Im Community-Artikel spricht Maximilian Rotter über das ungenutzte Potenzial von Personen mit Asperger-Syndrom.

Ich würde mir wünschen, es gäbe eine Stadt für Asperger. Eine Stadt von Aspergern, für Asperger geplant und umgesetzt. Bislang verschwenden Asperger viel Potenzial für aus meiner Sicht völlig nutzlose Floskeln oder völlig sinnlose gesellschaftliche Konventionen. Asperger-Autisten wurden nie bedürfnisgerecht unterrichtet, und "richtig" unterrichten wurde auch noch gar nicht vollständig erforscht.

Wenn ich von mir ausgehe, dann würde diese Stadt vermutlich aber trotzdem sehr effizient laufen, weil ein typischer Asperger sich nicht eigennützig verhält. Ein Asperger hat seine Stärken dort, wo der durchschnittliche Neurotypische seine Schwächen hat. Im Moment liegen die Stärken des Asperger aber meist brach, und man fokussiert sich auf die Schwächen! Was habe ich erreicht? Ich bin niemand Besonderer. Aber wenn man bedenkt, dass ich keinesfalls richtig unterrichtet wurde und es trotzdem zu einem durchschnittlichen Leben gebracht habe, kann man sich vorstellen, was ich – bei geeigneter Förderung – vielleicht erreicht hätte. Da ich damit bei weitem kein Einzelschicksal bin, stellt sich die Frage: Wie viel Potenzial geht in der gegenwärtigen Situation verloren? Mit wie viel Unglück geht das einher?

Menschenmenge
Wie kann eine Stadt aussehen, in der auf Personen mit Asperger-Syndrom Rücksicht genommen wird?
Foto: Getty Images/iStockphoto

Wie ich das meine? Einfach so: Wir Asperger müssen ständig gegen den Strom schwimmen. (Stichwort "masking" etc.) Und dabei erreichen wir niemals ruhige Gewässer ... Das alleine macht schon nicht glücklich. Aber obendrein ist mir natürlich klar: Wenn wir die Energie, die wir aufwenden müssen, um in der Gesellschaft akzeptiert zu werden, in die volle Entfaltung unserer Stärken stecken könnten, würde der Nutzen für die Gesellschaft vermutlich enorm sein.

Ich kann jetzt, da ich mein "Anderssein" langsam zu verstehen beginne, auch verstehen, in wie viele Fettnäpfchen – oder Schlimmeres – ich aus Missverständnissen völlig unnötig hineingetreten bin. In der von mir erwünschten Stadt wäre das anders. Neurotypische wüssten von der "anderen Art", und Asperger würden ganz von alleine untereinander funktionieren. Und das meiner Erfahrung nach sehr effektiv. Das durfte ich selbst erleben, als ich beim gemeinnützigen Verein Specialisterne zusammen in einer Asperger-Gruppe die Aufgabe hatte, knifflige Aufgaben (für einen Kompetenzcheck) zu lösen: hohe Effizienz, Sachlichkeit, Fairness und das Erlebnis, dass Optimierungsvorschläge von allen gerne aufgegriffen wurden und sich niemand persönlich angegriffen, kritisiert oder zurückgesetzt fühlte. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einer Gruppe funktioniert habe, ohne mich dabei anzustrengen. Und das war wunderbar!

Genauer hinsehen

Das Lehrpersonal wüsste, dass Asperger anders lernen und könnte daher richtig unterrichten. Wer an dieser Stelle denkt, dass Asperger dumm sind, dem kann ich versichern: Mein IQ ist zum Beispiel keinesfalls geringer als der des Durchschnitts.

Ich denke, es würde nach einer "Einspielphase" Fahrt aufnehmen und gut laufen. Asperger könnten sich ihren Stärken widmen. Und weil auch ein Asperger-Autist keinem zweiten gleicht, würden die unterschiedlichen Spezialgebiete dem individuellen Asperger eine Betätigungsmöglichkeit bieten, und die Gesellschaft erhielte ganz viele enthusiastische Verfechter, die in ihren jeweiligen Spezialgebieten sicher ein Gewinn wären! Und weil eben viele Asperger auch viele Spezialgebiete bedeuten, wäre ein breites Gebiet abgedeckt. Weiters sind – wie auch bei neurotypischen Personen – Asperger in der Gruppe sehr viel effektiver als ein Asperger allein. Das ist, warum ich glaube, dass ein Aspiehausen sinnstiftend für alle wäre.

Es waren häufig die "anderen", die wesentliche Änderungen bewirkt haben. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass in genau dieser Stadt viele gute und geniale Ideen geboren werden würden. Und jetzt mal ehrlich: Aktuell kosten Asperger viel Geld. Warum wird diese zurzeit unrentable, aber vielversprechende Gesellschaftsgruppe so ignoriert? Ein sehr hoher Prozentsatz meiner Leidensgenossen ist arbeitslos. Wir finden keine Arbeit, weil wir schon in der Schule scheitern und später bei Bewerbungsgesprächen auch in alle Fettnäpfchen treten, die es einzusammeln gibt. Wir sind zum lebenslangen Scheitern verurteilt, weil es eben so ist, dass wir "anders" sind. Und anstatt dass unser Potenzial genutzt wird, müssen wir häufig unsere Haut verteidigen, weil wir in der bestehenden Gesellschaft nicht nur nicht akzeptiert, sondern sogar bekämpft werden.

Gesellschaftliche Hürden

Auch ich bin gerade arbeitslos. Warum? Einfach weil ich, nachdem ich einmal als Systemadministrator arbeiten konnte, gesehen habe, dass mir das liegt. Leider bin ich dann nach fast 15 Jahren ein Opfer einer Streitigkeit innerhalb der Firma geworden. (Nicht einmal mit oder wegen mir!) Seit ich diesen Posten nicht mehr habe, torkle ich von einem Job zum nächsten. Alle zu leicht und/oder mit Hürden, die für einen Asperger zu hoch sind.

"Ah,", werden Sie vielleicht denken, "ist ihm doch die eine oder andere Sache zu schwer." Und ja, es stimmt. Die letzten Jobs brachten Hürden mit sich, die mir einfach zu hoch waren. Es wurde über einen längeren Zeitraum nicht geschafft, mir für die Arbeit wichtige Dinge zur Verfügung zu stellen. Es waren immer Vorfälle, die auch die Kollegen und Kolleginnen zur Weißglut getrieben haben. Aber als Asperger ist man einfach weniger kompromissbereit. Und nun versuche ich wieder in der IT-Branche Fuß zu fassen, aber das ist schwierig mit nur einem Arbeitszeugnis. Angeblich gibt es ja einen Fachkräftemangel. Ich merke halt wenig davon.

Noch ein kleiner Hinweis: Der Terminus "Aspiehausen" ist nicht zufällig entstanden. Neurotypische werden als NT abgekürzt. Und wenn man "NT" buchstabiert, wird eine Ente daraus. Also Entenhausen und Aspiehausen ... Und wir sind eben anders! (Maximilian Rotter, 12.7.2023)