Noura Maan aus dem Bekaa-Tal, Beirut und Maghdouche

Vor zehn Jahren ist Yasira mit ihrer Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg in den Libanon geflohen, und das Leben war immer hart. Aber in den vergangenen Monaten ist es schlimmer geworden. Nicht nur aufgrund der Wirtschaftskrise: Man hört immer mehr Geschichten von entführten und nach Syrien zurückgeschickten Flüchtlingen, erzählt die Syrerin. "Ich habe Angst um meine Söhne und meinen Ehemann", sagt Yasira, die derzeit in einem kleinen Lager im Bekaa-Tal nahe der Grenze zu Syrien wohnt.

Dass dies mehr als nur Gerüchte sind, weiß Saleh. "Ich habe es mit eigenen Augen gesehen", erzählt der Verantwortliche für das etwa 7.000 Quadratmeter große Flüchtlingslager mit rund 650 Bewohnerinnen und Bewohnern. Viele Männer würden auf Feldern schlafen, "aus Angst vor einer Festnahme", sagt er. 

Kinder im syrischen Flüchtlingscamp im Bekaa-Tal.
Kinder im syrischen Flüchtlingscamp im Bekaa-Tal.
Hilfswerk / Bobdo / Andreas Aichholzer

Auch deshalb präsentiert sich das so dicht besiedelte Lager den Journalistinnen und Journalisten, die an diesem heißen Dienstagvormittag Ende Juni dort recherchieren, auf den ersten Blick so gut wie menschenleer. Nur zögerlich wagen sich Bewohnerinnen und Bewohner auf die straubige Straße. Zu groß sei gerade unter den vielen Kindern im Lager die Angst, dass sich der Pressebus am Ende als Abschiebetransport entpuppt, heißt es. Denn zurück nach Syrien wollen die meisten nicht.

Durch den dortigen Bürgerkrieg sind rund zwölf Millionen Menschen zu Vertriebenen geworden. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung befindet sich innerhalb oder außerhalb des Landes auf der Flucht, rund zwei Millionen davon in dem kleinen Nachbarland Libanon. Hinzu kommen noch hunderttausende palästinensische Flüchtlinge, die bereits seit Jahrzehnten im Libanon leben. Kein anderer Staat beherbergt pro Kopf mehr Flüchtlinge.

Viele Einschränkungen

Im Camp selbst gebe es kaum Konflikte untereinander, erzählt Yasira, man würde zusammenhalten. Die Probleme würden wenn dann innerhalb der Familien liegen, wenn der Mann keinen Job finde etwa, ergänzt die Syrerin Kousah. Syrische Flüchtlinge dürfen im Libanon nur eingeschränkt in wenigen, ausgewählten Bereichen arbeiten, bekommen vom Staat weder eine Unterkunft noch finanzielle Unterstützung. Sie sind auf Schwarzarbeit oder die Versorgung durch Hilfsorganisationen angewiesen. 

Unterkünfte im syrischen Flüchtlingscamp im Bekaa-Tal.
Unterkünfte im syrischen Flüchtlingscamp im Bekaa-Tal.
Hilfswerk / Bobdo / Andreas Aichholzer

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Flüchtlingscamps sind also von dem Eigentümer des Grundstücks und davon, wie viel er für die Unterkünfte verlangt, abhängig. Man sieht hier Zelte aus Plastikplanen, zum Teil verstärkt mit Holz oder Metall. Aber auch Zementhäuser – die allerdings mehr als doppelt so viel Miete kosten. Viele Eltern leben mit mehreren Kindern in Unterkünften mit nur einem Zimmer.

In der Nähe des Camps gibt es seit etwa drei Jahren eine Free Clinic, in der Frauen und Kinder behandelt werden und nichts dafür zahlen müssen. "Klinik" wirkt dabei als Beschreibung leicht übertrieben: Es handelt sich um eine umfunktionierte Vierzimmerwohnung im ersten Stock eines Wohngebäudes. Aber es ist sauber, es gibt medizinische Geräte – und sie befindet sich in Gehdistanz zum Flüchtlingslager.

Immer mehr Libanesinnen

Deshalb sind hier vorrangig syrische Flüchtlinge, es kommen aber auch immer mehr Libanesinnen hinzu. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2019 können sich viele außerhalb einer Klinik wie dieser Behandlungen und Medikamente nicht mehr leisten. Infolge von jahrzehntelanger Misswirtschaft und Korruption plagt den Libanon die schwerste Wirtschafts- und Staatskrise seit Jahrzehnten: Die Preise sind teils um 600 Prozent gestiegen, die Währung ist im freien Fall, fast 80 Prozent der Bevölkerung leben mittlerweile in Armut. Viele sprechen vom Libanon mittlerweile als "failed state", die Wirtschaft ist zusammengebrochen, die politische Führung handlungsunfähig. Derzeit gibt es keine gewählte Regierung, seit Mai 2022 ist lediglich eine geschäftsführende am Werk. Das Amt des Präsidenten ist seit vergangenem Oktober nicht besetzt.

In die Free Clinic im Bekaa-Tal kommen rund 70 Patientinnen pro Woche, viele von ihnen zum Kinderarzt Mazhar al-Kak. Er ist seit drei Jahren dort tätig und derzeit zweimal die Woche im Dienst. Außer ihm arbeiten dort noch eine Hebamme, eine Psychologin, eine Sozialarbeiterin, eine Alphabetisierungslehrerin und eine Person zur Kinderbetreuung. Finanziert wird die Klinik vom Hilfswerk International, gesichert ist die Finanzierung allerdings nur bis Juni nächsten Jahres.

Schlechte Hygienebedingungen

Patientinnen würden mit allen möglichen Beschwerden Hilfe suchen, viele aber vor allem wegen Magen-Darm-Infekten oder Durchfallerkrankungen: "In den Camps gibt es keine Hygiene, das Wasser ist verschmutzt, und man hat keine Möglichkeit zur Desinfektion", sagt Mazhar al-Kak. Aber zumindest der Cholera-Ausbruch, der vergangenes Jahr auch das Bekaa-Tal heimgesucht hatte, sei nun vorbei.

Für viele Patientinnen bietet die Klinik neben medizinischer Versorgung einen weiteren Vorteil: den Austausch unter Frauen, die mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben wie sie. Das Trauma der Flucht, kein Geld, kranke Kinder – die Erzählungen der Betroffenen ähneln sich. Viele der Kinder besuchen öffentliche Schulen, die in schlechtem Zustand sind, einige müssen schon in jungen Jahren arbeiten gehen. Mit der schweren Wirtschaftskrise und den steigenden Preisen habe sich die Lage noch weiter verschärft, erzählen Patientinnen in der Klinik.

Seife aus Olivenöl

Ein weiterer Ort der Hilfe, und gleichzeitig auch Austausch ermöglicht, ist die Produktionsstätte von "Sabun – Die gute Seife", ein vor zwei Jahren ins Leben gerufenes Projekt des Hilfswerks International. Auch hier sind nicht nur Syrerinnen, sondern zur Hälfte auch Libanesinnen beschäftigt. Einmal in der Woche kommen die vier Frauen derzeit zur Produktion von Seife in Maghdouche, südlich von Beirut, zusammen. An diesem einen Tag produzieren sie rund 600 Stück Seife, unter anderem aus libanesischem Olivenöl.

Syrerin Izdihar
Die Seifenproduktion ist die Lebensgrundlage von Izdihars Familie.
Hilfswerk / Bobdo / Andreas Aichholzer

Izdihar floh im Jahr 2013 mit ihren Kindern aus dem syrischen Deraa in den Libanon, in Mann hatte schon vor der Flucht eine Arbeitserlaubnis im Land, arbeitete unter anderem in der Bäckerei und Tischlerei. "Er nahm jeden Job an, doch es reichte nicht aus", sagt Izdihar, die fünf Kinder hat und derzeit schwanger ist. Ihr Ehemann wollte ein besseres Leben für seine Familie und machte sich auf den Weg nach Europa, verbrachte Monate in einem Internierungslager in Libyen, schaffte es auf ein Boot in Richtung Italien – nach zwölf Stunden auf hoher See wurden sie aber von der libyschen Küstenwache wieder zurückgebracht. Ein halbes Jahr lang war er nicht bei seiner Familie, in dieser Zeit begann Izdihar mit dem Seifenherstellen. "Es half unsere Lebenssituation zu verbessern."

Mittlerweile hat auch ihre älteste Tochter mit Trainingsworkshops begonnen, in denen sie die Seifenherstellung lernt. Und die Miete für ihr Haus hat sich um ein Viertel erhöht. (Noura Maan aus dem Bekaa-Tal, Beirut und Maghdouche, 11.7.2023)