Der tschechische Präsident Petr Pavel, seine Frau Eva und der tschechische Botschafter Jiří Šitler auf der Wiener Ringstraße.
Der tschechische Präsident Petr Pavel (rechts) und seine Frau Eva absolvierten anlässlich ihres Besuchs in Österreich im Juni auch einen Spaziergang auf der Wiener Ringstraße. Ganz links: Botschafter Jiří Šitler.
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Wie steht es eigentlich um die persönlichen Beziehungen zwischen den Menschen in den verschiedenen Ländern Mitteleuropas? Welche Meinung haben sie voneinander, und wie groß ist das Interesse an den jeweils anderen? Eine Studie des Prager Meinungsforschungsinstituts STEM und der tschechischen Assoziation für internationale Fragen (AMO) sollte darauf Antworten geben. In Auftrag gegeben wurde die Umfrage vom tschechischen Außenministerium, konkret auf Initiative von Jiří Šitler, damals Direktor der Abteilung für Mitteleuropa und mittlerweile Botschafter in Wien.

"Immer wieder gab es zu dem Thema diverse Zeitungsartikel oder Analysen, aber sie beruhten eher auf Eindrücken, nicht auf einer repräsentativen Umfrage", sagte Šitler dem STANDARD. Nur eine einzige tschechische Studie zu dem Thema existierte bereits zuvor: Sie wurde 2021 in Deutschland durchgeführt und diente nun als Vorlage für ähnliche Projekte in Österreich, der Slowakei, Ungarn und Polen. In all diesen Ländern wurden die Menschen im April und im Mai dieses Jahres von STEM befragt, nun liegen die Ergebnisse vor.

Kartengrafik: Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn, Österreich, Deutschland
Die Studie des Prager Meinungsforschungsinstituts STEM beleuchtet die Beziehungen der Menschen in sechs Ländern.

Was das Verhältnis der Österreicherinnen und Österreicher zu Tschechien betrifft, so überwogen bei Šitler schon bisher die positiven Eindrücke. Durch die Studie sieht er sich nun bestätigt: "Die Ergebnisse sind sehr erfreulich." Nur in einem einzigen Punkt würden größere Differenzen sichtbar, und zwar bei der Nutzung der Kernenergie: "Etwa 80 Prozent der Menschen hier unterstützen die kritische Haltung der österreichischen Regierung zur Atomkraft." Mit Blick auf die jahrelangen Debatten über die grenznahen Kernkraftwerke Temelín und Dukovany habe man das aber erwartet. "Wichtig ist, dass wir bei dem Thema auch künftig einen sachlichen Dialog führen", so Šitler. Die Grundlage dafür, der Informationsaustausch zwischen den beiden Ländern, funktioniere jedenfalls gut.

Positives Erbe der Tschechoslowakei

Ganz allgemein bewerten 76 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher die Beziehung ihres Landes zu Tschechien als eher gut oder sehr gut. Bessere Werte mit Bezug auf Tschechien gibt es nur bei den Menschen in der Slowakei. Aufgrund der engen historischen und oft auch persönlichen Verflechtungen ist das aber auch für Šitler keine Überraschung: Die 1918 nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gegründete Tschechoslowakei existierte – unterbrochen durch die Nazi-Besatzung vor und während des Zweiten Weltkriegs – bis 1992. Erst seit der friedlichen Teilung, die am 1. Jänner 1993 wirksam wurde, gehen Tschechien und die Slowakei getrennte Wege.

Überraschender erscheint auf den ersten Blick, dass zuvor bei der in Deutschland durchgeführten Umfrage viel weniger Menschen – nämlich nur 47 Prozent – die Beziehungen zu Tschechien positiv einschätzten. Gleichzeitig gab es dort mit neun Prozent aber auch weniger Menschen, die von diesen Beziehungen ein negatives Bild hatten – in Österreich sind das immerhin 13 Prozent. Die Erklärung: In Deutschland hatten gleich 43 Prozent zu dieser Frage überhaupt keine Meinung, in Österreich waren es nur elf Prozent. "Ich kann das in gewissem Maße sogar verstehen", sagt Šitler. "Deutschland ist groß, und jemand, der etwa im Saarland oder in Schleswig-Holstein wohnt, wird sich wahrscheinlich nicht so sehr für Tschechien interessieren."

Am schlechtesten wird die Beziehung zu Tschechien übrigens in Ungarn bewertet. 30 Prozent sehen dort ein eher schlechtes oder sehr schlechtes Verhältnis. Überhaupt lässt die Umfrage einen Trend erkennen, den die Autorinnen und Autoren so zusammenfassen: "Die ähnlichen Erfahrungen der Länder des ehemaligen sozialistischen Blocks sind für die Ausgestaltung ihrer aktuellen Beziehungen nicht wichtig."

Negativer Blick in Ungarn

Das Verhältnis zu Ungarn wird übrigens von den Menschen in der Slowakei und in Österreich jeweils am schlechtesten in der Region bewertet. Im Falle Österreichs ist das insofern interessant, als sich die Sache umgekehrt ganz anders darstellt: Aus Sicht der Ungarinnen und Ungarn rangiert deren Verhältnis zu Österreich nämlich sogar auf Platz eins. Kurios dabei ist, dass die zugrundeliegende Kennzahl annähernd gleich ist: 56 Prozent der Menschen in Österreich halten das Verhältnis zu Ungarn für gut, und umgekehrt ist es genauso. In Ungarn aber, wo das Verhältnis zu den anderen vier Ländern schlechter eingeschätzt wird, reicht das bereits für Platz eins. In Österreich hingegen hat man offenbar insgesamt einen optimistischeren Blick auf die nachbarschaftlichen Bande; da kommt Ungarn mit demselben Positivwert eben klar auf den letzten Platz.

In Polen wiederum geht der letzte Platz an Deutschland, Ungarn liegt dort an der vorletzten Stelle. Es scheint, als würden ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden vergleichsweise großen Staaten sowie die historische Last aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die in Warschau auch innenpolitisch zum Thema gemacht wird, zu Buche schlagen.

Gemeinsame Mitgliedschaft in der EU

Im bilateralen Verhältnis zwischen Österreich und Tschechien ist das anders, sagt Šitler: "Sehr positiv sehe ich, dass in Österreich bei der Frage, welchen Einfluss die verschiedenen historischen Abschnitte auf die heutigen Beziehungen haben, die gemeinsame EU-Mitgliedschaft als wichtigster positiver Faktor genannt wird." Die stereotypen Rollenbilder, die noch aus der Zeit der Habsburgermonarchie stammen, als sich viele Menschen aus Böhmen und Mähren in der Hauptstadt Wien ansiedelten, scheinen immer mehr zu verblassen. Ähnliches gilt für die Ereignisse rund um den Zweiten Weltkrieg: "Nationalsozialismus, Zwangsarbeit und die anschließende Zwangsaussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung scheinen nicht mehr eine so große Rolle zu spielen wie noch vor 20 oder 30 Jahren", so Botschafter Šitler.

Dieser stärker werdende Pragmatismus äußert sich auch in der Haltung gegenüber Tschechinnen und Tschechen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt: 78 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sind der Ansicht, dass diese hierzulande einen positiven Beitrag leisten, nur 14 Prozent sehen sie negativ. Wirtschaftliche Aspekte liefern noch ein weiteres Detail: Die Frage, ob Tschechien ein guter Unternehmensstandort ist, beantworten vor allem die Menschen in Österreich und Deutschland mit Ja. Eher als Urlaubsdestination sehen das Land hingegen die Menschen in der Slowakei, in Polen und in Ungarn. (Gerald Schubert, 25.7.2023)