Doch während sich oben auf der engen Straße, die sich von Neapel an der Küste gen Süden schlängelt, schon im Mai fette Touristenbusse in Kolonnen und im Schritttempo - im Wortsinn - aneinander vorbeifrottieren, Mietwagentouristen sich um unübersichtliche Kurven fürchten und es sturzbetrunkene Briten (Jamie Oliver bewirbt die Region gern und ausführlich) schon zu Mittag schaffen, aus den Bars und Trattorien auf die Straße zu - äh - torkeln, herrscht bei Hareiters Ruhe. Friede. Stille. Ein Idyll.
Und statt des solarpaneelbewehrten Flachdaches des Nachbarhauses, der Monoblock-Spritzgussmöbel der Nebenherberge oder der Sonnenschirme des nächsten Hotels "stören" nur eine Biene und ein Salamander den Blick über das, weswegen sich ein paar hundert Meter (und 120 steile Stufen) hangaufwärts die Massen wälzen: die Amalfiküste. Die schönste Küste der Welt. Punkt. Nur - siehe oben - wissen das heute so viele Menschen, dass man derlei heute kaum laut sagen kann ohne rot zu werden.
Den Superlativ, ergänzt Hareiters Schwester Rosa, sähen sie und ihr Bruder keineswegs als Übertreibung. Oder als Marketinggag: Seit frühen Kindheitstagen haben die beiden Kinder des Wiener Architekten Laurids Ortner (er zeichnet u. a. für das Wiener Museumsquartier verantwortlich) ihre Sommer an den steilen Hängen der italienischen Westküste verbracht: in Sichtweite jener Insel, die einst Rudolf Nurejew gehörte (und die man heute tageweise mieten kann). In - damals oft tatsächlich noch - idyllischen, kleinen Dörfern, die sich an die Felswände in den engen Buchten schmiegen. Auf Booten, mit denen sie zwischen Capri und Ischia oder berühmten Grotten (der blauen, der smaragdenen) herumschipperten.
Alte Steine anschauen
Irgendwann, erzählen Rosa und Max Hareiter, sei ihrer Mutter dann eine Ruine ins Auge gestochen. Vom Meer aus wohlgemerkt: Über einer - no na - steilen Klippe habe sich eine Wildnis erstreckt. Dahinter sei ein schmuckloser, trister, verkommener grauer Steinquader zu sehen gewesen. Die Familie begann Nachforschungen anzustellen: Das Haus gehörte einem Apotheker und wurde von einem Fischer bewohnt. Es war 150, vielleicht 200 Jahre (für derlei interessierte sich damals, in den frühen 90er-Jahren hier niemand) alt, völlig devastiert - und hatte einen mehr als 5000 Quadratmeter großen Garten, der bis zum Meer reichte. Das Beste daran: Es war zu verkaufen.
"Heute", erklären die Hareiters, "wäre das vollkommen unerschwinglich. Und für Ausländer schon gar nicht zu bekommen. Aber damals sahen die Leute hier nur eine wüste Ruine." Mit einer Gstätten davor, die - die Amalfi-Küste steht unter dem schärfsten Schutz, den die Unesco über ein Stück Landschaft verhängen kann - in den nächsten 2000 Jahren mit Sicherheit nicht wirtschaftlich "effizient" nutzbar sein würde. Zumal die Liegenschaft nur zu Fuß und über steile Stufen - egal ob von der Straße oder vom Meer aus, erreichbar war. Welcher Irre würde sich das - nur wegen des Blickes, den man doch auch von den Panoramahalteplätzen an der Straße hätte - antun? Ein abgelegenes Haus - eine "Casa Privata"?
Ortner war verrückt genug. Und musste aber bald feststellen, dass es unmöglich war, von Wien aus aus der Ruine wieder ein Haus zu machen. Noch dazu, weil sich rasch herausstellte, dass das Gebäude in Wirklichkeit nicht zwei-, sondern dreistöckig, also für eine Normfamilie viel zu groß war: Das unterste Stockwerk war sowohl innen als auch außen voller Schutt.
Aber Ortners Kinder ließen nicht locker - und zogen nach Italien: "Wir haben beschlossen zu versuchen, aus diesem Haus etwas zu machen." Dass sie da gegenüber anderen einen enormen Startvorteil hatten, war den beiden Mittzwanzigern klar - aber als sie es das erste Mal wagten, die Preise lokaler Baufirmen mit jenen anderer Unternehmen zu vergleichen, "brach die Hölle los", erinnert sich Max Hareiter. "Wenn jemand Lust auf ein echtes Abenteuer mitten in der EU hat, empfehle ich ihm, als Nichtitaliener in Süditalien zu bauen."
Baustellenabenteuer
Doch trotz brennender Baumaterialien, toter Hunde im Garten, regelmäßiger Polizeirazzien samt begleitendem Medientrommelfeuer verwandelten sich Ruine und Garten sukzessive in das, was Rosa und Max Hareiter vorgeschwebt hatte: ein Refugium. Einen stillen Zufluchtsort, an dem die fast schmerzvolle Schönheit der Region ohne das tatsächlich peinvolle Begleitgetöse der Umgebung zu erleben ist: vier Zimmer und zwei Suiten. Eine offene Küche. Und ein Garten, den der belgische Landschaftsarchitekt Jacques Wirtz (so etwas wie der Rem Koolhaas seiner Sparte) wie ein vom Haus weg mehr und mehr mit der Landschaft, dem Meer und der die Bucht beherrschenden Nurejew-Insel verschmelzendes, zum Meer hin abfallendes Extrazimmer anlegte.