Im Gastblog berichtet der Physiker Mikhail Lemeshko aus seiner Forschung zu Quanteneigenschaften und erklärt, was diese mit einer Katze zu tun hat.

Eine gute Metapher kann viel mehr, als einen langweiligen Satz aufzupeppen – sie kann Generationen von Wissenschaftsfans Rätsel aufgeben und sie faszinieren. "Wenn ich 'Schrödingers Katze' höre, greife ich nach meiner Waffe", soll Steven Hawking diese Begeisterung einmal kommentiert haben.

Katze auf einem Karton
Katze Syrnik scheint von dem möglichen Nachstellen des Gedankenexperiments sehr begeistert zu sein.
Foto: Mikhail Lemeshko

Fast alle haben vom armen Viecherl gehört, das gleichzeitig lebendig und tot ist, doch kaum jemand versteht, was das überhaupt bedeuten mag. Mittlerweile handelt es sich hier um eines der wichtigsten ungelösten Probleme der gegenwärtigen Physik. Wie bei jedem guten Drama, das aus drei Teilen bestehen sollte – dem Auftakt, dem Konflikt und der Auflösung –, ist auch in Schrödingers Katzengeschichte fast alles dabei. Das heißt, bis auf die Auflösung. Fangen wir doch mit dem Auftakt an.

Vorhang auf für die Quantenmechanik

Quantenmechanik beschreibt die Dinge, die extrem klein sind, wie Elektronen, Atome und Lichtpartikel – Letztere werden auch Photonen genannt. Dass es Lichtpartikel überhaupt gibt, wurde durch Max Planck und Albert Einstein rund um die vorletzte Jahrhundertwende demonstriert und legte den Grundstein für die neue Theorie.

Jedes Mal, wenn in der Physik eine neue Theorie vorgeschlagen wird, wird sie gründlich getestet. Und nicht unbedingt durch ein einziges "experimentum crucis", das die Theorie vollständig bestätigen oder widerlegen soll. Die Naturwissenschafterinnen und Naturwissenschafter betrachten jede Theorie eher als ein Zahnrad im extrem komplizierten Mechanismus des Wissens, das verschiedene Teile dieses Mechanismus miteinander verkuppelt und das Ganze direkt oder indirekt beeinflusst. Nimm ein Rad weg oder steck eines rein, dessen Zähne nicht millimetergenau reinpassen: Das wird weitreichende Konsequenzen haben und höchstwahrscheinlich die ganze Maschine stören/stoppen.

"Die Zahnrädchen der Quantenmechanik drehen sich in Atomuhren" wäre ja auch eine passende Metapher, wenn es nicht bloß viel mehr als das wäre: Fast alles, was wir über Atome, Moleküle und Materialien wissen, basiert direkt oder indirekt auf der Quantenmechanik. Rote Rubine und blaue Saphire bestehen aus demselben Mineral, Korund, bis auf die "Verunreinigungen", deren Quantenübergänge für den Farbunterschied verantwortlich sind. Warum Magnete Eisen anziehen und Holz nicht, kann man nur mithilfe der Quantenmechanik genau verstehen. Halbleitertechnologie, Laser, MRT, computerbasierte Arzneimittelentdeckung und viel, viel mehr kamen dank der quantenmechanischen Theorie zustande. Die Rädchen der Quantenmechanik drehen sich in jedem Handy, jedem Auto und, na ja, in jeder Armbanduhr. Kaum ein Phänomen oder Gerät enthält keine Vorhersage aus der Quantentheorie als Rädchen irgendwo in sich drinnen.

Die Gleichzeitigkeit verschiedener Zustände

Es gibt also keine Zweifel, dass Quantenphänomene wie Verschränkung, Welle-Teilchen-Dualismus oder einzelne Lichtquanten real sind. Es gibt dennoch eine Nuance: Obwohl die Quantenmechanik das Verhalten von kleinen Bestandteilen der Materie hervorragend gut beschreibt, und auch deren Wechselwirkungen und die Weise, wie sie zusammenkommen und verschiedene Materialien bilden, lässt sie eine Frage offen. Und zwar: Was genau bedeutet es, "klein" zu sein?

Die "großen" Dinge um uns herum lassen sich ziemlich gut mithilfe der klassischen – Newton'schen – Physik beschreiben. Wo ein geworfener Stein hinunterfällt, lässt sich anhand von Gleichungen der klassischen Mechanik bestimmen, wobei man sehr genau die Position und die Geschwindigkeit des Steins zu jedem Zeitpunkt vorhersagen kann.

Bei mikroskopischen Teilchen, wie Elektronen, ist das nicht mehr der Fall. Kleine Teilchen benehmen sich quantenmechanisch, das heißt, sie sind nicht nur Teilchen, sondern auch gleichzeitig Materiewellen und können sich zum Beispiel an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig befinden. Oder in zwei verschiedenen inneren Zuständen (ja, wir kommen bald zu lebendig und tot). Die Theorie kann nicht die genaue Flugbahn des Teilchens beschreiben. Sie ermöglicht nur die Vorhersage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen an einem bestimmten Ort oder in dem einen oder dem anderen Zustand registriert werden kann.

Wir sind ziemlich sicher, dass Elektronen, Neutronen, Protonen und die daraus bestehenden Atome und Moleküle über solche Quanteneigenschaften verfügen. Sogar sehr große Moleküle, die aus tausenden Atomen bestehen, benehmen sich unter bestimmten Bedingungen wie Materiewellen, wie zum Beispiel die Experimente im Labor von Markus Arndt an der Uni Wien nachgewiesen haben.

Und jetzt zur wichtigsten Frage der Quantenphysik: Wie ist es bei Katzen? Katzen bestehen ja auch aus Molekülen, die sich an zwei verschiedenen Orten oder in zwei verschiedenen Zuständen gleichzeitig befinden können. Kann so etwas auch den Katzen passieren? Genau diese Frage hat Erwin Schrödinger 1935 gestellt. In seinem Gedankenexperiment wurde der Quantenzustand eines Atoms mit der "Höllenmaschine" (Zitat Schrödinger) gekoppelt, "die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss" (Erwin hat wirklich alles bis ins kleinste Detail durchdacht). Die Höllenmaschine tötet die Katze, wenn das Atom zerfällt, und nicht, wenn nicht. Da ein Atom als Quantenpartikel gleichzeitig zerfallen und nicht zerfallen sein kann, soll auch die Katze gleichzeitig lebendig und tot sein können. Da wir nach unserer täglichen Erfahrung so etwas für unmöglich halten, nennt man es "Schrödingers-Katze-Paradoxon".

Ungelöstes Katzenproblem

90 Jahre später haben wir noch keine eindeutige Lösung für dieses Paradoxon gefunden. Wir wissen natürlich, dass sich nicht nur Katzen und Mäuse, sondern auch die kleinsten Objekte unseres täglichen Lebens – die winzigsten Staubpartikeln – klassisch benehmen. Sie befinden sich gleichzeitig nur in einem Zustand oder an einem Ort. Und die großen Moleküle können schon das Gegenteil – sie weisen verschiedene Quantenphänomene auf –, wir sehen das in Experimenten. Aber wo genau liegt die Grenze dazwischen? Benehmen sich auch Objekte, die aus Milliarden und Billionen Atomen bestehen, noch wie Quantenwellen oder nicht mehr?

Quantenmechaniker Enderalp Yakaboylu vor einer Tafel mit Formeln
Quantenmechaniker Enderalp Yakaboylu bei der Arbeit (Lemeshko-Gruppe am ISTA).
Foto: Mikhail Lemeshko

Wie genau die klassische Welt, die uns umgibt, aus den quantenmechanischen Gesetzen entsteht, ist derzeit ein ziemlich intensiv untersuchter Bereich der fundamentalen Physik mit dem Potenzial, unseren Alltag zu beeinflussen. Die Lösung des Schrödingers-Katze-Paradoxons ist zum Beispiel für die Anwendung in den derzeit entstehenden Quantentechnologien extrem wichtig, denn sie muss eine Obergrenze für die Größe der zukünftigen Quantengeräte setzen, wie etwa die Quantencomputer.

In meiner Arbeitsgruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) versuchen wir unter anderem, die Quanteneigenschaften von kleinen und großen Molekülen zu verstehen und Methoden zu konzipieren, um diese Eigenschaften mithilfe von Lasern zu manipulieren. (Mikhail Lemeshko, 28.6.2023)