Innerhalb von Sekunden wurde das Leben von Andrea González Náder auf den Kopf gestellt: Fernando Villavicencio, der Präsidentschaftskandidat der Opposition in Ecuador, wurde am Mittwoch in der Hauptstadt Quito erschossen. González Náder wäre für den Fall eines Wahlsieges seine Vizepräsidentin geworden.

Andrea González Nader mit kugelsicherer Weste
Andrea González Náder will Ecuadors Staatspräsidentin werden.
REUTERS/KAREN TORO

Zwar verhängte der scheidende Präsident Guillermo Lasso, der wegen Korruptionsverdachts nicht mehr kandidiert, einen 60-tägigen Ausnahmezustand; doch die vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sollen wie geplant am kommenden Sonntag stattfinden.

Für die 1987 in der Millionenmetropole Guayaquil geborene Umweltaktivistin González Náder war diese Ankündigung das Signal, gerade jetzt nicht aufzugeben: In der Nacht zum Sonntag verkündete die zentrumsnahe Partei Construye (sinngemäß: Bau etwas auf!) daher, dass die Hochschuldozentin für Umweltmanagement sich nun selbst um das höchste Amt in Ecuador bewirbt.

Doch kaum 24 Stunden später nahm die Sache eine erneute Wendung: Nicht sie, sondern der 53-jährige Investigativjournalist Christian Zurita soll die Spitzenkandidatur übernehmen, erklärte die Partei in der Nacht zum Montag. González Náder bleibe weiterhin die Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin. Construye hatte sich kurzfristig zu diesem Schritt entschlossen, weil es seitens der Wahlbehörde keine eindeutige Stellungnahme zu González Náders Vorrücken auf der Liste gegeben hatte – man wollte sich wahlrechtlich absichern, damit das Wahlergebnis in der Folge nicht angefochten werden kann.

González Náder hatte sich bereits mehrfach als Kandidatin sozialistischer Listen um Ämter in ihrer am Pazifik gelegenen Heimatprovinz Guayas beworben – allerdings erfolglos: Sie bekam weder 2019 das Amt der Vizepräfektin, noch schaffte sie 2021 den Sprung in die Nationalversammlung (Parlament).

"Brillant" und "verantwortungsbewusst"

Die Akademikerin und Umweltaktivistin, die seit mehr als einem Jahr den von ihr gegründeten Radiosender Ecoverde leitet, der auch im Internet verbreitet wird, gibt über ihr Privatleben so gut wie nichts preis, und ihr Instagram-Account enthält ausschließlich Offizielles zu ihrer beruflichen und politischen Tätigkeit.

Auf Linkedin verweist sie auf diverse Beratungsjobs für private und öffentliche Umweltprojekte, als Dozentin lehrt die Absolventin der Universidad del Pacífico Umweltwissenschaften und Soziologie. Ein ehemaliger Professor bezeichnete sie als "brillant", "verantwortungsbewusst" und als "Führungspersönlichkeit".

Villavicencio, ein Journalist, der gegen die Korruption in Ecuador kämpfte, stand während der Wahlkampagne unter Polizeischutz – der sich als nutzlos erwies. Auch González Náder zeigt sich seit dessen Ermordung nur noch mit kugelsicherer Weste in der Öffentlichkeit.

Und so wird es wohl bis auf weiteres bleiben: Das einst als friedlich bekannte Ecuador gilt heute als Hochburg der Korruption und als Drehscheibe internationaler Drogenkartelle. Wer dagegen vorgehen will, riskiert offensichtlich das eigene Leben. (Gianluca Wallisch, 13.8.2023)