2021 fand in London eine Aktion von Aktivistinnen mit dem Titel "The Real Catwalk" statt.
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Superschlank, schimmernde Haut, definierte Muskeln, kein Gramm Fett: Vor allem an den Körper von Frauen wird ein unerreichbares Ideal herangetragen. Zwar bedienen sich seit einigen Jahren auch die Schönheitsindustrie, Mode- und Lifestylemagazine vielfältigerer Körperbilder, die dank einer feministischen Body-Positivity-Bewegung stärker eingefordert werden. Trotzdem sind dicke oder ältere Frauen in Kampagnen und Sujets die Ausnahme von der Regel.

Noch immer hadern zahllose Frauen trotz eines deutlich stärker verbreiteten feministischen Bewusstseins (wie sehr, diese Frage wurde in der aktuellen "Feministischen Gewissensfrage" unseren User:innen gestellt) als noch vor zehn oder zwanzig Jahren mit ihrem Aussehen. Es ist ein Hadern, das für viele schon im Kindesalter begann. Bei Melodie Michelberger begann es mit einem Volantrock, den sie als Mädchen so gern gehabt hätte. So einer sei nichts für sie, wurde ihr gesagt. Anders gesagt: Sie sei nicht dünn genug. "Ich hatte einen völlig durchschnittlichen Körper", erzählt die Autorin und Körperaktivistin. Trotzdem war es ein Wendepunkt, an dem sie begonnen habe, ihren Körper kritisch zu betrachten. "Ich hatte das Gefühl, dass ich schuld bin, dass mein Körper nicht zu diesem Rock passt."

Das Gefühl, ungenügend zu sein

Michelberger hat 2021 das Buch "Body Politics" veröffentlich, in dem sie ihre Geschichte erzählt; vom ersten Gefühl, "nicht gut oder schön genug, einfach ungenügend zu sein", von ihrer Essstörung und ihrem Job als Moderedakteurin bei Frauenmagazinen und der dortigen unablässigen Arbeit daran, dass Frauen sich ständig als Mängelwesen verstehen – um ihnen vermeintliche Rezepte gegen diese "Mängel" feilzubieten. Auch sie schrieb damals über Themen wie die Frage, welcher Schuh zu welcher Fessel passt, welche Jeans zu welchem Hintern. Das ist inzwischen zehn Jahre her. Aus Michelberger ist inzwischen eine Aktivistin geworden, die die Strukturen offenlegen will, unter denen vor allem Frauen leiden, die gerade nicht zufällig wie Models aussehen. Also: die Allermeisten.

Und was ist inzwischen mit den Frauenmagazinen passiert? Dort habe sich kaum etwas verändert, sagt Michelberger. Einzig die Wege zum herrschenden Schönheitsideal würden heute als ganzheitliche Gesundheitskur kaschiert: Detox, Wellness und gesundes Essen ersetzen häufig die früheren schlicht gehaltenen Anleitungen zum Abnehmen. Praxis sei nach wie vor, dass zu den Anzeigen die passende Story zum Thema Sonnenschutz oder Bikinis erscheint. Mit dünnen Frauen bebildert freilich, "dicke Frauen möchte keiner sehen", und: "Frauen sollen doch noch was zum Träumen haben." Sätze wie diese hat Michelberger in ihrer Zeit als Moderedakteurin oft gehört.

"Nur" ein Frauenthema? 

Sie kritisiert, dass dadurch befeuerte Probleme in ihrer Dimension noch immer nicht ernst genommen würden. "Magersucht ist jene psychische Erkrankung mit der höchsten Sterberate – in den vergangen drei Jahren sind Essstörungen bei jugendlichen Mädchen um 54 Prozent gestiegen." Dass sich aber unzählige Frauen mit ihrem Körper unwohl fühlen, das werde als ein individuelles Frauenthema, als "oberflächlicher Quatsch" abgetan. Damit müsse man halt klarkommen. "Menschen werden aufgrund ihres Aussehens ausgeschlossen, diskriminiert und entmenschlicht – darum geht es aber letztlich", sagt Michelberger.

Doch auch wenn es "nur" um die vielzitierten zwei, drei Kilos geht, die noch "wegmüssen": Warum können den kritischen bis feindseligen Blick auf den eigenen Körper selbst Frauen nicht lassen, die sich dessen bewusst sind, dass Patriarchat und Kapitalismus bei Schönheitsidealen besonders gut zusammenspielen? Frauen werden auf ihre Körper reduziert und als "hässlich" abgeurteilt, wenn sie die endlose Schönheitsarbeit verweigern. Eine Schönheitsarbeit, für die endlos Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung stehen und die Anerkennung für genau das versprechen, wofür Frauen ungleich öfter als Männer gelobt werden: ihr Aussehen. Und im Umkehrschluss auch umso härter dafür kritisiert werden.

Abschätzige Kommentare

Kann man all das reflektieren und das dann gleich lässig im Umgang mit Schönheitsnormen umsetzen? Das funktioniert selten. Alltag und kritische Reflexion, das seien auch bei dem Thema völlig unterschiedliche Dinge, sagt Michelberger. "Ich bin ja auch ohne weibliche Vorbilder aufgewachsen, die neutral oder wertschätzend über ihre Körper gesprochen haben", viele würden eher das Gegenteil kennen: dass am Küchentisch über das Aussehen von Frauen abschätzig gesprochen wurde.

Bodyshaming gehört weder der Vergangenheit an, noch beschränkt es sich auf bestimmte Gruppen. So wundert sich Michelberger immer wieder darüber, dass es noch immer so selbstverständlich sei, Outfits und Körper zu kommentieren. Viele meinten auch, bei manchen – etwa bei Donald Trump – sei es berechtigt oder lustig. Das Gewicht, Outfits oder insgesamt das Aussehen von anderen Person zu bewerten sollte einfach ein No-Go sein, sagt sie. Dazu gehörten auch Titulierungen wie "Small Dick Energy" in sozialen Medien – auch wenn man damit problematische Inszenierungen von Männlichkeit thematisieren wolle.

Bitte entfolgen 

Doch Frauenmagazine, Moderedaktionen, Laufstege, Werbekampagnen und Schönheitsindustrie entscheiden längst nicht mehr allein über Schönheitsideale. So war es Instagram, wo Melodie Michelberger selbst erstmals auf viele dicke Influencerinnen gestoßen ist. "Trotzdem entsprechen die größten deutschen Accounts alle hundertprozentig dem Schönheitsideal", sagt Michelberger. Aber: Soziale Medien bieten dennoch die Möglichkeit, selbst zu wählen, was man sehen will. Gerade Jugendlichen rät sie, genau hinzusehen, wem sie folgen. "Wenn man sich schlecht fühlt, nachdem man das Handy weggelegt hat, das Gefühl hat, scheiße auszusehen oder dass man nichts zum Anziehen habe – dann wird es Zeit, ein paar Leuten zu entfolgen." (Beate Hausbichler, 15.6.2023)