"'New Tales from the Borderlands' behandelt Themen der Gewalt und Ungleichheit. Es gibt Szenen mit Selbstverletzungen, Brutalität und physischem und emotionalem Stress. Unser Ziel ist es, zu unterhalten und eine tiefgehende Geschichte über eine gefundene Familie und Durchhaltevermögen zu erzählen, aber einige Szenen können Spieler*innen verstören."

Diese Inhaltswarnung, die beim Starten des neuen "Borderlands"-Spiels erscheint, sagt eigentlich alles, was man über das Game wissen muss. Der STANDARD hat sich trotzdem auf dem PC knapp zehn Stunden lang durch die verschiedenen Rätsel der brutalen Welt gespielt.

Die "Borderlands"-Welt: Kapitalismus trifft Klamauk

Bevor wir aber in medias res gehen, holen wir zuerst jene Leserinnen und Leser ab, die mit der "Borderlands"-Welt nicht vertraut sind. Das erste Spiel des Franchises erschien 2009, mittlerweile haben der Developer Gearbox und Publisher 2K Games damit mehr als eine Milliarde Dollar eingenommen. Die Kernspiele der Reihe sind sogenannte Koop-Loot-Shooter, bei denen man sich gemeinsam mit Freunden durch eine futuristische Welt ballert und immer wieder neue Gegenstände einsammelt.

Aus der Reihe fallen die Spiele nicht nur wegen der Comicgrafik, die stets den Eindruck vermittelt, man würde sich durch eine Graphic Novel bewegen. Auch das Setting ist etwas ungewöhnlich: So kämpfen in den "Borderlands"-Spielen verschiedene Großkonzerne um die Vorherrschaft und rüsten die Bewohner der Welt stetig mit neuen Waffen aus, auf dass diese sich damit gegenseitig die Schädel einschlagen.

Der Trailer zu "New Tales from the Borderlands".
Borderlands

Dieses Wettrüsten könnte als umfassende Kapitalismuskritik interpretiert werden, wenn man ausreichend guten Willen mitbringt. De facto geht es den Spielern aber hauptsächlich ums Ballern und Aufrüsten – und um den Humor. Denn die "Borderlands"-Games sehen nicht nur aus wie ein Comic, es lauern auch diverse derbe Witze an jeder Ecke.

"New Tales from the Borderlands" soll ein Adventure sein

"New Tales from the Borderlands" ist – so wie sein Vorgänger "Tales from the Borderlands" – anders. Denn dieses Spin-off-Game ist kein Loot-Shooter, sondern will sich als Adventure verstanden sehen – ein Genre, in dem man sonst Point-and-Click-Spiele wie die "Monkey Island"-Games verorten würde.

Zwischendurch darf man die Spielfigur durch räumlich begrenzte Areale bewegen.
Foto: Screenshot

Wer sich allerdings tiefgehende Rätsel erwartet, der ist an dieser Stelle fehl am Platz. Denn im Grunde ist "New Tales from the Borderlands" mehr ein interaktiver Film als ein Spiel, die spielerische Leistung dreht sich meist darum, im richtigen Moment bestimmte Tasten zu drücken oder unter Zeitdruck bestimmte Dialogoptionen auszuwählen.

Ergänzt wird dies durch Szenen, in denen man eine der drei Spielfiguren durch die Welt bewegt, um "Rätsel" zu lösen. Auch hier seien die Erwartungen aber bitte niedrig zu halten: Meist geht es darum, bestimmte Gegenstände zu finden und zu aktivieren. Anu, eine der Antiheldinnen des Spiels, hat dazu auch eine spezielle Brille zur Verfügung, mit der sie die Objekte scannen kann. Insgesamt lässt sich bezüglich Gameplay zusammenfassen: Die intellektuelle Herausforderung hält sich stark in Grenzen.

Wir gründen ein eigenes Start-up

Aber gut, ein "Borderlands"-Spiel legt man sich ja aus anderen Gründen zu, nämlich wegen der skurrilen Charaktere und der abgefahrenen Handlung. Und daran mangelt es auch im Adventure-Ableger des Franchises nicht. So kontrollieren wir abwechselnd gleich drei Antihelden: Die intelligente, aber soziophobe Wissenschaftlern Anu, ihren nicht allzu cleveren Adoptivbruder Octavio und Fran, Besitzerin eines Froghurt-Shops mit einem ausgeprägtem Aggressionsproblem. Abgerundet wird die illustre Truppe durch den nichtspielbaren Attentäter-Bot LOU13.

Octavio ist nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte.
Foto: Screenshot

Die Story entfaltet sich im Lauf der kommenden Spielstunden ebenso wie die Charaktere sich entwickeln. So arbeitet Anu für einen der genannten Rüstungskonzerne und hat dort ein Gerät erfunden, das wie eine Waffe aussieht, aber Menschen in eine andere Dimension teleportiert, anstatt sie zu töten. Das schmeckt ihrem Chef nicht, der sie sogleich feuert, kurz bevor ein anderer Rüstungskonzern einen Angriff auf das Headquarter ihres Arbeitgebers und den dazugehörigen Planeten startet.

Zu viel soll an dieser Stelle von der Story nicht verraten werden. Gesagt werden darf aber, dass Anu auf dem Planeten mit den anderen Charakteren zusammenkommt und die Handlung immer absurdere Ausmaße annimmt. So gründen wir im Lauf des Spiels ein Start-up, wobei mit Seitenhieben auf diese Szene ebenso wenig gegeizt wird wie mit popkulturellen Referenzen. So heuern wir einen hübschen, aber nicht sonderlich nützlichen Praktikanten an und treten in einer TV-Show auf, die an eine blutige Version von "2 Minuten 2 Millionen" bzw. "Die Höhle der Löwen" erinnert. Und Fran hat in ihrem Shop eine Webcam, mit der sie einen Service namens "OnlyFrans" betreibt.

Der Fortschritt wird am Ende jedes Kapitels angezeigt, außerdem kann das Aussehen der Charaktere geändert werden.
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Die Charaktere entwickeln sich dabei ebenso weiter wie die Beziehungen der drei Antihelden zueinander. So sehen wir am Ende eines jeden Kapitels, wie die drei zueinander stehen, wie der Team-Zusammenhalt allgemein ist, welche Entscheidungen wir getroffen haben und wie viele andere Spieler diese Entscheidungen getroffen haben. Geprägt wird diese Entwicklung hauptsächlich durch die Dialogentscheidungen, die wir wie zuvor erwähnt unter Zeitdruck treffen.

Vaultlanders!

Unterbrochen wird die Handlung und das eigentlich recht eintönige Gameplay immer wieder durch einzelne Minispiele – allen voran eine obskure Erfindung namens "Vaultlanders". Bei den Vaultlanders handelt es sich um kleine Actionfiguren, die Abbilder der Charaktere aus anderen "Borderlands"-Spielen sind. Diese lässt man gegeneinander antreten, indem man entweder hektisch auf die linke Maustaste klickt oder – wie sollte es anders sein – im richtigen Moment die richtige Taste auf dem Keyboard drückt.

"Vaultlanders" ist so bescheuert, dass es schon wieder Spaß macht.
Foto: Screenshot

Auch hier kann man nicht von einer spielerischen Herausforderung sprechen, ich habe während der gesamten Spielzeit kein Match verloren. Unterhaltsam ist es aber trotzdem, weil nicht nur die Mini-Games selbst, sondern auch die dazugehörige Rahmenhandlung äußerst skurril sind. Der ganze Planet ist nämlich davon besessen, die besagten Figuren einzusammeln, und ein besonders hartnäckiger Fan taucht immer wieder an den seltsamsten Orten auf, um uns zu einer neuen Partie herauszufordern.

Ansonsten hat Octavio noch eine Smartwatch, mit der er elektronische Geräte hacken kann, indem man – Sie ahnen es schon – immer im richtigen Moment auf die richtige Taste drückt. Und gegen Ende des Spiels hat Fran noch einen schrägen Gastauftritt im Genre der rundenbasierten JRPG-Kämpfe.

Derber Humor und ein denkwürdiger Abschluss

Wieder einmal lebt ein "Borderlands"-Spiel somit von seinen obskuren Figuren und seinem derben Humor, der die Grenze zur Geschmacklosigkeit nicht nur streift, sondern oft auch überschreitet. So haben die Charaktere meist einen flotten Spruch auf den Lippen, wenn sie ihren Widersachern gegenüberstehen – Octavio macht sich einmal aber auch stattdessen flott ins Höschen, wenn der Spieler sich dazu entscheidet.

Anu wiederum muss während eines Besuchs in einer Leichenhalle einen herabgefallenen Kopf wieder zurück an einen Körper montieren, Fran sieht im Praktikanten lediglich ein Lustobjekt. Und dann gibt es noch Brock – ein sprechendes Maschinengewehr, das beleidigt ist, weil wir es in Octavios Hose gesteckt haben und es daher an unseren Genitalien riechen musste. Gespien wird auch ein paar Mal im Lauf des Spiels, sinnlos geballert und geblutet wird sowieso.

Gegen Ende bemüht sich "New Tales from the Borderlands" um einen emotionalen Abschluss.
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Man muss einen entsprechenden Sinn für Humor mitbringen, um über so etwas lachen zu können – das war schon bei vorherigen Spielen des Franchises so. Zugleich schafft "New Tales of the Borderlands" aber auch etwas, das man in Games sonst eher selten sieht: Es fordert am Ende auf, über das Töten in Computerspielen zu sinnieren, indem Anu mit ihren Handlungen konfrontiert wird. Lachen wird an dieser Stelle niemand, manche werden wohl nachdenken, viele Spieler vermutlich auch einfach weiterklicken.

Fazit: wenig Herausforderung, viel Klamauk

Es ist eigentlich falsch, "New Tales of the Borderlands" als Computerspiel zu bezeichnen. Viel mehr handelt es sich um einen schön animierten Zeichentrickfilm, dessen Handlung man an einzelnen Stellen mitgestalten kann. Eben diese Handlung ist es auch, die das Spiel ausmacht – zusammen mit der Entwicklung der Charaktere und den derben Sprüchen.

Ich gestehe, dass ich primitiv genug bin, um während des Durchspielens ein paar Mal gelacht zu haben. Ob man selbst auf einem ähnlich seichten Niveau agiert und bereit ist, dafür die äußerst schwachen, beziehungsweise nicht vorhandenen Rätsel zu akzeptieren, muss jeder Mensch für sich selbst entscheiden. (Stefan Mey, 20.10.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Exemplar des Spiels wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.