Atlas Fallen Promo Foto
"Atlas Fallen" tritt im Sommer 2023 gegen große Marken an. Und scheitert damit.
Deck 13/Focus

Das Gamingjahr 2023 ist famos, vor allem für Fans von Rollenspielen (RPGs), in denen man einen Charakter durch eine fremde Welt bewegt und schrittweise immer besser werden lässt: Unsere Begeisterung für "Diablo 4" ist kaum abgeklungen, da ist mit "Baldur's Gate 3" schon der nächste Knaller erschienen, der die Grenzen des Genres neu zu definieren versucht. Und dann kommt im September ja noch "Starfield", das mit viel Spannung erwartete neue Franchise der "The Elder Scrolls"-Macher Bethesda.

Wenig Platz gab es angesichts dieses Angebots zuletzt für RPGs aus der zweiten Reihe, wie schon die Macher von "Forspoken" lernen mussten: Nach durchwachsenen Kritiken entwickelte sich das Game zum kommerziellen Flop. Das Spielkonzept von "Forspoken": Man bewegt sich durch eine große und offene Welt, die durch eine Katastrophe zerstört wurde, und kämpft gegen finstere Herrscherinnen, dabei greift man auf einen magischen Armreif zurück und kann sich blitzschnell rennend durch die Welt bewegen.

Mit "Atlas Fallen" bringen das deutsche Studio Deck 13 Interactive ("The Surge", "Lords of the Fallen") und Publisher Focus Entertainment am 10. August ein Action-RPG für PC, Playstation 5 und Xbox Series X/S (Kaufpreis jeweils 49,99 Euro), das sich ebenfalls in diesem sehr dichten Spieljahr behaupten möchte. Das Spielkonzept von "Atlas Fallen": Man bewegt sich durch eine große und offene Welt, die durch eine Katastrophe zerstört wurde, und kämpft gegen einen finsteren Herrscher, dabei greift man auf einen magischen Handschuh zurück und kann sich blitzschnell surfend durch die Welt bewegen.

Startscreen
Man sollte ein Spiel nicht nach seinem Startscreen beurteilen. Trotzdem muss gesagt werden: Jener von "Atlas Fallen" gehört wirklich nicht zu den hübschesten.
Screenshot

Die Spielzeit für die Hauptstory wird vom Publisher mit 15 bis 20 Stunden angegeben, die Kampagne kann allein oder zu zweit im Online-Multiplayer gespielt werden. DER STANDARD hat "Atlas Fallen" auf der Playstation 5 getestet. Und wir sehen wenig Grund, warum "Atlas Fallen" mit dem ähnlichen Setting und Spielkonzept nicht das unrühmliche Schicksal von "Forspoken" teilen sollte.

Farblose Namenlose

Von einem optisch nicht sonderlich ansprechenden Startscreen und nach dem Durchspielen einer kurzen interaktiven Einleitung landet man im Charaktereditor von "Atlas Fallen", der jedoch nicht sonderlich viel Gestaltungsspielraum bietet: Klassen oder diverse Charakterpunkte lassen sich nicht zuteilen, lediglich Äußerlichkeiten lassen sich editieren, und auch hier sind deutlich weniger andere Möglichkeiten geboten als in zuvor erschienenen RPGs.

Der Charakter-Editor in
Der Charakter-Editor von "Atlas Fallen" bietet wenig Gestaltungsspielraum.
Screenshot

Immerhin ist es überhaupt möglich, sich einen eigenen Charakter zu generieren – was für die Multiplayerfunktion auch nötig ist. Bei "Forspoken" hatte man hier noch keine Wahl und war an die polarisierende Figur der Frey Holland gebunden. Andererseits muss gesagt waren: Frey fiel im "Forspoken"-Test zumindest durch freche Sprüche auf. Die Charaktere in "Atlas Fallen" hingegen sind Sklaven, sogenannte Namenlose, denen es neben dem Namen auch an charakterlichem Tiefgang fehlt. Auffällig ist auch, dass es den Sprecherinnen und Sprechern in der deutschen Synchronisierung an jeglicher Dynamik fehlt, und die Gesichtsanimationen sind geradezu erschreckend hözern.

Wie in jedem Rollenspiel kann man aber auch in "Atlas Fallen" seinen Charakter stetig verbessern, indem man zum Beispiel neue Ausrüstung erwirbt und bessere Fähigkeiten erlernt. Kernstück ist hier der eingangs erwähnte magische Handschuh, der schrittweise neue Fähigkeiten verleiht, die unter anderem in Kämpfen eingesetzt werden können. Auch etwas untypisch für das Genre: Harte numerische Fakten finden sich im Fähigkeitenmenü nicht, man beschränkt sich auf Adjektive wie "besser" und "moderat".

Die Fähigkeiten in
"Eine moderate Menge an Momentum".
Screenshot

Knackige Kämpfe

Positiv anzumerken ist, dass die Kämpfe äußerst knackig und abwechslungsreich sind. So können die durch den magischen Handschuh aktivierten Fähigkeiten zum Auslöschen der Gegner eingesetzt werden, die stärkeren Angriffe laden sich im Lauf des Kampfs auf. Relativ am Anfang des Spiels lernt man auch, in die Luft zu springen und dort kurz zu schweben, was bei größeren und bei fliegenden Gegnern nützlich ist.

Atlas Fallen - Gameplay Overview Trailer | PS5 Games
Dieser Trailer wirbt für das Gameplay von "Atlas Fallen".
PlayStation

Im Briefing für das Spiel betonen die Developer, dass im Day-One-Patch das Balancing noch optimiert wird, zumal manche Bossgegner im normalen Schwierigkeitsgrad zu schwer zu besiegen sind. Doch selbst im einfachsten Modus spürt man, dass nur weiterkommt, wer im Kampf alle verfügbaren Mittel ausnutzt. Wer also knackige Kämpfe liebt, der ist hier an der richtigen Adresse.

Nervtötende Aufgaben

Für das restliche Gameplay finden sich leider wenig lobende Worte. Zunächst sei betont, dass das Sandsurfen tatsächlich Spaß macht, vergleichbar mit dem Parkourlaufen in "Forspoken". Und der größte Kritikpunkt an "Forspoken" – die vergleichsweise leere offene Welt – ist nicht das Problem von "Atlas Fallen": Hier gibt es an jeder Ecke plauderwillige Zeitgenossen, die auch so manchen Nebenauftrag vergeben.

Sandsurfen in Atlas Fallen
Das Sandsurfen macht Spaß und erinnert an so manches Snowboarding-Game.
Screenshot

Allerdings lebt jedes RPG zu einem guten Teil von seinen Hauptmissionen, und hier schwächelt "Atlas Fallen" noch mehr als in den eingangs erwähnten Punkten. Nun mag es freilich persönlicher Geschmack sein oder an meiner fehlenden Empathie liegen, dass ich die Storyline – den Kampf gegen einen übermächtigen und bösen Gott – ein wenig abgedroschen finde und mir das Schicksal der charakterlosen Namenlosen eher egal ist. Doch der Weg ist ja bekanntlich das Ziel – und dieser ist bei "Atlas Fallen" gefüllt mit nervtötenden Aufgaben und überflüssigen Hindernissen.

Unsinniges Gameplay

So bestehen Quests in der Haupthandlung oft nicht im Bezwingen starker Gegner oder dem Überzeugen störrischer Nichtspielercharaktere, sondern im Einsammeln irgendwelcher Kristalle, mit denen der Handschuh verbessert werden kann. In anderen Spielen gehört das zu jenen Nebenquests, die man getrost ignoriert, bei "Atlas Fallen" kommt man nicht daran vorbei.

Klettern in Atlas Fallen
Nach einer äußerst sinnbefreiten "Kletter"-Session ist dieser grafische Bug das letzte Ärgernis, bevor ich den Test genervt abbreche.
Screenshot

Das ist umso ärgerlicher, als dass das Gameplay hier nicht funktioniert: Der Kompass lotste mich an unüberquerbare Schluchten, sodass ich mir einen anderen Weg suchen musste, und nicht selten mussten Gebäude und Berge erklommen werden – was per se nicht schlimm wäre, wenn der Charakter zumindest klettern könnte. Kann er aber nicht, und so muss man sich mit der zuvor erwähnten Spring-und-schweb-Funktion an irgendwelchen Hausecken vorbeischummeln. Nicht selten dachte ich mir in solchen Situationen: Wie ich auf dieses Hausdach gekommen bin, kann unmöglich im Sinne der Leveldesigner sein.

Fazit: Warten, bis es verschenkt wird

Vor allem der zuletzt genannte Malus – das unsinnige Gameplay – ist der Grund dafür, dass ich den Test vorzeitig abgebrochen habe. In diesem Zustand ist "Atlas Fallen" kein Spiel, das man zum genannten Preis empfehlen kann. Das liegt freilich auch zu einem gewissen Grad an der starken Konkurrenz: Mit zwei, demnächst drei großen Blockbuster-Rollenspielen müssen sich Fans des Genres derzeit gut überlegen, wo sie ihre spärliche Freizeit verbringen.

Die Probleme mit "Atlas Fallen" liegen aber nicht nur im Umfeld, sondern auch beim Spiel selbst. Zu lieblos sind Charaktere, Funktionen, Story und vor allem das Gameplay geraten, als dass dies einen Kauf rechtfertigen könnte. Und das lässt sich auch nicht über einen Day-One-Patch fixen. Somit wird "Atlas Fallen" wohl den gleichen Weg gehen wie so viele andere auch: Wenn es Glück hat, landet es irgendwann in einem Xbox- oder Playstation-Abo. Dann kann man ein Anspielen in Erwägung ziehen, wenn man gerade nichts Besseres zu tun hat. (Stefan Mey, 9.8.2023)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Code des Spiels für die Playstation 5 wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.