Die Wiener Küche ist erstaunlich arm an Sommergerichten. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es früher schlicht keinen Sommer gab oder der Wunsch nach sommerlichem Essen ein moderner ist – mir fällt kaum etwas ein außer saurer Wurst und Marillenknödel. Weil ich saurer Wurst skeptisch gegenüberstehe, aber Marillenknödel liebe, haben der Heinrich S. und ich unsere Ferienzeit-Experimente damit begonnen.

Meinen schönste verklärte Marillenknödel-Erinnerung stammt ganz klischeehaft aus der Wachau. In meiner Erinnerung war der Knödel faustgroß, mit dickem, aber herrlich flaumigem Teig. Mir ist seither kein derartiger Marillenknödel mehr untergekommen, und ich glaube heute fast, die Frucht war damals in Germteig geschlagen.

Wir haben uns trotzdem dem ganz klassischen Marillenknödel in Topfenteig gewidmet – weil er Standard ist und ziemlich, ziemlich gut: flaumig, sauer und zart süß, außen knusprig-buttrig von den Bröseln, innen cremig-weich von geschmolzener Frucht.

Den unappetitlichen Irrtum eines Kartoffelteig-Fruchtknödels haben wir ignoriert.

Eine kurze Geschichte des Fruchtknödels im Allgemeinen und des Marillenknödels in Topfenteig im Besonderen

Der Knödel an und für sich ist eines der ältesten Essen der Menschheit. Archäologische Funde von versteinerten Knödelresten belegen, dass seine Vorfahren bereits in der Jungsteinzeit im Gebiet des heutigen Österreich gegessen wurden, und gut 4.000 Jahre später, um das nachchristliche Jahr 1100, malte ein unbekannter Künstler eine knödelessende Frau an die Wand einer Südtiroler Burgkapelle. Die sogenannte Knödelesserin in der Burg Hocheppan gilt als die älteste erhaltene westliche Knödeldarstellung. 1

Das Konzept des Fruchtknödels ist nicht ganz so alt. Zwar stehen bereits im ältesten österreichischen Kochbuch, dem "Freywillig aufgesprungenen Granatapfel" von 1701, Fruchtknödelrezepte, und zwar für Äpfel und Kirschen. Allerdings unterscheiden sie sich noch recht deutlich von modernen Marillenknödeln: Die Früchte werden gekocht, gehackt und dann mit einem Semmelbrösel-Mehl-Ei-Teig gemischt und in Schmalz herausgebacken – sie entsprechen also eher unseren gebackenen Apfelradeln als einem modernen Topfen-Marillenknödel.

Foto: Tobias Müller

Der erste Fruchtknödel, den wir als solchen erkennen würden, taucht dann erst 1845 in einem Wiener Kochbuch auf, und zwar unter dem Namen "Böhmische Zwetschkenknödel": Das Rezept beschreibt eine ganze, frische Frucht, die in Teig gewickelt gekocht wird, und entspricht schon ziemlich unserer Vorstellung, Butterbrösel inklusive. Die Ortsangabe und der Nudelteig, in den die Zwetschke hier geschlagen wird, lassen vermuten, dass es vielleicht gar nicht der Knödel war, der hier Pate gestanden ist, sondern die Teigtasche bzw. die Pirogge, die in Osteuropa gern mit Früchten gefüllt wird.2

Die Zwetschke bleibt einige Jahre die einzige Frucht, die so behandelt wird – erst 1873 kommt dann im Salzburger Kochbuch der Josefine Zöhrer die Marille hinzu, und bald folgen wieder Äpfel und Kirschen, diesmal im Ganzen.

Auch der Teig wird mit den Jahren abwechslungsreicher – zum Nudel- gesellen sich bald Brand- und Kartoffelteig, der Topfen aber lässt relativ lang auf sich warten. Die ersten Topfenknödel tauchen 1851 bei Katharina Schreder auf, allerdings sind sie noch ungefüllt. Erst mehr als 30 Jahre später, 1882, ist belegt, dass Menschen auf die Idee gekommen sind, Marillen in Topfenteig zu packen: Die Zeitschrift "Wiener Hausfrau" druckt ein Rezept für "Marillenknödel in dünnem Teig", das der modernen Version schon sehr nahekommt. 1890 werden sie schließlich in Katharina Pratos "Süddeutscher Küche" erstmals in einem Kochbuch gedruckt.

Warum so spät, wo es doch die bestmögliche Kombination ist? Ich kann nur mutmaßen, dass die Mischung aus sommerlichen Temperaturen für Obst und Topfen und fehlenden Kühlgeräten lange verhindert hat, dass zusammenfindet, was zusammengehört – und gegen Ende des 19. Jahrhunderts dann endlich zumindest in großbürgerlichen Haushalten Kühlschränke weit genug verbreitet waren.

Der Stand der Marillenknödeldinge

Nachdem Topfenteig und Marille einmal zusammen gefunden hatten, hat sich das Rezept nicht mehr rasend verändert: Topfen, Ei und etwas Butter werden verrührt, dann Mehl beigemischt und die Früchte in den Teig geschlagen. Serviert werden sie schon seit Pratos Zeiten mit gerösteten Butterbröseln.

Grafik: Heinrich steininger

Die Unterschiede liegen eher im Detail: Das Mehl-zu-Topfen-Verhältnis variiert, von knapp 60 Prozent Topfen bei Mayer Bruck und Plachutta zu fast ebenso viel Mehl bei Hawelka. Alte Rezepte sind generell in der Regel mehllastiger als moderne, wohl noch ein Überbleibsel der Nudelteigfruchtknödeltradition. Die Menge an Eidottern schwankt ein wenig: Die meisten Rezepte nehmen ganze Eier, einige geben noch extra Dotter hinzu; und die Rastzeit des Teiges variiert zwischen "mehreren Stunden" und ein paar Minuten. Das war's.

Was hingegen so gut wie überhaupt nicht thematisiert wird, sind die zwei wichtigsten Zutaten: Topfen und Marillen. Bei den Früchten verstehe ich das Schweigen der Rezepte. Die Varianz zwischen einzelnen Jahrgängen und Bäumen ist einfach zu groß, als dass ich hier mehr als grobe Empfehlungen abgeben würde: Die Sorte "Ungarische Beste" gilt seit langem als Top-Marille, vor allem wenn sie verkocht wird. Sie wird sowohl in der Wachau3 als auch in Kittsee in mehr oder weniger großem Stil angebaut.

Beim Topfen schaut das schon ganz anders aus. Da haben wir die Herausforderung angenommen und uns auf Experimente eingelassen.

Foto: Tobias Müller

Der richtige Topfen

In alten Rezepten wird selten näher auf den Topfen eingegangen, wenn, dann ist aber von "gut ausgepresstem" Topfen zu lesen. Ich nehme also an, dass Bröseltopfen historisch der Topfen der Wahl war. Wir haben uns für unseren Test trotzdem quer durchs Rewe- und Spar-Sortiment probiert, plus ein paar edlen Exoten und auch einigen streichfähigen Topfen. Wir haben erstens einen klaren Sieger gefunden, den Hoflieferanten Bauerntopfen feinbröselig, den es sowohl bei Billa als auch bei Spar gibt. Und das Ergebnis hat mich ziemlich überrascht, und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Erstens: Der Fettgehalt von Topfen variiert stark, aber nicht so wie gedacht. Die große Angabe auf vielen Topfenpackungen – 20 oder 40 Prozent Fett – ist nämlich die Fettmenge in der Trockenmasse, also in einem theoretischen Topfen, nicht im tatsächlichen Produkt, das ja Trockenmasse plus Wasser ist. Der Fettgehalt des tatsächlichen Topfens in der Packung steht im Kleingedruckten auf der Seite, wo Fett pro 100 g angegeben ist. Er liegt bei den allermeisten Produkten, auch den 40-prozentigen, bei etwa drei bis vier Prozent. Ausreißer waren Höflmayers Biotopfen und der Nöm Speisetopfen 40 Prozent mit je rund zehn Prozent Fett und die Hoflieferanten mit fast unglaublichen 20 (!) Prozent Fett – mindestens das Fünffache des Großteils der Konkurrenz.4

Zweitens: Die meisten Bröseltopfen sind nicht trockener als Cremetopfen. Der Topfen wird für den Teig der Knödel traditionell durch ein Sieb passiert, um größere Brocken zu vermeiden. Wir haben unseren stattdessen in die Küchenmaschine geworfen, weil das schneller geht – und haben festgestellt, dass die meisten Bröseltopfen nach kurzem Mixen die exakt gleiche Konsistenz wie Cremetopfen hatten. Mit einer Ausnahme: dem Topfen der Hoflieferanten. Der war auch nach dem Hacken immer noch bröselig.

Und drittens: Für den Geschmack und die Flaumigkeit des Endprodukts ist der Topfen erstaunlich egal. Roh schmecken die Topfen schon merkbar unterschiedlich (der Altwiener Speisetopfen von Schärdinger hat uns am besten geschmeckt, die Nöm war ziemlich fad), und auch unsere kleinen ungefüllten Topfen-Testknödel waren sehr verschieden. Hier haben die aus dem Hoflieferanten-Topfen die Geschmacks- und Konsistenzwertung gewonnen. Einmal gefüllt, wird der Teig aber von der Marille von innen und den Bröseln von außen geschmacklich so überwältigt, dass die Topfen keinen merkbaren Unterschied mehr machen.

Wo der Topfen-Unterschied allerdings groß ist, ist bei der Konsistenz des rohen Teiges: Der Teig, den wir aus dem Hoflieferanten-Topfen gemacht haben, ließ sich mit Abstand am besten und angenehmsten formen, und zwar auch dann, wenn er sehr wenig Mehl und sehr viel Topfen enthielt (siehe weiter unten). Großer Pluspunkt, wenn man topfenlastige Teige mag oder einfach viele Knödel machen will/muss. Wir haben für diesen Test um die 90 gerollt, da fällt so was ins Gewicht.

Topfenknödel geformt Marillenknödel
Guter Topfen = gut formbarer Teig = schönerer Knödel.
Foto: Tobias Müller

Flaumig, flaumiger, Eischnee und Grieß im Teig

Für das Mundgefühl wichtiger ist das Verhältnis von Mehl zu Topfen im Teig – allerdings nicht so, wie ich das gedacht hätte. Flaumiger waren nämlich bei unseren Tests jene Knödel, die nicht zu viel Topfen bzw. nicht zu wenig Mehl enthielten. Die sehr topfenlastigen Teige sind nicht nur schwieriger zu formen – sie müssen eher mit nassen Händen geschliffen werden –, sie neigen auch, einmal gegart, ein wenig zur Breiigkeit statt Flaumigkeit. Etwas mehr Mehl gibt eine bessere Konsistenz. Achtung: Zu viel, und es bleibt mitunter ein wenig Mehlgeschmack zurück.

Grafik Ei-Mehl-Mischung.
Die Mehl-Wohlfühlzone liegt für mich leicht rechts von Plachutta und Mayr-Bruck.
Grafik: Heinrich Steininger

Abgesehen davon haben wir einiges probiert, ohne große Erfolge zu erzielen: Weder Grieß noch Eischnee noch Briochebrösel im Teig haben einen großen Flaumigkeitsunterschied gemacht. Der Heinrich S. hat dann nach unseren Versuchen eine Quelle gefunden, die behauptet, dass die Knödel möglichst heiß gekocht werden müssen (so, dass sie gerade noch nicht zerfallen), um richtig flaumig zu werden. Versuche dazu stehen noch aus.

Die Reihenfolge

Teig- und Backrezepte erzählen ihren Lesern gern, in welcher Reihenfolge Zutaten zuzugeben und zu mixen sind. Ich bin seit jeher dabei oft skeptisch, ob das tatsächlich sinnvoll oder reine Hobbykoch-Schikane ist. Im Fall der Topfenknödel scheint es Zweiteres zu sein. Für die meisten Teige haben wir zuerst Eier und Butter schaumig gerührt, dann Mehl und Topfen gemischt und diese Masse dann mit der Ei-Butter-Mischung verknetet. Für einen Probeteig haben wir einfach alle Zutaten in den Mixer geworfen und losgemixt. Für den Knödelgenuss hat das keinen Unterschied gemacht, der faule Teig war genauso gut.

Über Sinn und Unsinn des Rastens

Fast alle Rezepte empfehlen, den Teig rasten zu lassen, mitunter mehrere Stunden. Wir konnten auch bei 24 Stunden gerasteten Teigen keinen Unterschied feststellen, weder bei der Leichtigkeit der Verarbeitung noch im Endergebnis. Das ist erfreulich: Wer will, kann seinen Teig wunderbar vorbereiten, und wer es eilig hat, darf sich trotzdem über super Knödel freuen.

Das Formen

Die meisten Rezepte schreiben davon, den Teig zu einer Rolle zu formen und dann Segmente davon abzuschneiden. Bei keinem unserer Teige war an ein Rollen formen zu denken, auch nicht beim herrlich festen, leicht verarbeitbaren aus dem Supertopfen. Wir haben stattdessen einfach ein etwa marillengroßes Teigstück abgezwickt und die Marille da hineingedrückt. Beim feuchten, topfenlastigen Teig haben wir mit nassen Händen gearbeitet. Hat wunderbar funktioniert.

Teig-zu-Marillen-Verhältnis, leicht auf der (feucht)teigigen Seite.
Foto: Tobias Müller

Das Garen

Sehr heißes, aber gerade nicht kochendes Salzwasser hat sich wenig überraschend als optimal erwiesen. Bloß die Zeitangaben der meisten Rezepte von um die 15 Minuten Garzeit halte ich für grenzwertig: Es dauert einfach ein bisserl, bis die Marille schön weich ist, wie ich das in meinem Knödel mag – Marillenknödel mit harter Marille drin geht gar nicht.5 Achtung: Zu lang, und die Teigkonsistenz leidet. Je nach Marillengröße und Reifegrad liegt das Perfektionsfenster meiner Meinung nach bei 20 bis 25 Minuten.

Verschiedene Knödel, eine Gartemperatur. Vielleicht ein Fehler.
Foto: Tobias Müller

Was wir über Marillenknödel gelernt haben

Der Heinrich S. meint zwar, dass wir erst an des Marillenknödels bröseliger Oberfläche gekratzt haben und zahlreiche Versuche noch ausstehen (Backpulver im Teig? glattes oder griffiges Mehl? viel Eischnee?). Ich wage trotzdem jetzt schon zu sagen: Marillenknödel sind ein äußerst dankbares Dessert.

Sie brauchen keine feine Hand und funktionieren fast immer ziemlich gut, egal ob man sich um Details schert oder nicht. Nicht einmal sehr gute Marillen sind besonders wichtig: Zuckerwürfel in der Mitte und die Hitze erledigen, was Baum, Sorte oder Wetter zu wünschen übrig ließen, und wenn weder Form noch Geschmack des Knödels top sind, dann sind die Butterbrösel geil.

Und, besonders erfreulich: Sie lassen sich sehr gut warm halten. Weil wir in einem Kindergarten gekocht haben, um genug Abnehmer für all die Testknödel zu haben, haben wir sie teilweise eine Stunde im Rohr aufgehoben. Hat wunderbar funktioniert. Einfach bei etwa 100 Grad ins Rohr schieben und essen, wann es beliebt.

Sonst gilt:

Einer davon ist der vorläufig perfekte "Gruß aus der Küche"-Marillenknödel, ich weiß aber nicht mehr, welcher. Der rechts unten erscheint mir zumindest am schönsten.
Foto: Tobias Müller

Das vorläufig perfekte "Gruß aus der Küche"-Marillenknödel-Rezept (für 6 bis 9 Knödel)

Die Marillen entsteinen, etwa indem Sie mit dem Stiel eines Holzkochlöffels an der Seite des Stielansatzes in die Marille stechen und den Kern so herausdrücken. Geht viel leichter, als es klingt, und macht Spaß. In jede Marille statt des Kerns ein Stück Würfelzucker stecken und am besten eine halbe Stunde ziehen lassen, damit der Zucker etwas schmilzt.

Die Brösel im Rohr rösten, bis sie gewünscht braun sind und duften. Währenddessen die Butter zerlassen und ebenfalls zart bräunen. Zucker nach Geschmack und den Großteil der Butter mit den gerösteten Bröseln mischen und ein wenig zum Servieren aufheben.

Topfen durch ein Sieb passieren oder in der Küchenmaschine feinbröselig hacken. Mit Mehl/Grieß, weicher Butter, Eiern und Salz in einem Mixer zu einem glatten Teig rühren. Währenddessen einen großen Topf Wasser zum Sieden bringen – er soll nicht wallend kochen, aber doch knapp unter 100 Grad haben.

Nun ein Stück Teig in der Größe einer Marille nehmen, etwas flachdrücken und eine Marille darin einschlagen. Einen schönen Knödel formen und vorsichtig in das wallende Wasser gleiten lassen (oder mit einem Schaumlöffel hineinlegen). Wiederholen, bis alle Marillen aufgebraucht sind oder nicht mehr gemütlich in den Topf passen. Im Zweifelsfall in mehreren Durchgängen oder mit zwei Töpfen arbeiten.

Je nach Marillengröße und -reife um die 20 Minuten ziehen lassen, im Zweifel etwas länger als kürzer. Leicht gatschiger Teig ist viel besser als eine harte Frucht. Herausheben, in den Bröseln wenden und bestaubzuckern. Am Tisch mit Löffel und Gabel entzweireißen und frisch geöffnet mit brauner Butter beträufeln.6 Wohl bekomm's. (Tobias Müller, 9.7.2023)