Für Andreas Babler ist das Timing denkbar schlecht. Nur noch zwei Tage sind es bis zur Kampfabstimmung zwischen ihm und Hans Peter Doskozil um den Vorsitz in der österreichischen Sozialdemokratie beim Parteitag in Linz – und aufgrund eines aus den Tiefen der sozialen Medien geholten Videos steht er als entlarvter Gegner der EU da. Doskozil, so schaut es aus, hat jetzt die weitaus besseren Karten.

Können die SPÖ-Delegierten am Samstag Babler das Vertrauen schenken, der sich in dem Video über die Union als "aggressivstes außenpolitisches militärisches Bündnis, das es je gegeben hat, schlimmer als die Nato in ihrer Doktrin", auslässt? Der eine verfehlte Fastgleichsetzung von EU und atlantischem Bündnis fortführt, indem er assoziierend auf den "Vier-Sterne-General Naumann" zu sprechen kommt; gemeint ist wohl der Deutsche Klaus Dieter Naumann, der von 1996 bis 1999 dem Nato-Militärausschuss vorsaß.

Vor dem Parteitag in der Defensive: der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler.
Heribert Corn

Es könnte ihnen nun schwerer fallen – so sie bis dahin weiter davon ausgehen müssen, dass Bablers Ausführungen aus 2020 seine aktuelle Position darstellen. Die SPÖ versteht sich nach wie vor als Kanzlermacherpartei – und wer in Europa Krieg führt und schürt, ist nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine klar. Die EU ist es eindeutig nicht.

Babler selbst ließ in einer Stellungnahme am Mittwoch wissen, dass er "natürlich keinesfalls für einen EU-Austritt steht und das in diesem Interview auch nicht argumentiert hat". Ersteres hat er schon mehrfach glaubhaft gesagt, Letzteres stimmt. Dennoch: Die harte Frage nach der ideologischen Grundlage seiner Weltsicht – und deren politischer Tauglichkeit in einem von Krieg inmitten des Kontinents geprägten Europa – kann sich der Parteilinke nicht ersparen.

Tatsächlich strotzt seine Wortspende in dem Videointerview von argumentativen Versatzstücken aus linken Diskursen früherer Jahrzehnte. Die Nato als imperialistische Kriegstreiberin, die einen mit Russland verbündeten Staat angriff: Das war in Teilen der Linken Konsens, als – zum Beispiel – das Militärbündnis im Kosovo-Konflikt des Jugoslawienkriegs im Jahr 1999 unter Führung der USA serbische Ziele angriff, ohne dazu ein Mandat der Uno zu haben.

Damit einher ging die Vorstellung einer westlichen Phalanx gegen Russland, das als Nachfolgestaat der Sowjetunion Sympathien genoss. Unter besagte Phalanx wurde vielfach auch die EU subsumiert. Bis heute hängt so mancher und so manche Linke in derlei Annahmen fest. So erklären sich Sympathien für das in eine Diktatur abgeglittene Russland und die Vorstellung, dass Putins Reich durch die Aggression der Nato in den Ukrainekrieg getrieben wurde.

Derlei kommt einer Realitätsverkennung gleich und ist völlig aus der Zeit gefallen. Wenn sich ein deklarierter Linker und Marxist wie Babler an der neoliberalen Ausrichtung und dem Lobbyismus in der EU stößt, so ist ihm das unbenommen. Wenn er mit Verve soziale Fortschritte einfordert, so ist das richtig und außerdem allgemein verständlich – zumal er laut seiner Stellungnahme von Mittwoch der EU-Kommission hier Fortschritte bescheinigt.

An veraltete Politkonzepte mit verschwörungstheoretischem Potenzial jedoch sollte der mögliche Chef einer sozialdemokratischen Partei nicht anstreifen – wenn diese in Zukunft für mehr als eine Minigruppe wählbar sein soll. (Irene Brickner, 31.5.2023)