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Historische Videospiele sind oft nur noch für passionierte Sammler mit viel Aufwand an Zeit und Geld verfügbar. Das ist ein Problem für die Forschung.
APA/AFP/TENGKU BAHAR

Dass Videospiele eine Form der Kunst sind, wäre vor einigen Jahrzehnten wohl noch bestritten worden. Heute zweifelt daran aber noch kaum jemand. Wie jede andere Kunstform auch, sind Archive, Museen und Bibliotheken bemüht, diese Kulturgüter zu erhalten. Eine antike Statue kann man konservieren und ausstellen. Alte Gemälde werden aufwendig in klimatisierten Räumen geschützt, das sind alles komplexe Vorgänge, aber die Erhaltung von Videospielen ist noch einmal deutlich schwieriger. Das liegt erstens an der Kurzlebigkeit von Datenträgern und zweitens an der Industrie selbst. Letztere betont zwar immer wieder, dass sie für die Archivierung der Werke sorge, aber oft sind historische Spiele nicht mehr zugänglich.

Neun von zehn Games verschwinden

Die Video Game History Foundation (VGHF) hat sich mit dem Software Preservation Network zusammengetan und eine Studie über die Zukunft von historischen Videospielen veröffentlicht. Und diese sieht leider düster aus: Nur 13 Prozent der klassischen Videospiele, die in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden, sind derzeit überhaupt auf dem Markt. 87 Prozent aller Spiele könnten für immer verlorengehen, wenn sie nicht in irgendeiner Form konserviert werden. 

Als "klassisch" gilt ein Videospiel, wenn es vor dem Jahr 2010 veröffentlicht wurde. Dieses Datum kommt nicht von ungefähr, denn in diesem Jahr begann sich der digitale Spielevertrieb gegenüber physischen Kopien auf CD oder DVD durchzusetzen.

Ein Beispiel aus der Studie ist "Yakuza" von 2006 für PlayStation 2. Es wurde 2016 in Form von "Yakuza Kiwami" neu aufgelegt, das als exzellent gelobt wurde. Wie die VGHF jedoch feststellte, handelt es sich bei "Yakuza Kiwami" "um ein komplettes Remake von Grund auf und sollte als eigenständiger Titel betrachtet werden", zumal das Originalspiel nicht mehr erhältlich ist. Genau dafür plädiert die VGHF. "Für den Zugang zu fast neun von zehn klassischen Spielen gibt es nur wenige Möglichkeiten: Die Suche nach alten Sammlerstücken und Hardware, die Reise quer durchs Land, um eine Bibliothek zu besuchen, oder Piraterie", schrieb VGHF-Co-Direktor Kelsey Lewin.

Rechtliche Hürden

"Keine dieser Möglichkeiten ist erstrebenswert, was bedeutet, dass die meisten Videospiele für alle außer den eingefleischtesten und engagiertesten Fans unzugänglich sind. Das ist ziemlich düster". Denn nur 13 Prozent der Spielegeschichte ist in Bibliotheken archiviert. Einem Bericht von "Ars Technica" vom März 2023 zufolge verhindern die Gesetze rund um den Digital Millennium Copyright Act (DMCA) weitgehend, dass Kopien von DRM-geschützten digitalen Werken erstellt und verbreitet werden.

Das US-Urheberrechtsamt hat zwar Ausnahmeregelungen zu diesen Vorschriften erlassen, damit Bibliotheken und Forscher digitales Material archivieren können, doch Videospiele sind ausdrücklich ausgenommen, was es für jeden nahezu unmöglich macht, die Geschichte von Spielen effektiv zu studieren.

"Stellen Sie sich vor, die einzige Möglichkeit, 'Titanic' zu sehen, bestünde darin, eine gebrauchte VHS-Kassette zu finden und Ihr eigenes altes Equipment zu pflegen, um den Film trotzdem ansehen zu können", schrieb Lewin. "Und was wäre, wenn keine Bibliothek, nicht einmal die Library of Congress, es besser machen könnte – sie könnten das VHS-Video von 'Titanic' aufbewahren und digitalisieren, aber man müsste den ganzen Weg dorthin gehen, um es anzusehen. Es klingt verrückt, aber das ist die Realität, in der wir mit Spielen leben, einer 180 Milliarden Dollar schweren Industrie, während die Spiele und ihre Geschichte verschwinden."

Widerstand aus der Industrie

Für die Studie wurden stichprobenartig Videogames überprüft, ob und wie sie noch verfügbar sind - dabei gingen die Autorinnen und Autoren zurück bis zu den Mainframe-Spielen aus den 1960er-Jahren, wie "Kotaku" berichtet. "Es handelt sich um eine wirklich zufällige Stichprobe, sodass die Leute sehen können, dass es nicht nur darum geht, sicherzustellen, dass 'Mario' verfügbar ist, denn Nintendo wird weiterhin 'Mario' verkaufen. Aber für jedes verfügbare 'Mario' gibt es neun andere Spiele, von denen Sie vielleicht noch nie gehört haben, die vielleicht nicht einmal historisch bedeutsam sind - oder von denen wir noch nichts wissen, die aber potenziell sehr interessant für die Forschung sein könnten."

Die Lösung wäre eine behördliche Archivierung der Kulturgüter, wie es weltweit auch mit Zeitungen und Büchern geschieht. Doch dagegen hat die Industrie erfolgreich lobbyiert. Levin merkte zwar an, dass Bibliotheken als Bewahrungsinstitutionen zwar weitgehende Freiheit genießen, Bemühungen zur Konservierung von Videospielen seien aber von der Entertainment Software Association (ESA) immer wieder verhindert worden. "Die ESA hat sich im Grunde gegen all diese neu vorgeschlagenen Ausnahmen ausgesprochen", so Lewin. "Sie haben einfach gesagt: 'Nein, das schadet unserem Gewinn.'"

Die Studie wird in einer Anhörung zum Urheberrecht im Jahr 2024 verwendet werden, um Ausnahmen für Spiele zu fordern. Lewin ist zuversichtlich, dass Fortschritte erzielt werden, und deutet an, dass bei einem positiven Ausgang der Anhörung Spiele in digitalen Bibliotheks-Apps wie Libby verfügbar sein könnten.

Initiativen in Europa

In Europa ist die Situation aktuell nicht viel besser. Die private European Federation of Game Archives Museums and Preservation Projects (EFGAMP) ist ein Zusammenschluss von 14 Museen und Bibliotheken, die sich der Archivierung und Erhaltung des Kulturguts Videospiel verschrieben haben. Darunter befindet sich mit Subotron auch die Plattform für digitale Spielkultur in Wien. Das Ziel der Organisation: eine technische Lösung zu finden, wie man digitale Daten speichert, sodass sie auch in ferner Zukunft noch zugänglich sind. Am Ende soll jedes digitale Werk so einfach zugänglich sein wie ein Shakespeare-Drama oder eine Sinfonie von Mozart. (pez, 14.7.2023)