlen muss mit höheren Zinssätzen für seine Verschuldung. In nur 40 Tagen Truss sind die Briten ein gutes Stück ärmer geworden.

Im Königreich konnten stets diejenigen Parteien Wahlen gewinnen, denen die Bürger Wirtschaftskompetenz zutrauten. In der Vergangenheit waren das in der Regel die Konservativen. Nach dem Scheitern des Truss-Experiments ist dieses Vertrauen gründlich dahin. Ob sich die Konservativen davon erholen können, bleibt dahingestellt. Mit einer Premierministerin Truss wäre ein Comeback jedenfalls unmöglich. (Jochen Wittmann, 17.10.2022)