Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hielt am Sonntag eine knapp einstündige Grundsatzrede.
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Seit Monaten liegt ein Hauch von Wahlkampf in der Luft. Parteizentralen stampfen Kampagnen aus dem Boden, Parteispitzen tingeln durchs Land oder haben sich für den Sommer eine Tour durch Österreich vorgenommen. Zurückhaltend, zumindest im Vergleich zu den anderen Parteien, agierten bislang die Neos - bis jetzt. Am Sonntag luden die Pinken zu einer Mitgliederversammlung in die Meinl-Rösthalle in Wien Ottakring. In einer knapp einstündigen Grundsatzrede schwor Parteichefin Beate Meinl-Reisinger die Basis auf Rezepte ein, wie es gelingt, den zahlreichen Krisen zu begegnen und eine gute Zukunft zu gestalten.

Gleich zu Beginn räumte Meinl-Reisinger ein, dass gerade nicht "die Hochzeit der Optimisten" sei. Vielmehr würden wir in Zeiten der Krise leben. Finanz-, Migrations-, Gesundheits-, Teuerungs-, Energie- und nicht zuletzt die Klimakrise würden den Menschen zusetzen. Scharfe Kritik übte Meinl-Reisinger daran, dass seitens der türkis-grünen Regierung und insgesamt keine Lehren aus diesen Krisen gezogen wurden. Statt den Krisen mit Antworten zu begegnen, hätte es "dröhnendes Schweigen" gegeben.

Große Sorge bereitet der Parteichefin, dass sich Menschen zunehmend von der Politik abwenden und sich wieder nach einem "starken Mann, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss", sehnen. Diese Entwicklung würde einer illiberalen Demokratie Tür und Tor öffnen: "Und dann wachen wir auf einmal in der illiberalen Demokratie auf, die natürlich keine Demokratie, sondern eine Autokratie ist." Die pinke Parteichefin warnte auch vor Autokraten: "Die Autokraten von heute setzen nicht auf Militärmacht und Polizeigewalt, sie setzen auf Spins, Fake News und Stimmung in den sozialen Medien." Meinl-Reisinger rief in ihrer Grundsatzrede außerdem dazu auf, wachsam und laut zu sein, denn: "Demokratie stirbt nicht nur in der Dunkelheit, sondern auch in der Stille."

ÖVP macht FPÖ "die Räuberleiter"

Harsche Kritik übt die pinke Parteichefin an den einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ. Diese hätten mit ihrer Politik der vergangenen Jahrzehnte "die Mitte im Stich gelassen". Die Gesellschaft könne "nicht mehr organisiert werden in Kammern und Bünden, Sektionen und Vorfeldorganisationen". Die ÖVP sei in "einem Klientelismus gefangen", der "ungeheuerlich" sei und außerdem bereit, "die eigenen Positionen und Mitte zu verlassen, um weiter in der Regierung zu sein". Ob Herdprämie in Salzburg, Deutschpflicht am Schulhof oder ein Corona-Entschädigungsfonds, die ÖVP mache "der FPÖ permanent die Räuberleiter".

Aber auch die SPÖ bekam ihr Fett ab. Diese könne sich "nicht aufschwingen, ein Land zu regieren, wenn man nicht einmal in der Lage ist, Mitbestimmung in der eigenen Partei ordentlich zu organisieren". Auch den neuen Parteichef Andreas Babler sieht Meinl-Reisinger aufgrund dessen Aussagen zum Marxismus und zur Europäischen Union kritisch. "Die Frage, ob Herr Babler ein Marxist ist, ist für uns schon von ganz entscheidender Bedeutung." In europa- und sicherheitspolitischen Fragen würden die Sozialdemokratien "irrlichtern". Auch, wie es die SPÖ mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hält, sei "eine ganz klare Frage, auf ich keine Antwort bekommen habe".

Alte Parteien und Allmachtsfantasien

Unter diesen Vorzeichen wundert es Meinl-Reisinger nicht, "dass die Populisten stark sind, weil diese dieser Ohnmacht eine Stimme verleihen". FPÖ-Chef Herbert Kickl wolle "hoch zu Ross, den persönlichen Befehl geben, die Zugbrücken hochzufahren und wir verschanzen uns hinter den dicken Mauern einer Festung". Die Neos hingegen sieht Meinl-Reisinger "als Gegenmodell zu diesen alten Parteien, die kraftlos geworden sind und keine Antwort mehr geben können und als Gegenmodell zu diesen Festungs- und Allmachtsfantasien der FPÖ".

So weiter zu machen wie bisher, sei keine Lösung, betonte Meinl-Reisinger. Denn dann würden im Jahr 2030 zehn Milliarden an Strafzahlungen drohen, weil CO2-Emissionsziele nicht erreicht wurden, 80.000 Menschen im Pflegebereich fehlen und sich die Pensionszuschüsse aus dem Budget von zehn auf 20 Milliarden Euro verdoppelt haben.

Zum Abschluss ihrer Rede, der rund 300 Mitglieder gelauscht haben und für die es Standing Ovations gab, versuchte Meinl-Reisinger Mut und Zuversicht zu verbreiten: "Wir glauben nicht nur an eine gute Zukunft, sondern wir sind bereit, tatkräftig daran zu arbeiten." Und: "Es gibt nur jetzt die Chance, die Zukunft aktiv zu gestalten und zu schreiben." Das sei "eine verdammt große Verantwortung, der wir uns stellen müssen". Die Probleme seien zwar groß, aber lösbar. Und Meinl-Reisinger gab ein Versprechen: "Dass jede und jede, dass du so leben kannst, wie du möchtest und du dein Leben selbst in die Hand nehmen kannst."

Neben der Grundsatzrede stand am Nachmittag auch der Beschluss des Leitantrages "Taten für ein neues Österreich" auf dem Programm. Der 25-seitige Antrag, der mit 96,8 Prozent angenommen wurde, ist mehr oder minder ein Update des eigenen Programmes. Gänzlich neue Inhalte sind darin nicht zu finden. Eine interne Wahl fand am Sonntag übrigens keine statt. Der Bundesvorstand wird bei den Pinken alle drei Jahre gekürt, das nächste Mal im kommenden Jahr. (Sandra Schieder, 18.6.2023)