Die Verwerfungen rund um das Modeschmucklabel Bruna (der STANDARD berichtete) haben ein Schlaglicht auf ein Thema geworfen, das Schmuckhersteller ebenso wie Konsumentinnen und Konsumenten bewegt: Was heißt Nachhaltigkeit in dieser Industrie, und wie viel sind einschlägige Zertifizierungen wert? Vor allem am Responsible Jewellry Council (RJC) scheint man in diesem Zusammenhang nicht vorbeizukommen. Viele namhafte Marken wie Chopard, wo man sowohl Schmuck als auch Luxusuhren herstellt, oder der Uhrenhersteller IWC Schaffhausen berufen sich auf dessen Standards.

Ringe von Bruna: Die Ereignisse rund um den angesagten österreichischen Modeschmuckhersteller, der sich ethisch korrekt und nachhaltig gibt, werfen einige Fragen nach dem Wert einschlägiger Zertifizierungen auf.
Ringe von Bruna: Die Ereignisse rund um den angesagten österreichischen Modeschmuckhersteller, der sich ethisch korrekt und nachhaltig gibt, werfen einige Fragen nach dem Wert einschlägiger Zertifizierungen auf.
Nadja Kupsa

Auch das  österreichische Label Bruna erklärt in einem dem STANDARD vorliegenden Statement (siehe Infobox), dass man seine Schmuckstücke nicht in China (so lautet der Vorwurf in einem Artikel des Magazins "Fleisch", der den Stein ins Rollen gebracht hatte), sondern in Italien und Thailand von familiengeführten Unternehmen mit RJC-Zertifizierung fertigen lasse. Die Unternehmen seien dazu verpflichtet, "die hohen Standards ethischer Geschäftspraktiken zu erfüllen und unseren 'Code of Conduct' für Geschäftspartner einzuhalten. Die Einhaltung unseres 'Code of Conduct' für Geschäftspartner überprüfen wir anhand eines risikobasierten Ansatzes, wie er in den OECD-Leitlinien für die Sorgfaltspflicht bei verantwortungsvollem Geschäftsgebaren empfohlen und in unserem ersten Impact Report beschrieben wird", steht in diesem Statement. Ohne näher auf den Bruna eigenen "Code of Conduct" einzugehen: Die Namen der angeführten Unternehmen werden weder im Statement noch im Impact Report verraten. Was es schwermacht, das Folgende zu verifizieren: "Darüber hinaus sind diese Unternehmen zertifizierte Mitglieder des RJC."

Dem Thema zugetane Konsumenten

Was ist der RJC nun genau? Bruna beantwortet diese Frage in seinem Statement so: Der RJC sei bisher der einzige international anerkannte Standard, der die Schmuckindustrie von der Mine bis zum Markt abdeckt: "Seit Beginn arbeiten wir mit Unternehmen, die RJC-zertifiziert sind. In diesem Zusammenhang heben wir hervor, dass wir selbst seit Mai 2023 ein Mitglied des RJC sind."

Was macht den RJC so attraktiv, dass scheinbar alle mitmachen wollen? Das liegt an mehreren Faktoren: Luxusunternehmen, aber längst nicht nur die, sehen sich heute wachsendem Druck von Aktivistinnen, Investoren und Verbraucherinnen ausgesetzt, ihre Nachhaltigkeitsbemühungen offenzulegen, einschließlich der Quellen ihrer Rohstoffe, deren Lieferkette und der Auswirkungen ihres Handelns auf Mensch und Umwelt. Folgt man einer aktuellen Deloitte-Studie, sind es aufseiten der Konsumentinnen und Konsumenten vor allem die Kohorten der Millennials und der Generation Z, die Nachhaltigkeitsthemen zugetan sind.

Die hehre Zielsetzung des RJC: Ethische, soziale und ökologische Risiken im Herstellungsprozess und entlang der gesamten Lieferkette minimieren zu wollen. (Symbolfoto)
Die hehre Zielsetzung des RJC: ethische, soziale und ökologische Risiken im Herstellungsprozess und entlang der gesamten Lieferkette minimieren zu wollen. (Symbolfoto)
AP/Edmar Barros

Zudem werden die meisten großen Unternehmen, die in der EU tätig sind, unabhängig davon, ob sie börsennotiert sind oder sich in Privatbesitz befinden, bald keine Wahl mehr haben, was die Bereitstellung entsprechender Informationen angeht. Stichwort: die vieldiskutierte Corporate-Sustainability-Reporting-Direktive der Europäischen Union.

Der RJC scheint da jedenfalls gerade recht zu kommen. 2005 als eine gemeinnützige Normungs- und Zertifizierungsorganisation von 14 Organisationen und Unternehmen gegründet, darunter auch große Player wie Cartier und Tiffany & Co, handelt es sich dabei um eine freiwillige internationale Initiative der Branche, die Lieferketten transparenter zu machen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und Konflikten im Zusammenhang mit Edelmetallen und Diamanten entgegenzuwirken. So lautet sinngemäß die Selbstbeschreibung des RJC. Die hehre Zielsetzung: ethische, soziale und ökologische Risiken im Herstellungsprozess und entlang der gesamten Lieferkette minimieren zu wollen. 

Freiwillig selbsteingeschätzt

Alle Mitglieder des RJC verpflichten sich zur Einhaltung eines "Code of Practices" (CoP). Dieser Kodex definiert die Standards in den Bereichen Unternehmensethik, Menschenrechte, Umweltverantwortung und Managementsysteme und dient als Grundlage für die Zertifizierung. Der Beitritt zum RJC ist freiwillig. Damit verpflichten sich die Mitgliedsunternehmen, die definierten Standards einzuhalten und dies auch von ihren Subunternehmern einzufordern. "Die Umsetzung der Forderungen zur Anerkennung der Menschenrechte und der sozialen Verantwortung orientiert sich an den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), der UN-Menschenrechtscharta und der UN-Kinderrechtskonvention sowie dem weltweit anerkannten Standard SA8000 für Sozialmanagementsysteme." So wird es etwa auf der Website des Dorotheums dargelegt, mit dem Hinweis, dass auch der hauseigene Juwelier RJC-zertifizierte Stücke anbiete. 

Zum Ablauf der Zertifizierung liest man dort: "Nach einer Selbsteinschätzung des Unternehmens erfolgt in einem zweiten Schritt eine Überprüfung durch einen unabhängigen, durch den RJC zugelassenen Prüfer im Rahmen eines externen Auditierungsverfahrens vor Ort. Der Prüfer gibt dem RJC eine Empfehlung darüber, ob die Zertifizierung erteilt werden kann. Der RJC prüft, ob die Zertifizierung korrekt abgelaufen ist. Ist das der Fall und fällt die Empfehlung positiv aus, wird dem Unternehmen das Zertifikat durch das RJC Management Team für drei Jahre erteilt. Danach muss die Zertifizierung erneuert werden."

"Die gesamte Schmuckindustrie ist extrem undurchsichtig", befindet man beim Wirtschaftsmagazin "Flip" (Symbolfoto).
Getty Images

Auch die Ögussa, die Österreichische Gold- und Silber-Scheidanstalt in Wien, der mit Abstand größte Lieferant von Edelmetallen für die heimischen Juweliere und Goldschmiede, verfügt seit 2012 über die RJC-Zertifzierung. 2015 erlangte man auch das "Chain of Custody"-Zertifikat des RJC: Goldschmiede bekommen von der Ögussa ausschließlich recyceltes Gold, das von der Mine bis zum Kunden nachvollziehbar sei, heißt es auf der Unternehmenswebsite. Darunter sei kein neu geschürftes Minenmaterial. Heute gehören dem RJC laut Eigenangabe 1.700 Mitglieder in 71 Ländern an, aber nur 221 hätte eine "Chain of Custody"-Zertifizierung, wie es bei der Nachrichtenagentur Reuters heißt.

Ögussa ist ein Unternehmen der Umicore-Gruppe. Der milliardenschwere Bergbau-Konzern mit Sitz in Belgien lieferte einst Uran für Atombomben, heute recycelt er weltweit Batterien und Metalle, wie in einem Artikel des Wirtschaftsmagazins "Flip", das sich kritisch mit Qualitätssiegeln, Greenwashing und Co auseinandersetzt, vom August letzten Jahres zu lesen ist. Hier schließt sich der Kreis zu Bruna. Denn das Label, liest man bei "Flip", erhält sein Gold und Silber von der Agosi AG. Die wiederum gehört zu Umicore. 

Kritische Stimmen

"Zwar wurde Umicore vom Responsible Jewellery Council (RJC) zertifiziert", schreibt "Flip" und kritisiert im gleichen Atemzug die Freiwilligkeit und das Thema Eigenauskunft bei der Zertifizierung: "Die Herkunftsnachweise aber werden von Umicore selbst ausgefüllt. Eine darüber hinausgehende Zertifizierung für Recyclingquoten oder -prozesse gibt es in der Schmuckbranche noch gar nicht." Der RJC stehe außerdem immer wieder in der Kritik. "Der Prozess der Zertifizierung durch den RJC ist völlig intransparent. Auch werden die Ergebnisse nicht veröffentlicht", wird Juliane Kippenberg von der Organisation Human Rights Watch zitiert. Bei "Flip" hält man fest: "Je tiefer man buddelt, desto undurchschaubarer wird es. Das liegt nicht nur an Bruna. Die gesamte Schmuckindustrie ist extrem undurchsichtig."

Ins Gerede gekommen war der RJC im April 2022. Gründungsmitglieder wie Cartier, Teil des Luxuskonzerns Richemont, Pandora, einer der größten Modeschmuckhersteller, und Kering sind aus Protest ausgetreten, auch Iris Van der Veken, die Exekutivdirektorin des RJC, trat zurück. In die Kritik geraten war der RJC wegen der Mitgliedschaft des russischen Staatsunternehmens Alrosa. Der russische Diamantenproduzent wurde auf eine britische Sanktionsliste gesetzt, und die USA nahmen sowohl das Unternehmen als auch seinen Vorstandsvorsitzenden Sergei Iwanow ins Visier. Iwanow gehört nach Angaben des US-Finanzministeriums zu den engsten Verbündeten des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Alrosa trat zwar Anfang März 2022 freiwillig aus dem Vorstand des RJC aus, war aber immer noch Mitglied.

Mittlerweile scheint alles wieder gut zu sein, viele der Abtrünnigen sind wieder mit an Bord, berichtete Reuters bereits im Juni 2022. Der RJC hat sich allerdings nicht dazu geäußert, wie er seine Kennzeichnungen oder seine Unternehmensführung verbessern will. Nur dass es seit Anfang des Jahres mit Melanie Grant eine neue Geschäftsführerin gibt, die mehr Klarheit und Kreativität in diesen "komplexen und so überaus wichtigen Bereich des Luxus" bringen will. Nachhaltigkeit sei die größte Einzelaufgabe, mit der Uhren und Schmuck heutzutage zu tun hätten, meinte sie in einer Aussendung: "Ich möchte allen helfen zu verstehen, was sie tun können, um Teil dieser Bewegung zu sein." Skeptisch äußerte sich Laurent Maeder, Professor an der Sustainability Management School Sumas, gegenüber Reuters: Der Goldabbau sei harte, gefährliche Arbeit, bei der viele Chemikalien zum Einsatz kämen. "Man hat kein sauberes Gold oder saubere Diamanten, selbst wenn sie als fair gekennzeichnet sind." (max, 17.7.2023)