Straßenblockade im Dezember in Graz: Wieviel illegaler Protest ist noch legitim?

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Die Wahlkämpferin lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen. Pünktlich zum Start jener Woche, für die Klimaaktivisten tägliche Straßenblockaden in Wien angekündigt haben, ruft Niederösterreichs Landeshauptfrau nach strengeren Strafen. Schließlich gefährdeten Aktionen wie diese Leib und Leben, wenn Rettung oder Feuerwehr im verursachten Stau steckenbleibe.

Die ÖVP-Landeschefin darf Zuspruch nicht nur von jenen erwarten, die im Verkehrschaos Zeit und Nerven verlieren. Auch völlig emotionslos lässt sich argumentieren, dass sich vom Wahl- bis zum Demonstrationsrecht genügend legale Wege bieten, um für politische Ziele zu kämpfen. Wie soll die Gesellschaft funktionieren, wenn jede Splittergruppe, die sich übergangen fühlt, den anderen ihre Haltung mit widerrechtlichen Mitteln aufzuzwingen versucht?

Ziviler Ungehorsam befeuerte Grün-Bewegung

Allerdings birgt diese Perspektive eine Lücke: Sie geht vom Trugbild der perfekten Demokratie aus. In der Realität aber macht die Trägheit der etablierten Ordnung es schwer, einem neuen Anliegen eine Bühne zu bieten. Gerade der Aufschwung der Umweltbewegung wäre ohne zivilen Ungehorsam undenkbar gewesen. Hätten sich die Aubesetzer von Hainburg 1984 Gesetzeslage und Staatsgewalt gefügt, hätte der grüne Gedanke hierzulande wohl viel langsamer und schwächer um sich gegriffen.

Doch wo lässt sich die Grenze ziehen, wie viel illegaler Protest legitim ist? Ob eine Idee Unterstützung verdient oder nicht, hängt von subjektiver Einschätzung ab. Bei vielen klimabewegten Bürgerinnen und Bürgern wäre es mit dem Verständnis für Straßenblockaden wohl rasch vorbei, würden stattdessen Gegner der Corona-Regeln – wie andernorts passiert – den Verkehr lahmlegen.

Da offenbart sich eine Schwäche in der Argumentation der Asphaltankleber: Im Gegensatz zur Frühzeit der Umweltbewegung lässt sich heute schwer behaupten, dass ihr Thema andernfalls untergehen würde. Die Klimakrise prägt längst Wahlkämpfe und Debatten. Sicher, die Reaktion der Politik fiel nicht nach Wunsch der Aktivisten aus. Doch das werden Anti-Corona-Maßnahmen-Kämpfer ihrerseits eben auch beklagen.

Kollateralschäden des Protests

Gegen die Aktionen spricht ebenso das nicht wegzudiskutierende Risiko. Reifen die Luft auszulassen und andere Manipulationen an Autos sind ohnehin jenseitig, doch auch Straßenblockaden können gefährliche Kollateralschäden auslösen. Selbst wenn die Aktivisten geloben, stets eine Spur freizuhalten: Dass eine Rettung im Stau wertvolle Minuten verliert, wird sich nie ausschließen lassen.

Ob die vorgesehenen Strafen einem solchen Fall, der in der Kausalität nachzuweisen wäre, angemessen sind, kann man diskutieren. Ehe jedoch in beliebter Manier der Mitte-rechts-Politik nach Verschärfungen gerufen wird, bedarf es einer seriösen Analyse des Status quo.

Bis dahin sollten sich die Aktivistinnen und Aktivisten fragen, ob sie diese Debatte nicht mit einer Verlegung auf andere Strategien obsolet machen wollen. Ein gewisses Maß an Provokation ist unverzichtbar, um die Aufmerksamkeit der zur Abstumpfung neigenden Öffentlichkeit zu bewahren, doch Aufregung, Schlagzeilen und Konfrontation sind kein Selbstzweck. Ziel muss sein, einen wachsenden Teil der Bevölkerung für den Klimaschutz zu gewinnen. Die Letzte Generation aber läuft Gefahr, das Gegenteil auszulösen – indem sie mehr Unüberzeugte verprellt als erreicht. (Gerald John, 9.1.2023)