Die Beziehungen Russlands zu Norwegen sind – wie jene mit fast allen europäischen Partnern – äußerst belastet. Hauptgrund ist natürlich der russische Angriffskrieg gegen sein Nachbarland und die westliche Unterstützung für die Ukraine. Erst am Donnerstag bestätigte der norwegische Premierminister Jonas Gahr Støre bei einem Besuch in Kiew, dass sein Land der Ukraine F-16-Kampfflugzeuge zum Nulltarif bereitstellen werde. Das ärgert Moskau. Aber die Norweger treiben den Russen auch auf anderem Wege die Zornesfalten auf die Stirn – genauer gesagt deren Rentiere.

Rentier
Den Russen sind die norwegischen Rentiere zu gefräßig.
EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON

Diese pfeifen sich naturgemäß wenig um die menschgemachte Grenzziehung. Und weil die bestehenden Zäune derart verfallen sind, wanderten die Tiere in der Polarkreisregion regelmäßig von Norwegen nach Russland, um dort zu grasen. Sie gehören den indigenen Samen, deren Siedlungsgebiet Sápmi im Norden Fennoskandinaviens Teile des Staatsgebiets von Norwegen, Schweden, Finnland und Russland umfasst. Seit rund 9.000 Jahren sollen sie sich in der Region nördlich des Polarkreises aufhalten.

Also muss ein Grenzzaun her.
AP/HT Gjerde Finnmark

Ganze 42 Tiere sollen zuletzt die Grenze nach Russland passiert haben. 40 Tiere wurden bereits zurückgebracht, die zwei letzten flüchtigen sollen bald wieder in das Heimatland, um das sich die Tiere recht wenig scheren, zurückgebracht werden. Wüssten die Tiere, was ihnen in Norwegen droht, würden sie wohl ohnehin lieber in Russland bleiben. Aus Angst vor neuerlichen Grenzverstößen wurden die zurückgebrachten Tiere nämlich vorsorglich geschlachtet. Auch für die letzten beiden aktiven Tiere droht es der letzte internationale Ausflug gewesen zu sein. Aber warum das ganze Theater und warum eine 320.000 Euro teure Renovierung eines Siebenkilometer-Zaunabschnitts zwischen Hamborgvatnet und Storskog, der so schon seit 1954 Bestand hat?

Dem wilden Grenzgehüpfe der Rentiere wollen die norwegischen Behörden Einhalt gebieten. Die Arbeiter müssen dabei darauf achten, Russland nicht zu betreten, denn Visum haben allesamt keines.
AP/HT Gjerde Finnmark

Die Entscheidung Norwegens für einen Zaun dürfte in erster Linie eine Kostenfrage sein. Die Grenzübertritte bringen nämlich nicht nur Bürokratie mit sich, sondern auch Schadensersatzansprüche Russlands, welche für die Abgrasungen der Tiere in der Pasvik Nature Reserve kompensiert werden wollen. Für das eigenmächtige Fremdnaschen der 42 Tiere wollte Moskau zuletzt mehr als vier Millionen Euro, berichtete die norwegische Agrikultur-Agentur. Da baue man doch lieber einen Zaun, so die Norweger. Jetzt, wo die Beziehungen ohnehin schon belastet sind. Für die Schlachtung der Tiere sprach sich aus Sicherheitsgründen aber auch die Lebensmittelsicherheitsagentur der Norweger aus. (Fabian Sommavilla, 25.8.2023)