Vor der Büste des Stifters Alfred Nobel erhielt Anton Zeilinger (links) die Nobelpreismedaille und Urkunde vom schwedischen König.
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Fast 50 Jahre ist es her, dass zuletzt ein wissenschaftlicher Nobelpreis nach Österreich ging. Am Samstag hat Anton Zeilinger die lange Durststrecke in Stockholm durchbrochen. Für seine Experimente zu verschränkten Teilchen überreichte ihm der schwedische König Carl XVI. im Stockholmer Konzerthaus die Physiknobelpreismedaille des Jahres 2022.

Die Nobelpreiszeremonie vom 10. Dezember zum Nachsehen: Ab Minute 28 werden die Physiknobelpreise verliehen. Video: Nobel Foundation
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Nach zwei Jahren Corona-bedingter Pause fand die diesjährige Nobelpreiszeremonie heuer wieder in gewohntem opulentem Rahmen statt. Die Nobelpreisfeier ist nicht nur krönender Abschluss des Wissenschaftsjahrs, sondern auch ein gesellschaftliches Großereignis. Unter den 1500 geladenen Gästen fanden sich sämtliche Angehörige des schwedischen Königshauses sowie Laureaten und Laureatinnen der vergangenen Jahre, Politiker und Familienmitglieder der aktuellen Nobelpreisträger.

Auch Angehörige des schwedischen Königshauses nahmen an der Nobelpreis-Zeremonie teil. Von links nach rechts: König Carl XVI. Gustaf und seine Ehefrau Silvia. Hinter ihnen nahm ihre Tochter Victoria, die schwedische Kronprinzessin, und ihr Ehemann Daniel Platz.
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"Schicksal gestalten"

In seiner Eröffnungsrede betonte der Vorsitzende der Nobelstiftung, Carl-Henrik Heldin, die Bedeutung der Auszeichnung: "Die Nobelpreisträger sind Teil einer Gemeinschaft, die die Welt auf tiefgreifende Weise verändert hat. Sie demonstrieren die Fähigkeit, die wir als menschliche Wesen haben, unser eigenes Schicksal zu gestalten."

Mats Larsson, Professor für Physik an der Universität Stockholm, hielt die Laudatio für die diesjährigen Physiknobelpreisträger Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger. Zu Beginn seiner Ausführungen umriss er die einstige Debatte um die Vollständigkeit der Quantenphysik, die sich Mitte der 1930er-Jahre zwischen Albert Einstein, Niels Bohr und Erwin Schrödinger entsponnen hatte.

In der ersten Reihe nahmen alle diesjährigen Nobelpreisträger den Kategorien Physik, Chemie, Medizin, Literatur und Wirtschaftswissenschaften Platz.
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"Gewaltiger Sprung"

"Die meisten Physiker schlugen sich auf Bohrs Seite und nahmen Schrödingers Charakterisierung von Verschränkung zur Kenntnis, aber zum größten Teil waren sie nicht interessiert", sagte Larsson. Das änderte sich erst durch die Beiträge des irischen Physikers John Bell aus den 1960er-Jahren, durch die ein Weg skizziert wurde, die alte philosophische Debatte experimentell zu entscheiden. Den Nachweis erbrachten schließlich die drei diesjährigen Physiklaureaten.

"Das war ein gewaltiger Sprung von Zeilingers österreichischem Vorgänger Schrödinger, und es ist bemerkenswert, wie der Kreis in Österreich seinen Anfang nahm und auch wieder in Österreich geschlossen wurde. Wir sind in die zweite Quantenrevolution eingetreten!", schloss Larsson seine Preisrede.

Der frischgekürte Nobelpreisträger Anton Zeilinger, kurz nachdem er die Nobelmedaille und Urkunde erhalten hat.
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Strenges Protokoll

Im Anschluss traten die Laureaten jeweils einzeln vor König Carl XVI. – alles streng nach Protokoll. Nach der Überreichung der goldenen Nobelpreismedaille und der Urkunde schüttelten die Preisträger dem König die Hand. Dann folgte eine Verneigung vor dem König, eine weitere vor den Vertretern der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften und eine dritte vor dem Publikum.

Im Anschluss an die Physiknobelpreisträger wurden die Laureaten der Kategorie Chemie ausgezeichnet: die US-Chemikerin Carolyn Bertozzi, der Däne Morten Meldal und der US-Amerikaner Barry Sharpless. Für Letzteren war es gar der zweite Chemienobelpreis – die Choreografie der Verbeugungen brachte ihn aber dennoch sichtlich durcheinander. Sharpless’ erste Nobelpreisfeier liegt allerdings schon einige Jahre zurück – im Jahr 2001 wurde er das erste Mal ausgezeichnet.

Als einzige weibliche Nobelpreisträgerin in einer wissenschaftlichen Kategorie im Jahr 2022 kam der US-Chemikerin Carolyn Bertozzi besondere Aufmerksamkeit zu.
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Weitere Laureaten

Als alleiniger Preisträger in Medizin konnte sich heuer der in Deutschland tätige Schwede Svante Pääbo durchsetzen. Weiters wurde die Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux ausgezeichnet sowie die Empfänger der Nobel-Gedächtnismedaille für Wirtschaftswissenschaften Ben Bernanke, Douglas Diamond und Philip Dybvig.

Auch der Friedensnobelpreis wurde am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, verliehen, allerdings in Oslo. Ausgezeichnet wurden heuer der Rechtsanwalt Ales Bjaljazki (Belarus), die Menschenrechtsorganisationen Memorial (Russland) und das Zentrum für bürgerliche Freiheiten (Ukraine).

Beim abendlichen Bankett saß der Schwedische Medizinnobelpreisträger Svante Pääbo neben der Kronprinzessin Victoria. Die Durchmischung von Nobelpreisträgern und Angehörigen des schwedischen Königshauses hat beim Nobel-Bankett Tradition.
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Zeichen für Wissenschaft

Als offizieller Vertreter Österreichs wohnte auch Wissenschaftsminister Martin Polaschek der Nobelpreiszeremonie bei. "Es ist ein schönes Zeichen für die österreichische Wissenschaft", sagte Polaschek unmittelbar vor dem Festakt. "Ich sehe das als Motivation und Ansporn, weiterhin in diesem Bereich aktiv zu sein und alles dafür zu tun, damit wir auch in Zukunft einen guten Wissenschaftsstandort haben."

Gratulationen an Zeilinger kamen auch von seinem Nachfolger als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Heinz Faßmann, der die Zeremonie aus Wien verfolgte: "Heute ist ein großer Tag für den unbeugsamen Grundlagenforscher Anton Zeilinger, aber auch für die Wissenschaft in Österreich."

Beim feierlichen Bankett nach der Nobelpreis-Zeremonie teilte sich Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger (links) den Tisch mit Professorin Evi Heldin von der Universität Uppsala, König Carl XVI. Gustaf und Chemienobelpreisträgerin Carolyn Bertozzi (rechts).
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Ereignisreiche Nobel-Woche

Die Feierlichkeiten am Samstag waren der Abschluss einer dichtgedrängten Woche für die Laureaten. Zu Beginn der Woche stattete Zeilinger dem Nobelmuseum einen Besuch ab. Dort sind nun Teile des Equipments zu sehen, mit dem Zeilinger einst die nobelpreisprämierte Arbeit durchführte. Weiters gab es einen Empfang mit Zeilinger für Auslandsösterreicher in der österreichischen Botschaft in Stockholm.

Ein weiteres Highlight war die Nobelpreisvorlesung der Laureaten am Donnerstag. Bei minus zehn Grad Celsius standen Interessierte am Donnerstagmorgen vor der Aula Magna der Universität Stockholm Schlange, um aus erster Hand von den Nobelpreisträgern zu erfahren, wofür sie überhaupt ausgezeichnet werden. Die Laureaten kamen der nicht ganz einfachen Aufgabe sichtlich mit Vergnügen nach.

Die Nobelpreis-Vorlesungen von Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger zum Nachsehen. Video: Nobel Foundation
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Verschlüsselte Venus

Clauser beispielsweise breitete genüsslich aus, wie Einsteins Vorstellung von lokalem Realismus nach und nach zu Grabe getragen wurde – wesentlich durch die diesjährigen Physiknobelpreisträger.

Auch Zeilinger hatte launige Schmankerln vorbereitet, etwa als er über die erste quantenverschlüsselte Übertragung eines Bildes berichtete. Er hatte dafür ein Motiv gesucht, das "österreichisch und vollkommen friedlich" sei – und landete bei der Venus von Willendorf. 30.000 Jahre nach ihrer Anfertigung kam sie zum Handkuss für eine quantenverschlüsselte Weltpremiere: "Das war das einzige Mal, dass eine nackte Frau in den 'Physical Review Letters' abgedruckt wurde", scherzte Zeilinger.

Die traditionellen Nobelpreis-Vorlesungen fanden in der Aula Magna der Universität Stockholm statt.
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Die Nobelpreiswoche in Stockholm ist nun zu ihrem Ende gekommen, aber die Feierlichkeiten werden für Zeilinger so rasch nicht abreißen: Die Universität Innsbruck verleiht ihm einen Ehrendoktor, die Republik Österreich würdigt ihn mit dem Silbernen Ehrenkreuz, und an der Universität Wien wird Zeilinger im Jänner seine Nobelpreisvorlesung noch einmal halten – am 25.1. im Wiener Audimax. So rasch wird es also wohl nicht ruhig um die preisgekrönten Quanten. (Tanja Traxler, 11.12.2022)