Die FPÖ hat in letzter Zeit umso mehr zugelegt, je giftiger ihr Chef Herbert Kickl auf Ausländer und abgehobene Eliten geschimpft hat. Gleichzeitig hat der Salzburger KPÖ-Chef Kay-Michael Dankl mit seinem kompromisslosen Eintreten für Arme und Wohnungslose einen unerwarteten Erfolg eingefahren, und auch der linke Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler hat bei der SPÖ-Mitgliederbefragung Sympathien gewonnen.

Politiker wie KPÖ-plus-Spitzenkandidat Kay-Michael Dankl spenden einen Teil ihres Einkommens. Damit vereinen sie eine ur-christliche und ur-linke Tradition.
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Was man daraus ableiten kann: Es gibt derzeit eine Menge Wut in der Gesellschaft, aber auch eine große Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit.

Für beides gibt es gute Gründe. Die jüngste Caritas-Studie hat dargestellt, dass hunderttausende Menschen in Österreich unter der Armutsgrenze leben. Diese beträgt 1400 Euro im Monat, und die Mittelstandsbürger fragen sich, wie man mit weniger als diesem Minimum menschenwürdig leben kann. Man kann es nicht.

Und man versteht, dass den Menschen in dieser Situation die Demokratie, der Weltfrieden, die Klimakrise und die Pressefreiheit herzlich egal sind, weil sie ums schiere Überleben kämpfen müssen. Wenn Kickl, Viktor Orbán und Co versprechen, dieses Überleben besser zu sichern als andere – nur zu.

Auch beim jüngsten Wiener 1.-Mai-Aufmarsch waren Spuren dieser Stimmung sichtbar. Ein Transparent lautete "Sesselpicker, hört die Signale!" Ein anderes: "Nicht die Regeln, die bisher galten – die Basis soll die Macht erhalten!"

Die Basis will mehr Geld und weniger Armut, egal wie. Und die allermeisten Österreicher und Österreicherinnen verstehen nicht, wieso es in einem kleinen und immer noch reichen Land wie dem unseren nicht möglich ist, die tiefe Kluft zwischen Oben und Unten, Reich und Arm, weniger tief zu machen.

Nicht, dass die "Sesselpicker" – gemeint waren offensichtlich die Politiker – die Signale nicht gehört hätten. Bundeskanzler Karl Nehammer will "die Gräben zuschütten" und hat eine diesbezügliche wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben. Politische Parteien und Experten überbieten einander mit Vorschlägen. Senkung der Mehrwertsteuer, Mietpreisdeckel, Maßnahmen gegen die Inflation. (Die FPÖ weiß noch eine Methode: "Ausländer" raus, dann bleibt mehr für "unsere Leut").

Bei einer Caritas-Veranstaltung in Graz vor einigen Jahren gab es Standing Ovations für die damalige kommunistische Wohnungsstadträtin Elke Kahr, die, ebenso wie ihr Salzburger Kollege Dankl, Monat für Monat einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens für Bedürftige abzweigt. Hier begegneten einander, unabhängig von parteipolitischen Ideologien, die ur-christliche und die ur-linke Tradition. Sie besagt nichts anderes als: Wer mehr hat, als er braucht, soll etwas abgeben.

Utopie? Ja. Aber in einer Zeit, in der der zu verteilende Kuchen kleiner wird, ist sie auch der Ausdruck einer beharrlichen und unzerstörbaren Hoffnung. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 11.5.2023)