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Armin Laschet: "Wir haben in Deutschland die niedrigste Geburtenrate seit 60 Jahren. Und in den Städten haben 30 bis 40 Prozent der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte. Sie werden es sein, die in 20 Jahren das Land tragen. Insofern ist es mehr als töricht, dieses Potenzial nicht zu nutzen oder Wahlkampf damit zu machen. Ich glaube, dass wir hier an der Zeitenwende sind und man das zunehmend erkennt."

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Armin Laschet , CDU-Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, ist Protagonist einer "Zeitenwende" in der Integrationspolitik der Bundesrepublik. Endlich würde Deutschland den Prozess der Einwanderung nicht mehr ignorieren, sondern als "Chance erkennen", meint Laschet. "Quantensprünge" nennt Laschet auch die Aussage von Innenminister Schäuble, dass der Islam zur deutschen Gesellschaft gehöre.

Die größten Probleme sieht Laschet in der Tatsache, dass viele Leute aus "bildungsfernen Schichten eine Bildungstradition aufzuholen" hätten, "die sie nie gehabt haben". Dem Nachbarland Österreich und seinen konservativen Parteikollegen will Laschet nur soviel ausrichten: "Es ist mehr als töricht", das Potenzial der Einwanderer "nicht zu nutzen oder Wahlkampf damit zu machen". Die Fragen stellten Manuela Honsig-Erlenburg und Rainer Schüller.

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derStandard.at: Was verstehen Sie unter Integration?

Laschet: Integration bedeutet für mich zunächst einmal nicht Assimilation. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, seine eigene Kultur und Geschichte auch in einem anderen Land leben zu können. Allerdings auf der Basis der Verfassung und Werte dieses Landes. Und Integration ist gelungen, wenn jemand alle Bildungs- und Karrierechancen hat und auch Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft hat.

derStandard.at: Wie sehr kann die Politik überhaupt auf die Integration einwirken?

Laschet: Die Politik muss in erster Linie zum Prozess der Einwanderung stehen. In Deutschland war das lange nicht der Fall. Man war der Meinung, dass die Gastarbeiter, die man sich ins Land geholt hat, irgendwann auch wieder gehen. Deswegen hat man keine aktive Integrationspolitik gemacht, keinen Wert auf Integration durch Sprache gelegt. Das hat sich mittlerweile geändert.

derStandard.at: Was sind die größten Schwierigkeiten bei der Integration in Deutschland generell und speziell in Nordrhein-Westfalen?

Laschet: In den 50er und 60er Jahren wurden in Deutschland wie gesagt Menschen für eine Industriegesellschaft angeworben. Und zwar ganz bewusst aus bildungsfernsten Schichten, zum Beispiel aus der Türkei. Sie haben hier Arbeitsplätze belegt, die im Rahmen des industriellen Wandels weggefallen sind. So sind diese Menschen gezwungen, eine Bildungstradition aufzuholen, die sie nie gehabt haben. Aber der Wandel der europäischen Staaten von der Industrie- und die Wissensgesellschaft ist nicht aufzuhalten.

derStandard.at: Hier ist doch die Politik mit Konzepten gefragt. Was passiert hier in ihrem Bundesland?

Laschet: Das ist ein Thema, das man ja nicht gut zentral steuern kann. Deswegen haben wir gesagt, dass wir kleine "Integrationsgipfel" auf lokaler Ebene brauchen, an denen Wirtschaft, Kirchen, Gewerkschaften und soziale Verbände gemeinsam mit dem Bürgermeister an einem Tisch sitzen. Hier sollen Lösungen gefunden werden, wie Ghettoisierung vermieden werden kann, wie sich das alte "Ausländeramt" hin zu einem "Integrationsamt" wandeln kann. Das verändert das Bewusstsein in den Städten. Meist sind das Kleinigkeiten, wie Festakte zu Einbürgerungen statt reiner Zusendung der Staatsbürgerschaftsurkunde. Das kann man nur vor Ort leisten.

derStandard.at: Integration muss sich aber auch mit Vorurteilen herumschlagen. Sind zum Beispiel Menschen aus islamischen Ländern wirklich problematischer, was die Integration betrifft?

Laschet: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr würde ich sagen: das ist keine religiöse Frage. Ehrenmorde oder Zwangsheirat, Dinge die nicht zu akzeptieren sind, sind nichts Islamisches. Das hat mit archaischen hartnäckigen Traditionen zu tun. Wir haben zum Beispiel auch Spätaussiedler aus der Sowjetunion, die per definitionem Deutsche sind. Diese Gruppe ist häufig ebenfalls nicht gut integriert. Die Jugendlichen haben oft die gleichen Probleme wie türkische Jugendliche.

derStandard.at: In Österreich war zunächst ein Integrations-Staatssekretariat geplant, daraus ist nichts geworden. Wie sieht es diesbezüglich auf der Bundesebene in Deutschland aus?

Laschet: Es gab bisher eine Bundesausländerbeauftragte. Mit der Regierungsneubildung ist sie in den Rang einer Staatsministerin im Bundeskanzleramt berufen worden. Maria Böhmer ist also eine Art Staatssekretärin. Viele Themen werden allerdings im Ministerium auf Landesebene entschieden, die ressortübergreifenden Themen werden vom Minister koordiniert. In unserer interministeriellen Arbeitsgruppe sitzen die Schulministerin, der Städtebauminister, der Arbeits- und Sozialminister. Eben alle, die Integration betrifft.

derStandard.at: Die ÖVP dürfte sich bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ beim Integrationsstaatssekretariat quer gelegt haben. Würden Sie ihren konservativen Parteikollegen ans Herz legen, sich dem Thema mehr zu widmen?

Laschet: Ich kann natürlich von hier aus nicht beurteilen, warum, wer, was bei den Koalitionsverhandlungen verhindert hat. Ich kann aber aus Deutschland berichten, dass die Integrationspolitik in letzter Zeit einen großen Schub bekommen hat. Zum ersten Mal hat eine Bundeskanzlerin 2006 zu einem Integrationsgipfel eingeladen. Erstmals sagte mit Wolfgang Schäuble ein Innenminister: "Der Islam gehört zu unserer Gesellschaft". Das sind Quantensprünge, die zeigen, dass das nicht ein Thema für die Linke, sondern ein gesamtgesellschaftliches Thema ist.

derStandard.at: In Österreich hat man das Gefühl, dass sich diese Tatsache noch nicht bei allen Parteien durchgesprochen hat. Vor allem im Wahlkampf.

Laschet: Heute kann man mit dem Ausländerthema in Deutschland keine Wahlen mehr gewinnen. Wir haben in Deutschland die niedrigste Geburtenrate seit 60 Jahren. Und in den Städten haben 30 bis 40 Prozent der Kinder eine Zuwanderungsgeschichte. Sie werden es sein, die in 20 Jahren das Land tragen. Insofern ist es mehr als töricht, dieses Potenzial nicht zu nutzen oder Wahlkampf damit zu machen. Ich glaube, dass wir hier an der Zeitenwende sind und man das zunehmend erkennt.

derStandard.at: Sie lassen für einen konservativen Politiker immer wieder mit Vorschlägen aufhorchen, die man eher von Grünen erwarten würde. Sind Sie in der falschen Partei?

Laschet: Das glaube ich nicht. Bei uns haben die Grünen zu lange nicht formuliert, dass man auch Anforderungen stellen muss, wie zum Beispiel die Beherrschung der Sprache. Das hat nichts mit Zwangsgermanisierung zu tun. Multikulti ist kein immerwährendes Straßenfest. Man muss auch auf die Werte des Grundgesetztes achten und Nichtakzeptables benennen. Deswegen glaube ich schon, dass ich in der richtigen Partei bin. (derStandard.at, 26.2.2007)