Bogota – Vier 40 Tage lang im kolumbianischen Dschungel vermisste Kinder sind am Samstag in einem Militärkrankenhaus in Bogotá wieder mit ihrer Familie vereint worden. Er habe seine vier Enkelkinder im Krankenhaus besucht, berichtete Großvater Fidencio Valencia am Samstag. "Sie sind voller Leben. Auch wenn sie sehr erschöpft sind, weiß ich, dass sie in guten Händen sind", sagte der 47-Jährige. Die Kinder seien glücklich, ihre Verwandten wiederzusehen.

Die Geschichte der Kinder grenzt gleich in doppelter Hinsicht an ein Wunder: Zunächst überleben alle Geschwister im Alter von elf Monaten bis 13 Jahren den Flugzeugabsturz. Anschließend überleben sie mehr als fünf Wochen im kolumbianischen Regenwald. Nach Ansicht einer Ärztin waren zwei Faktoren entscheidend: dass die Kinder ausreichend Wasser hatten und dass sie den Dschungel kannten.

Rettungsauto, Kolumbien
Die vier Kinder wurden mit Rettungsautos ins Militärkrankenhaus in Bogotá gebracht.
APA/AFP/RAUL ARBOLEDA

Am wichtigsten sei ausreichend Flüssigkeit, sagte die Kinderärztin Clemencia Mayorga der Zeitung "El Tiempo". "Wir können also davon ausgehen, dass sie 40 Tage lang immer Wasser zur Verfügung hatten." Dabei half wohl, dass es während der Zeit ausgiebig regnete. An Essen verbrauchten die Kinder einem Bericht zufolge zunächst einen Vorrat von drei Kilogramm Maniokmehl aus dem Flugzeug. "In den Tagen nach dem Absturz aßen sie das Mehl, das sie mitgenommen hatten", zitiert der Sender CNN den Militärsprecher Pedro Arnulfo Sánchez Suárez.

40 Tage nach einem Flugzeugabsturz sind vier Geschwister lebend im kolumbianischen Dschungel gefunden worden.
AFP

Wissen über natürliche Lebensumwelt

Irgendwann seien ihnen dann die Vorräte ausgegangen. Danach hätten die Kinder Samen gegessen, zitiert die Nachrichtenagentur AP den Onkel Fidencio Valencia. Astrid Caceres, Leiterin des Kolumbianischen Instituts für das Wohl von Familien (ICBF), sagte, die Kinder hätten auch Früchte aus dem Dschungel gegessen. Dazu könnten wilde Maracujas oder Mangos zählen.

Eine Schlüsselrolle spielten wohl die beiden älteren Schwestern: Die 13-jährige Lesly und die neun Jahre alte Soleiny nahmen sich der beiden Jüngeren an. Tien war beim Absturz vier Jahre alt, Cristin gerade elf Monate – beide hatten während der Zeit im Regenwald Geburtstag. Dabei galt es vor allem zu beachten, dass die Kinder in der dichten Vegetation stets beieinander blieben.

Entscheidend war zudem, dass die Kinder, die der indigenen Ethnie der Witoto (Uitoto) angehören, von klein auf mit dem Regenwald vertraut waren. "Das Überleben der Kinder ist ein Beweis für das Wissen und die Verbindung zur natürlichen Lebensumwelt, die schon im Mutterleib gelehrt und gelernt und von früh an praktiziert wird", schrieb die Indigenen-Organisation OPIAC auf Twitter.

Gesundheitszustand ist "akzeptabel"

"Angesichts der Umstände sind sie in einem akzeptablen Zustand", sagte der Militärarzt Carlos Rincón Arango am Samstag. "Sie haben mehrere leichte Verletzungen und sind unterernährt. Wir machen jetzt eine Reihe pädiatrischer Untersuchungen und bringen sie wieder zu Kräften. Sie werden wohl zwei bis drei Wochen im Krankenhaus bleiben müssen."

Verteidigungsminister Iván Velásquez, der die Kinder am Samstag gemeinsam mit Präsident Gustavo Petro besuchte, berichtete, die vier seien "ein bisschen beunruhigt, so viele Menschen um sich zu haben, aber sie erholen sich". Es sei "eine große Freude, sie so zu sehen".

Die Kinder seien bei ihrer Rettung dehydriert gewesen und könnten noch keine feste Nahrung zu sich nehmen, sagte der Verteidigungsminister. Insgesamt sei ihr Gesundheitszustand aber "akzeptabel", sie seien "außer Gefahr". Außer ein paar Hautverletzungen und Insektenstichen hätten sie keine äußerlichen Schäden davongetragen, ergänzte der Militärarzt. Die Kinder sollen nun allmählich wieder an feste Nahrung gewöhnt werden.

Wochenlange Suche mit Erfolg

Auch der Vater der Geschwister hatte sich an der Suche beteiligt. Nachdem die Kinder gefunden wurden, begleitete er sie in das Militärspital in Bogotá. "Ich bin auch aufgenommen worden. Ich bin krank", sagte Manuel Ranoque. "Ich habe hohes Fieber. Ich habe 40 Tage darum gekämpft, meine Kinder wiederzufinden."

Das Quartett war am Freitag nach wochenlanger Suche im Dschungel gefunden worden. Auf dem Flug nach Bogotá bat der Vater den General der Spezialeinsatzkräfte, Pedro Sánchez, Pate seiner jüngsten Tochter zu werden. "Es ist mir eine Ehre", habe er geantwortet, erzählte der Offizier im Fernsehsender Caracol. "Ich bin nach Hause gegangen und habe meiner Frau gesagt: Wir werden eine Tochter haben. Auch wenn sie einen anderen Nachnamen trägt, es ist egal. Es geht darum, was man im Herzen, in der Seele fühlt."

Gefundene Kinder im kolumbianischen Dschungel
Erleichterung: Die Kinder wurden gerettet.
APA/AFP/Colombian Presidency/HAN

Führung der 13-Jährigen

Zwei der Kinder hatten im Dschungel ihren Geburtstag erlebt: Die Jüngste, Cristin, wurde ein Jahr alt, ihr Bruder Tien Noriel wurde fünf. Der andere Bruder ist neun Jahre alt, das älteste Mädchen 13. Überschwänglich lobte der Minister die Älteste, Lesly: "Ihr und ihrer Führung haben wir es zu verdanken, dass die drei anderen überlebt haben, dank ihrer Fürsorge und ihrer Kenntnis des Dschungels."

"Menschen können bis zu 30 Tage überleben, ohne sich ausgewogen zu ernähren", sagte die Ernährungswissenschafterin Liliana Dávila dem Sender RCN. "Wenn die Kinder gut hydriert sind, ist es möglich, eine lange Zeit ohne Nahrung zu überleben. Im Dschungel ist es einfach, Regenwasser aufzufangen."

Der kolumbianische Verteidigungsminister Iván Velásquez gab mit dem Suchteam eine Pressekonferenz.
Der kolumbianische Verteidigungsminister Iván Velásquez gab mit dem Suchteam eine Pressekonferenz.
APA/AFP/JUAN BARRETO

Die Geschwister haben sich gegenüber von Familienangehörigen erstmals zu ihrer Zeit im Dschungel geäußert. "Sie hatten Angst. Sie haben sich hinter Baumstämmen versteckt. Das ist, was sie gemacht haben. Sie sind weggerannt", sagte ihr Großvater Valencia am Sonntag im Fernsehsender Caracol. Das hatten Soldaten und Indigene bereits während der Suche befürchtet. In der Region sind kriminelle Gruppen aktiv, vor denen bereits der Vater der Kinder fliehen musste. "Wir müssen ihnen jetzt positive Energie geben. Sie haben ihre Mutter sterben sehen", sagte Valencia.

Mutter soll nach Absturz noch gelebt haben

Unterdessen berichtete der Vater der Kinder, dass die Mutter der Kinder nach dem Flugzeugabsturz noch einige Tage gelebt haben soll. "Meine älteste Tochter hat mir gesagt, dass ihre Mutter noch vier Tage gelebt hat", sagte der Vater der Geschwister am Sonntag in der Hauptstadt Bogotá. "Bevor sie starb, hat sie vielleicht gesagt: Geht." Viel mehr hätten ihm seine Kinder über die Zeit im Dschungel noch nicht erzählt. "Es ist nicht leicht, sie zu fragen. Sie haben 40 Tage nicht richtig gegessen, nicht gut geschlafen. Ich hoffe, dass die Kinder sich gut erholen, dann können sie selbst erzählen, was passiert ist."

Die Kinder müssten erst wieder zu Kräften kommen, hätten aber bereits Pläne. "Sie haben mir gesagt: Ich will laufen, aber meine Füße tun mir weh", sagte der Onkel der Kinder, Dairo Juvenal Mucutuy. "Wenn sie aus dem Krankenhaus kommen, spielen wir Fußball."

Am 1. Mai abgestürzt

Am 1. Mai war das Kleinflugzeug mit den Kindern, deren Mutter und zwei weiteren Erwachsenen an Bord über dem Amazonas-Regenwald im Süden Kolumbiens abgestürzt.

Laut einem vorläufigen Bericht der Luftfahrtbehörde kollidierte das Flugzeug vermutlich mit den Baumkronen und stürzte danach senkrecht zu Boden. Es wird angenommen, dass der Zusammenstoß mit den Bäumen den Aufprall so stark abbremste, dass der hintere Teil der Kabine kaum beschädigt wurde, weshalb die Kinder überlebten. Die Erwachsenen kamen ums Leben. Die Maschine und die Leichen der Erwachsenen wurden zwei Wochen nach dem Absturz entdeckt.

Die Kinder waren Medienberichten zufolge auf dem Weg zu ihrem Vater, der wegen ständiger Morddrohungen durch eine Splittergruppe der Guerillaorganisation Farc aus der Region geflohen war. Zwar hat sich nach dem Friedensabkommen 2016 die Sicherheitslage zwischen der Regierung und der Farc verbessert, allerdings werden noch immer Teile des Landes von illegalen Gruppen kontrolliert. Vor allem Indigene, soziale Aktivisten und Umweltschützer geraten immer wieder in das Visier der kriminellen Banden.

Suchmannschaften der Armee und von Indigenen suchten seit dem Absturz unterstützt von Spürhunden nach den Kindern. Nach Angaben der Armee haben die Retter dabei mehr als 2.650 Kilometer durch den Dschungel zurückgelegt. Die Einsatzkräfte verloren dabei nie die Hoffnung, denn sie fanden ein Babyfläschchen, eine Schere, Schuhe, Windeln, zerkaute Früchte, Fußabdrücke und Notunterkünfte.

Verschollener Spürhund

Ein an dem Sucheinsatz beteiligter Hund ist indes verschollen. Der Belgische Schäferhund namens Wilson war den Streitkräften zufolge nicht von einer Suche im dichten Regenwald zurückgekehrt. Wie die Leiterin der kolumbianischen Familienfürsorge, Astrid Caceres, nach einem Besuch bei den Kindern berichtete, spürte der Schäferhund die Kinder offenbar auf und begleitete sie zeitweise, bevor er verschwand. "Die Suche ist noch nicht zu Ende. Unser Grundsatz lautet: Wir lassen niemanden zurück", hieß es am Samstag auf dem Twitter-Account der Armee unter einem Foto von Wilson. (APA, red, 11.6.2023)