Russlands Präsident Wladimir Putin ist der erste amtierende Staatschef einer Atommacht, gegen den der Internationale Strafgerichtshof Anklage erhebt.

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Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehl gegen den russischen Staatschef Wladimir Putin erlassen – erstmals gegen einen amtierenden Präsidenten einer Atommacht. Das ist ein starkes, auf strengen völkerrechtlichen Regeln basierendes Signal an all jene, die glauben (wollen), dass Kriegsverbrechen im Ukrainekrieg nur von einzelnen, skrupellosen Individuen oder Gruppen begangen werden.

Es geht um den Vorwurf der Verantwortung für "unrechtmäßige Deportationen" ukrainischer Kinder nach Russland, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ob Putin je in Den Haag vor Gericht stehen wird, ist natürlich längst nicht gesagt. Aber die internationale Ächtung, die durch diese umfangreiche Beweisführung zunehmen wird, kann Putin nicht ungerührt lassen.

Zwar erkennt Russland den IStGH nicht an, aber 123 Staaten tun das sehr wohl, darunter befinden sich auch Moskau nahestehende Staaten wie Brasilien, Südafrika, Venezuela oder Mali. In diesen Ländern müsste Putin also, würde er dorthin reisen, umgehend festgenommen werden. Dass der Haftbefehl nicht auf dem Vorwurf des Angriffskriegs beruht, liegt übrigens daran, dass die Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes dafür einfach nicht vorliegen.

Wichtiger Beitrag

Der Haftbefehl ist trotzdem zu früh? Chancenlos? Reine Symbolpolitik oder sogar Behinderung von Friedensverhandlungen? Die Antworten auf diese Fragen sind derzeit schwer zu geben. Jedenfalls wird Putins Bereitschaft für Verhandlungen nicht von Sympathiewerten beeinflusst. Verhandlungen wird es dann geben, wenn die Kosten für den Krieg aus Russlands Sicht einfach zu hoch werden.

Die Arbeit des IStGH und der Untersuchungskommission für die Ukraine des UN-Menschenrechtsrats haben aber einen hohen Wert für Opfer und nachfolgende Generationen. Denn mit der Ahndung und Dokumentation von Kriegsverbrechen kann man nie früh genug beginnen. Das ist nicht zuletzt eine Frage von Moral und Gerechtigkeit. Wie bei anderen Konflikten wird die Aufarbeitung dieses Krieges auf beiden Seiten Jahrzehnte dauern. Der IStGH leistet dabei auch für die Aggressoren einen wichtigen Beitrag: die Konfrontation der Bevölkerung mit Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden. (Manuela Honsig-Erlenburg, 18.3.2023)