Johannes Dieterich

Schließlich ging alles blitzschnell. Weniger als eine Dreiviertelstunde brauchte der UN-Sicherheitsrat am vergangenen Freitag in New York, um die "Multidimensionale integrierte Stabilisierungsmission" der Vereinten Nationen in Mali (Minusma) zu Grabe zu tragen: Einstimmig beschlossen die 15 Mitglieder des Rates die Abwicklung der tödlichsten und umstrittensten Mission des Staatenbunds bis Ende dieses Jahres. Mehr als 300 Blauhelmsoldaten mussten während des zehnjährigen UN-Einsatzes in dem westafrikanischen Staat ihr Leben lassen – die Frage ist: wozu?

Mali Un-Mission Minusma
Die UN-Mission Minusma in Mali wird bis Ende des Jahres Vergangenheit sein.
AFP/MICHELE CATTANI

Hätten die fast 22 Millionen Malier und Malierinnen über die Zukunft der Friedenmission zu entscheiden gehabt, wären die Chancen für eine Fortsetzung wesentlich größer gewesen. Doch auch beim Staatenbund entscheiden die Regierungen: Und Militärherrscher Assimi Goïta ließ keinen Zweifel an seinem Wunsch, dass die rund 15.000 Mitglieder der Mission "unverzüglich" nach Hause geschickt werden. Auch wenn der Sicherheitsrat noch ein halbes Jahr für einen "geordneten" Abzug herausschinden konnte: Spätestens dann wird in dem Unruhestaat ein gefährliches Vakuum entstehen, das die auf knapp 2.000 Söldner geschätzte russische Wagner-Gruppe gewiss nicht füllen wird. Zu befürchten ist vielmehr, dass die für ihre Brutalität berüchtigte Truppe das Pulverfass vollends zur Explosion bringen wird.

Massaker in Moura

Einem ihrer Einsätze ist zu verdanken, dass die UN-Mission jetzt abgewickelt wird. Im März vergangenen Jahres hatten russische Söldner gemeinsam mit malischen Soldaten das Städtchen Moura im Zentrum des Landes überfallen und mehr als 500 Menschen zum Teil kaltblütig exekutiert. Das Massaker löste weltweites Entsetzen und eine Minusma-Untersuchung aus, die in ihrem im Mai veröffentlichten Bericht zu dem Schluss kam, dass gemeinsam mit "ausländischen Kämpfern" operierende malische Soldaten für das Blutbad verantwortlich sind.

Erzürnt warf die Militärregierung in Bamako der UN-Mission Spionage und eine Gefährdung der Sicherheit des Landes vor: Die von Minusma erhobenen Vorwürfe würden "den Frieden, die Versöhnung und den natürlichen Zusammenhalt der Bevölkerung" zerstören. Seitdem wurde in Bamako das Ende der UN-Mission, der auch über 1.000 deutsche Soldaten angehörten, mit Hochdruck betrieben.

Viel hatten die rund 13.000 Blauhelmsoldaten in ihrem zehnjährigen Einsatz nicht ausgerichtet. Wenn überhaupt, konnten sie höchstens der Bevölkerung in den Städten des Landes einen gewissen Schutz vor den Übergriffen islamistischer Extremisten bieten, in diesem Fall der mit Al Kaida verbündeten Gruppe "Jama'at Nusratul Islam wal Muslimin" (JNIM) und dem Islamischen Staat in der Sahel-Provinz. Außerhalb der Städte war die Bevölkerung den Angriffen der Islamisten wehrlos ausgesetzt – vor allem, nachdem Frankreich seine Fremdenlegionäre im vergangenen August vollends abzog. Sie hatten zehn Jahre lang Jagd auf die Islamisten gemacht, die den Norden Malis gemeinsam mit Sezessionisten im Jahr 2012 besetzt gehalten hatten. Damals waren die französischen Soldaten noch als Befreier gefeiert worden.

Labiles Abkommen

Als sich abzeichnete, dass die Fremdenlegionäre die islamistischen Umtriebe nie wirklich stoppen würden, verschlechterte sich das Verhältnis zur einstigen Kolonialmacht: Hinzu kam, dass den Franzosen in der im Süden gelegenen Hauptstadt Bamako eine zu große Nähe zu den sezessionistischen Tuaregs im Norden vorgeworfen wurde. Das "Abkommen von Algerien", das für Frieden zwischen den Tuaregs und Bamako führen sollte, erwies sich als zunehmend labil – und wird nach dem Abzug der vor allem im Norden stationierten Blauhelmsoldaten in akuter Gefahr sein.

Die Enttäuschung über die Franzosen und der Aderlass der malischen Regierungstruppen führte im August 2020 zu einem Putsch der Militärs gegen die als frankophil betrachtete zivile Regierung: Die Offiziere präsentierten sich als "Retter der Souveränität" ihres Landes. Kurz später bot sich die Wagner-Truppe, die überall in Afrika nach Anknüpfungspunkten suchte, als Freund der Militärs an: Deren Offiziere hatten noch aus Zeiten des Kalten Krieges beste Beziehungen zu Moskau.

Die Ankunft der russischen Söldner änderte die Lage in Mali dramatisch. Paris zog sich verstimmt zurück, Bamako setzte seine Hoffnungen auf die Wagner-Gruppe und machte Minusma mit zahllosen Restriktionen das Leben schwer. Die deutschen Soldaten durften kaum noch ihre Drohnen fliegen lassen: wohl aus Furcht, sie könnten die Umtriebe der Söldner beobachten. Schon im vergangenen Jahr zeichnete sich ab, dass Minusma zum Scheitern verurteilt ist.

Mehr Angriffe durch Extremisten

Unter dem Abzug der Blauhelmsoldaten wird vor allem Malis Landbevölkerung leiden: Sie wird sowohl den Angriffen der Islamisten wie der Brutalität der russischen Söldner schutzlos ausgeliefert sein. In der Folge könnten immer mehr Menschen den Extremisten in die Arme getrieben werden. Ihre Angriffe nehmen schon jetzt an Häufigkeit zu – allein in der ersten Hälfte dieses Jahres fielen fast 1.600 Menschen ihren Überfällen zum Opfer.

Fachleute sind sich einig, dass Malis Spannungen nur politisch zu lösen sind: Auch Paris musste einsehen, dass eine militärische Lösung gegen die Extremisten im Sahel ausgeschlossen ist. Indem er die UN-Mission beenden lässt und die russischen Söldner mit der Sicherung des Landes betraut, schlägt Militärherrscher Assimi Goïta die entgegengesetzte Richtung ein: In der Heimat Timbuktus und der ältesten Universitäten der Welt zeichnen sich noch schlimmere Zeiten als heute schon ab. (Johannes Dieterich, 4.7.2023)