Ja, der Schönheit weiht man in Österreich gern sein Leben. Die Begnadung des hiesigen Volkes mit derselben ist hymnisch bewiesen, also ethnologisch abgesichert.

Weniger gut ist es um die nationale Sensibilität bestellt, obwohl man glauben sollte, dass der Schönheit zu opfern eine gewisse Portion davon voraussetzt. Umso größere Bedeutung kommt daher einem Ereignis zu, das neulich relativ unbemerkt über die Bühne ging, aber einen Umschwung in den tristen österreichischen Verhältnissen einleiten könnte, wenn es nicht bei einem einmaligen Vorgang bleibt. Da ging es in Kärnten um einen Fall von passiver Informationsfreiheit, das heißt, ein Magistrat musste sich Informationen herausreißen lassen. Auffassungsdifferenzen über den Begriff Meinungsvielfalt ließen den Magistrat zu einem Schlag gegen den Herausreißer ausholen, der nur deswegen in letzter Minute danebenging, weil die darin verwickelte Staatsanwaltschaft "in Bezug auf den Schutz von Berufs- und Redaktionsgeheimnissen sensibilisiert" wurde.

Bei den aktuellen Vorgängen in Kärnten musste die Justizministerin aktiv werden.
APA/HELMUT FOHRINGER

Bei Sensibilisierung ist zwischen einer Tracht Prügel und einem zärtlichen Kuss alles drin, die eingeschaltete Justizministerin wird wohl irgendetwas dazwischen gewählt haben, aber was, das blieb schon wieder Staatsgeheimnis. Die Wirkung war jedenfalls verblüffend, sie legt nahe, Sensibilisieren zu einem Instrument zu machen, das im politischen Leben wenigstens dort viel stärker eingesetzt wird, wo es noch nicht zu spät ist. Wichtig dabei: Es muss von oben kommen.

Die Wiener Zeitung könnte ihrem 400. Jubiläum entgegen erscheinen, hätte jemand Frau Raab, richtig dosiert, rechtzeitig sensibilisiert. Scharenweise und monatelang haben sich Persönlichkeiten des österreichischen Geisteslebens einschlägig bemüht, aber an der Sensibilisierungsresistenz einer medial zuständigen, aber kulturell inkompetenten Person mit grüner Rückenstärkung musste jedes gute Zureden abprallen. Dem Geist kommt in Österreich keine obrigkeitliche Macht zu, er bleibt Untertan, er ist der Regierung weder schön noch sensibel genug.

Dabei gäbe es so viel zu sensibilisieren. Wie etwa die Wiener ÖVP, die aus Anlass des neuen SPÖ-Vorsitzenden die Stadt einem Marxismus-Check unterziehen will. Im Fokus soll dabei u. a. der Karl-Marx-Hof stehen. Die geistigen Nachfahren derer, die vor neunzig Jahren dieses Bauwerk mit Kanonen beschossen und nebenbei die Demokratie abgemurkst haben, wären bei etwas mehr Sensibilität mit einem Austrofaschismus-Check besser beraten. Da hilft kein Sensibilisieren, Psychiatrieren brächte mehr.

Dringend sollte man auch faustische Naturen in ihrem Drang, Magistra oder Doktor gar heißen zu wollen, für die Auswahl der dafür von ihnen gewählten Universität sensibilisieren. Seit Riga und Bratislava kompromittiert sind, spräche vieles für Tiflis oder Ouagadougou. Nichts gegen die Wissenschaft dort, aber allein die Distanz ließe Doktoratsjäger verzichten. Es ist so traurig, wenn eine akademische Karriere ihren Glanz unter den Rädern der Zillertalerbahn verströmt.

Frühe Sensibilität gab es in Einzelfällen, wie der Fall Waldhäusl beweist, wo sie, auf die Schönheit Wiens angewandt, keine humanitären Grenzen kannte. Daher sagt man auch: Sensibilität liegt im Auge des Betrachters. (Günter Traxler, 30.6.2023)