Wer braucht noch Netflix? Man kann auch einfach die österreichische Innenpolitik verfolgen. Die SPÖ hat in den vergangenen Wochen serienreifes Politainment geliefert – eine grobe Mischung aus Politik und Unterhaltung. Setzen wir uns also auf die Couch und lassen wir uns berieseln: verletzte Gefühle, Misstrauen, Drama? Alles dabei. Schlechte Comedy? Mehr als eine Woche lang wurde gewitzelt, ob eine Giraffe den SPÖ-Vorsitz übernehmen könnte. Die Mitgliederbefragung verlief – zugegeben – chaotischer, als man es in einem glaubwürdigen Drehbuch skizziert hätte. Und trotzdem: In der SPÖ wurde zuletzt so viel über Inhalte und Positionen gesprochen wie seit vielen Jahren nicht. Bitte mehr davon!

Den Sozialdemokraten ist nun inmitten des Führungsfiaskos etwas gelungen: Es ging (neben Organisationschaos und Gesetzesblockade-Populismus) auch um rote "policy".
Foto: Heribert CORN

Es wird in Parteien viel zu selten ernsthaft, ehrlich und sachbezogen diskutiert. Österreich wurde irgendwann zwischen Schüssel und Kurz zum Land der "Politik-Politik". Aber inzwischen hat davon wirklich jeder genug.

"Politik-Politik" ist ein österreichisches Kunstwort, das in der politikmedialen Blase erfunden wurde. Gemeint ist: mit sich selbst beschäftigte Politik. Ähnliche Gedanken stecken hinter der englischen Differenzierung zwischen "politics" und "policy". "Policy" steht für die inhaltliche Dimension von Politik: konkrete Forderungen, Konzepte, Programmatik. Mit "politics" ist hingegen mehr die "Politik-Politik" gemeint: das Taktieren der Spindoktoren, die Beschäftigung mit Personalia, das Spekulieren über Koalitionsvarianten; Strategien, um Wähler zu mobilisieren.

Die "Politik-Politik" hat ihre Berechtigung. Geht es nur mehr um den Schein und kaum noch um Substanz, bekommen Politiker aber ein Problem. Die allermeisten Wählerinnen und Wähler lassen sich – wenn überhaupt – nur für kurze Zeit blenden.

Innerparteiliche Debatten

Den Sozialdemokraten ist nun inmitten des Führungsfiaskos etwas gelungen: Es ging (neben Organisationschaos und Gesetzesblockade-Populismus) auch um rote "policy". Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden? Viertagewoche? Mindestlohn? Seit Wochen wird über arbeitsmarktpolitische Konzepte der SPÖ diskutiert. Lässt sich die Zweiklassenmedizin abschaffen? Zumindest einbremsen? Hans Peter Doskozil ist überzeugt: ja. Andreas Babler bescherte dem konservativen Österreich eine Diskussion über Marxismus. Es wurde gestritten in der SPÖ – auch inhaltlich. Das hat den linken Diskurs beflügelt.

Schwarze und grüne Spitzenpolitiker bekritteln in Hintergrundgesprächen derzeit häufig, dass die "Politik-Politik" überhandnehme. Ständig gehe es um das Verhältnis der ÖVP zur FPÖ, maulen Türkise. Grüne ärgern sich darüber, dass sie laufend zum Zustand der Koalition befragt werden – und nicht zu ihren Anliegen. Mit Inhalten komme man "kaum durch". Vielleicht sollten sich alle Parteien in diesem einen Punkt etwas von der SPÖ abschauen: Innerparteiliche Debatten über politische Inhalte können fruchtbar sein.

In einer Partei, in der gerade kein Führungsstreit tobt, erfordert das Mut – oder vor allem: unerschrockene Parteichefs und Parteichefinnen, die Kritik ertragen. Ein gesunder Umgang mit unterschiedlichen Meinungen innerhalb der eigenen Reihen kann eine Führungsspitze aber auch stark erscheinen lassen – und Kritikern Wind aus den Segeln nehmen.

Es wäre auch für uns Medien eine Herausforderung: ein Wahlkampf, in dem es tatsächlich um die besten Ideen geht. (Katharina Mittelstaedt, 21.5.2023)