Nicola Sturgeon und ihr Ehemann Peter Murrell.

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"Ein wenig mehr Privatsphäre" – diesen Wunsch gab Nicola Sturgeon zu Wochenbeginn als einen wichtigen Grund für ihren kürzlichen Rückzug vom Amt der schottischen Ministerpräsidentin an. Daraus wird vorläufig nichts. Am Mittwoch nahm die Kriminalpolizei Peter Murrell, den Ehemann der 52-Jährigen, vorläufig in Haft. Dem langjährigen Generalsekretär der Nationalpartei SNP werden Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den Parteifinanzen vorgeworfen. Für die SNP sie dies "ein schwieriger Tag", räumte Humza Yousaf ein, der Sturgeon erst vergangene Woche im höchsten Partei- und Staatsamt beerbt hat.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass Murrell wieder freigelassen worden sei. Es sei noch keine Anklage erhoben worden. Allerdings seien noch immer Beamte vor dem Haus des Paares in Glasgow stationiert, im Vorgarten sei ein Zelt der Ermittler aufgebaut. Ein Polizeisprecher sagte, die Ermittlungen dauerten an

Der Schatten eines Ermittlungsverfahrens lastete bereits seit dem Sommer 2021 über der seit Jahren unangefochtenen Nationalpartei. Im vergangenen Jahr wurde Murrell bereits als Beschuldigter vernommen. Zur Debatte steht die Summe von knapp 670.000 Pfund, also umgerechnet rund 760.000 Euro. Das Geld hatte die SNP zwischen 2017 und 2020 von Unterstützern als Kriegskasse für das angestrebte zweite Referendum über Schottlands Unabhängigkeit zusammengebettelt.

Problematische Parteibilanzen

Als die Parteibilanzen fürs Kalenderjahr 2019 wenig mehr als die Hälfte dieser Summe als Guthaben auswiesen, schlugen mehrere Bürger und Bürgerinnen Alarm. Die Kripo nahm sich der Sache an. Auch die unabhängige Parteiaufsicht musste sich mit der SNP und Murrell befassen. Dabei ging es um ein sechsstelliges Darlehen des Sturgeon-Ehemanns für seine Partei, das erst mit erheblicher Verspätung gemeldet worden war. Die mittlerweile zurückgezahlte Summe von umgerechnet rund 120.000 habe zur Überwindung temporärer "cash flow-Probleme" gedient. Sie habe von der ganzen Sache nichts gewusst, teilte Sturgeon damals mit.

Murrell arbeitet seit drei Jahrzehnten für die SNP, zunächst als Büroleiter des aufstrebenden Abgeordneten Alex Salmond. Als der charismatische Politiker den Vorsitz übernahm, hielt ihm Murrell in der Parteizentrale den Rücken frei, von 1999 an in der Funktion als Generalsekretär. Auf diesem Posten blieb er auch, als seine langjährige Partnerin und seit 2010 Ehefrau Sturgeon Parteivorsitz und Regierungsamt von Salmond übernahm. Längst genoss Murrell den Ruf als stalinistischer Strippenzieher.

Solange der Erfolg dem Power-Paar recht gab, wurde die parteiinterne Kritik an dieser Machtzusammenballung im Keim erstickt. Zwar ging das Unabhängigkeitsreferendum 2014 mit 45:55 Prozent verloren, doch eilte die SNP seither von einem Wahlsieg zum anderen, befördert zudem vom Brexit, den die Schotten 2016 mit 62:38 Prozent klar ablehnten.

Schwindeleien bezüglich Parteigröße

Nach Sturgeons Rücktrittsankündigung blamierte sich die Partei in der Öffentlichkeit mit Schwindeleien über ihre Stärke. Nachdem der zunächst noch im Amt verharrende Murrell wochenlang behauptete, die Partei verfüge über mehr als 100.000 Mitglieder, wurde Mitte März plötzlich deutlich: Binnen 14 Monaten hatten rund 30.000 Schotten die SNP verlassen, darunter wohl viele, die Anstoß nahmen an einem hochumstrittenen Transgender-Gesetz. Diesem hat die konservative Londoner Zentralregierung unter Premier Rishi Sunak mit Hinweis auf die Gleichbehandlung aller Briten einen Riegel vorgeschoben. Der Generalsekretär trat zurück.

Am Mittwoch durchsuchte die Kripo sowohl die SNP-Parteizentrale in Edinburgh wie das Privathaus des Ehepaares Sturgeon/Murrell in der Nähe von Glasgow. Den 58-Jährigen unterzogen die Beamten einem mehrstündigen Dauerverhör. Bohrende Fragen für Regierungschef Yousaf und seine Vorgängerin hat auch die Opposition im Edinburgher Parlament. Von einer "sehr ernsten Situation" sprachen unisono die regionalen Chefs der Konservativen und der Labour-Party. Als "sehr traurig" beschrieb Alex Salmond, der die Nationalpartei im Streit verlassen hatte, seine Stimmung. Immerhin könnte Salmonds neue Alba-Partei vom Chaos bei der Konkurrenz profitieren. (Sebastian Borger aus London, 5.4.2023)