Vielleicht rutscht man auf der Beliebtheitsskala etwas nach unten, dem eigenen Wohlbefinden hilft Nein sagen aber.
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Jeder hat bestimmte Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Zu- und Abneigungen. Für die Lebensführung bedeutsam ist es, sich das einzugestehen und dazu zu stehen. Doch das bedeutet im praktischen Alltagshandeln: Das klare Ja zu sich selbst fordert oft auch ein ebenso klares Nein zu anderen. Wer vor dieser Konsequenz zurückschreckt, verleugnet sich selbst. Im Privat- wie im Berufsleben gelingt es ohne Nein nicht, zu dem zu stehen, was als wichtig angesehen und angestrebt wird. Was nicht zuletzt auch bedeutet, davor auf der Hut zu sein, sich von anderen be- und ausnutzen oder manipulieren zu lassen.

Und hinsichtlich dessen sind es insbesondere die im Nachhinein so oft bereuten Gefälligkeits- oder Gefügigkeitshandlungen, die oft darauf hinauslaufen. Dazu zählt auch die vorbehaltlose Bereitschaft, sich Argumentationen wie "Das ist hier so üblich" oder "Das haben wir schon immer so gemacht" zu fügen. Eine ganz besondere Brisanz für die autonome Lebensgestaltung geht von der Bereitwilligkeit aus, sich auf ein mit unüberhörbarer Erwartung eines freudigen Ja formuliertes Angebot zur Beförderung in eine Führungsposition einzulassen, wenn man sich in einer Fachposition wohl und vom Persönlichkeitszuschnitt her am absolut richtigen Platz fühlt.

Klare Position

Das vermeintlich "soziale" Ja zu anderen birgt mithin stets die Gefahr, zu einem unsozialen Nein der eigenen Person gegenüber zu werden. "Wer seinen eigenen Weg im Leben gehen will, muss deshalb nicht nur sehr klar Ja zu all dem sagen, was ihn auf diesem Weg hält, sondern auch ebenso deutlich Nein zu all dem, was ihn von diesem Weg abzubringen droht", betont der Neurowissenschafter Gerald Hüther, der nach seiner Emeritierung in Göttingen die Akademie für Potentialentfaltung gegründet hat.

Hüther erinnert daran, dass, wer in bestimmten Situationen nicht deutlich Nein sagen kann, genauso wenig in der Lage sein wird, zu sich selbst oder zu einer anderen Person oder einer gemeinsamen Unternehmung vorbehaltlos Ja zu sagen. In diesem Manko kommen für ihn fehlender Mut zu und vor allem wenig Klarheit über sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zum Ausdruck. Sein Resümee: "Aus der Perspektive der Lebensqualität betrachtet, ist das die Aufforderung, an sich zu arbeiten."

Die Scheu vor dem Nein hat mancherlei Gründe. Nicht wenigen fällt es schwer, ganz klar für oder gegen etwas zu sein. Im Umgang fallen sie einerseits als ewige Bedenkenträger, Zauderer und Zögerer auf. Andererseits als nervtötende Hundertprozentige, die alles noch einmal und noch einmal hin und her überlegen und einfach nicht den Absprung vom Wägen zum Wagen finden. Die Verstrickung in die eigene Unentschlossenheit verhindert in der Sache wie im Persönlichen immer wieder das eigentlich angebrachte Nein.

Wunsch nach Harmonie

Auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Verbundenheit, aber auch danach, sich nicht angreifbar zu machen, hindert nicht weniger häufig daran, sich klar zu positionieren. Dieses Bedürfnis ist nicht selten so stark ausgeprägt, dass selbst dann immer noch nicht Nein gesagt wird, wenn durch dieses Unvermögen die eigenen Interessen, Absichten oder Wünsche klar konterkariert werden, was faktisch einer Selbstverleugnung gleichkommt. Gelingt es, sich aus dieser Bedürfnistriage zu befreien, ist das nicht nur für die eigene Person ein Gewinn, sondern auch eine "Erlösung" für die Menschen im privaten wie beruflichen Umfeld. Solchermaßen unsichere Menschen haben die belastende Eigenschaft, aus ihrer inneren Uneindeutigkeit heraus alles fehlzuinterpretieren und dann schnell beleidigt und eingeschnappt zu reagieren.

Ein mächtiger Grund, der vor dem eigentlich notwendigen Nein zurückschrecken lässt, entwickelt sich auch aus der Erfahrungstatsache, dass ein klares Nein oft als Affront aufgefasst wird. Im Lauf des Lebens werden bestimmte Erkenntnisse gewonnen und Ideen und Vorstellungen entwickelt, die sich zu Überzeugungen verfestigen und das eigene Selbstverständnis prägen. Wird nun den sich aus diesem Selbstverständnis entwickelnden Ansinnen oder Ansprüchen mit einem klaren Nein begegnet, wird das schnell als Brüskierung, Bedrohung oder Angriff aufgefasst. Aus solchermaßen verletzten Empfindungen entwickeln sich immer wieder die heftigsten Zerwürfnisse und Feindschaften und lodernde Rachegelüste.

Nicht unbeliebt werden

Deshalb sorgt die Befürchtung, sich unbeliebt zu machen oder sich Ungemach einzufangen, gerade im Umgang mit Vorgesetzten bzw. Höhergestellten laufend dafür, vor dem Nein zurückschrecken. In Teamsitzungen ist es die Sorge, sich damit in der Gruppe zu isolieren.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma liegt darin, die selbstbeschädigende Wirkung eines dezidierten Nein dadurch abzufangen oder zumindest abzumildern, dass es begründet wird. Dann bekommt es die Qualität eines Meinungs- oder Diskussionsbeitrags, und das nimmt ihm das (vermeintlich) Konfrontative. Unverzichtbar ist diese Begründung stets, wenn mit anderen an einer gemeinsamen Sache zusammengearbeitet wird. Dann gehört es sich ganz einfach, die mit einem Nein von der Gruppenmeinung abweichende eigene Meinung zu erläutern.

Ein Wort mit Sprengkraft

Tatsache ist: Nein ist ein Wort mit Sprengkraft. Eine Lebensweisheit von Goethe zeigt die Möglichkeit auf, diese zu entschärfen: "Das Was bedenke, mehr bedenke Wie!" Oft genug wirkt ja gar nicht das eigentliche Nein so explosiv, sondern die Art und Weise, in der es in den Raum gestellt wird. Je nachdem wie, kann Nein als brüske oder verletzende Zurückweisung oder als Ausdruck einer schlicht anderen Meinung verstanden werden. Die Tonalität, in der Nein gesagt wird, bestimmt, wohin das emotionale Pendel ausschlägt. Womit die Kunst des Miteinander-Redens und die Sinnhaftigkeit, sich darin zu üben, ins Spiel kommen.

Von allen gemocht zu werden ist auch im Arbeitskontext ein Bedürfnis vieler. Leichtfertig wird zu allem Ja gesagt, obwohl man eigentlich anderer Meinung ist oder keine weiteren Kapazitäten für die Arbeit hat. (Hartmut Volk, 16.2.2023)