John Carter ging auf die Knie und sagte: "Ich stehe erst wieder auf, wenn Sie Ihre Meinung geändert haben." Carter arbeitete in den frühen 1980ern bei Capitol Records als Produzent. Das Label hatte Tina Turner unter Vertrag genommen, doch nach einer Umstrukturierung wurde ihr gekündigt, noch bevor sie einen Ton aufgenommen hatte. Carter aber glaubte an Turners Potenzial — und seine dramatische Geste hatte Erfolg.

Tina Turner ist am Mittwoch im Alter von 83 Jahren verstorben. Ihre Fans versammelten sich vor ihrem Haus in der Schweiz und am Walk of Fame in Hollywood, um ihrer zu gedenken. 
DER STANDARD

1983 nahm sie eine Coverversion von Al Greens Let’s Stay Together auf und landete so einen Hit auf beiden Seiten des Atlantiks. Danach wollte Capitol dringend ein Album von ihr, sie lieferte. 1984 erschien das epochemachende Private Dancer. Es verkaufte sich 20 Millionen Mal und markierte den Aufstieg von Tina Turner zum Superstar. Sie verkaufte 200 Millionen Platten und war jene Frau im Pop, die das meiste Livepublikum an sich binden konnte: Bei einem Konzert in Rio de Janeiro spielte sie vor 188.000 Menschen – Weltrekord. Nun ist Tina Turner gestorben.

Tina Turner

Zwei Karrieren

Ihre Karriere umfasste eigentlich zwei Karrieren. Ihre erste begann, als sie noch ein Teenager war. In einem Club in St. Louis sah sie den Rock-'n'-Roll-Pionier Ike Turner und seine Kings of Rhythm. Der Zufall ergab, dass die gerade 17-Jährige ein Lied singen durfte. Ike Turner war angetan und fragte, ob sie Backgroundsängerin werden wolle. Sie wollte und wurde.

Tina Turner während eines Konzerts in Kalifornien im Jahr 2000.
Foto: REUTERS/Rose Prouser

1960, ein anderer Zufall. Die 20-Jährige springt für einen Sänger ein und nimmt A Fool in Love auf. Eigentlich wollte Ike Turner ihren Gesang später ersetzen, doch ein Radio-DJ überzeugte ihn davon, es nicht zu tun. Es wurde ein Hit, und aus der Backgroundsängerin Anna Mae Bullock wurde die Sängerin Tina Turner.

Gewalttätiger Ehemann

Anna Mae Bullock wurde am 26. November 1939 in Nutbush, Tennessee, geboren. Als sie elf Jahre alt war, trennte sich ihre Mutter von ihrem Mann und zog mit ihr nach Missouri, wo Anna Mae ihr Schicksal fand. Nach dem Erfolg von A Fool in Love ließ Turner "Ike and Tina Turner" als Marke eintragen. In den kommenden Jahren wurde daraus eines der erfolgreichsten Rhythm-'n'-Blues-Unternehmen seiner Zeit.

Die Konzerte mit den Ikettes genannten Backgroundsängerinnen waren so explosiv und lasziv wie jene von James Brown. 1962 – Tina war bereits zweifache Mutter – heiratete sie Ike, zwei Söhne aus seiner früheren Ehe adoptierte sie. Dann begann ihr Martyrium. Ike war ein Schläger und Vergewaltiger. Oft trug Tina dick Schminke auf, um bei Konzerten ihre Blutergüsse zu verstecken. Die "Ike and Tina Turner Revue" tourte unablässig, veröffentlichte meist mehrere Alben pro Jahr, trat mit den Rolling Stones und den größten Entertainern von Las Vegas auf.

Tina Turner bei einem Konzert in Köln im Jahr 2009.
Foto: AP Photo/Hermann J. Knippertz

1966 produzierte Phil Spector das Album River Deep – Mountain High, das als eines der besten der Sixties gilt. Spector gab Ike Turner 20.000 Dollar, damit er bei der Aufnahme des Titellieds dem Studio fernblieb. Es wurde ein Hit in England. Zu den größten Erfolgen von Ike and Tina zählten Proud Mary, Bet’cha Can’t Kiss Me (Just One Time), I Idolize You, Shake a Tail Feather, Nutbush City Limits oder Funkier than a Mosquito’s Tweeter.

Wenn Ike nicht auf der Bühne stand, kokste er und schlug seine Frau. 1968 unternahm Tina einen Suizidversuch, nach 14 langen Ehejahren reichte sie 1976 die Scheidung ein. Davor spielte sie in der Rock-Oper Tommy die Acid Queen oder nahm 1974 mit Tina Turns the Country On ihr Solodebüt auf.

Stilwechsel

Nach der Scheidung war sie zwar frei, doch außer ihrem Bühnennamen und Schulden wegen abgesagter Konzerte blieb ihr nichts aus 20 Jahren Karriere. Sie lebte mit ihren vier Kindern zwei Jahre lang von Sozialhilfe und putzte für Bekannte. Ihre Soloalben aus den späten 1970ern floppten, doch ihre Konzerte waren gut besucht. Ein Auftritt in Olivia Newton-Johns TV-Show brachte 1980 den Stein ins Rollen, für den John Carter 1983 in die Knie gehen sollte.

Tina Turner in der chinesischen Hauptstadt Peking im Jahr 2012.
Foto: AFP/MARK RALSTON

Ihr damaliger Manager Roger Davis veränderte Turners Musik. Weg von den gebrochenen Herzen des Rhythm 'n' Blues, hin zu einer rockigeren Ausrichtung. Das erwies sich als Erfolgsmodell. Die 1980er und 1990er gehörten Tina Turner. Nicht sie war Gast bei großen Stars, frühere Protegés wie David Bowie oder Mick Jagger schauten nun bei ihr für Gastauftritte vorbei.

Turner spielte im Film Mad Max 3 mit, ihr Song We Don’t Need Another Hero wurde ein Welterfolg, ebenso wie What’s Love Got to Do with It, Private Dancer, ihre Version von I Can’t Stand the Rain, Typical Male, Break Every Rule, Simply the Best oder Golden Eye für den gleichnamigen James-Bond-Film.

Tina Turner

Das waren Lieder mit hymnisch-bombastischem Charakter, zu denen sich in den Stadien der Welt gut Feuerzeuge schwenken ließen, während Turner mit Löwenperücke und High Heels oben auf der Bühne 110 Prozent gab — so wie in den 1960ern, nur dass sie dieses Mal den Ruhm und das Geld kassierte. Das blieb so bis hinein in die Nullerjahre. Zwischen 2001 und 2009 unternahm sie mehrere Abschiedstourneen, allesamt ausverkauft.

Seit damals blieb sie der Bühne weitgehend fern. 2007 starb Ike Turner an einer Kokainüberdosis – Tina hatte ihn über 30 Jahre lang nicht gesehen, seinen Tod nicht öffentlich kommentiert.

1986 erschien ihre Biografie I, Tina, im selben Jahr lernte sie den deutschen Musikmanager Erwin Bach kennen. Die beiden wurden ein Paar, Turner zog nach Deutschland, später in die Schweiz. 2013 wurde sie Schweizerin und heiratete Bach. Ihre erste Karriere wurde 1993 als Tina – What's Love Got to Do with It? verfilmt, 2018 erschien eine weitere Sammlung von Erinnerungen in dem Buch My Love Story.

Tina Turner - Topic

Tina Turner galt mit ihrem Glauben an sich selbst als Rolemodel für viele Frauen. Oprah Winfrey bewunderte sie ebenso wie Beyoncé. Drei Monate nach ihrer Hochzeit erlitt sie einen Schlaganfall, von dem sie sich nur langsam erholte. 2016 unterzog sie sich einer Darmkrebsoperation, im Jahr darauf spendete ihr Mann ihr eine Niere. 2018 erschoss sich ihr erstgeborener Sohn Craig im Alter von 59 Jahren. Nun ist Tina Turner friedlich nach langer Krankheit in ihrem Haus in Küsnacht bei Zürich gestorben, zitierte Sky News am Mittwochabend einen Sprecher. Sie wurde 83 Jahre alt. (Karl Fluch, 24.5.2023)