Was alles normal sei, und was nicht – damit hat uns die ÖVP schon über den Sommer mehr schlecht als recht unterhalten. "Sicher nicht normal", antwortete die Landeshauptfrau von Niederösterreich nun auch auf die Frage, wie sie das umstrittene Video der Freiheitlichen Jugend kommentiere. Konkret fragte der STANDARD nach, was Mikl-Leitner dazu sage, dass die Justiz nach einer Anzeige des Verfassungsschutzes nun ein Video prüft, in dem ihr Koalitionspartner und Landeshauptfrau-Vize Udo Landbauer (FPÖ) auftaucht.

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und LH-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) am Dienstag, 16. Mai 2023, anl. der PK 'Präsentation der Eckpunkte des Corona-Fonds“ in St. Pölten.
Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wird sich noch öfter wegen ihres Koalitionspartners Udo Landbauer (FPÖ) erklären müssen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Die Landeshauptfrau machte sich nicht die Mühe, sich eine noch so knappe Kommentierung abzuringen, sondern recycelte einen bereits vor Tagen dazu abgegeben Satz: "Es ist nicht meine Aufgabe, jede Internet-Provokation von rechts oder links zu kommentieren und damit auch noch zu bewerben. Für die breite Mehrheit der Mitte ist so etwas jedenfalls sicher nicht normal."

Wer sich erwartet, dass die Landeshauptfrau Niederösterreichs sich klar von einem Video, in dem faschistische Autoren als lesenswert propagiert und Jugendliche – warum auch immer – auf den sogenannten Hitler-Balkon starren, distanziert, darf sich als naiv bezeichnen.

Eskalierendes Ausfransen 

Ob sie von Landbauer wenigstens unter vier Augen Rechenschaft verlangte, darüber kann man nur spekulieren. Eine öffentliche klare Kante gegen Rechtsextremismus gibt es nicht. Dazu müsste sich die ÖVP auch eingestehen, dass die Koalitionen mit der FPÖ auf Länderebene ein demokratiepolitscher Fehler waren.

Interessant ist aber der Hinweis Mikl-Leitners auf eine "Internet-Provokation" von links, die in dem Video mit Hang zur historischen Bildsprache mit aller Fantasie nicht zu entdecken ist. Es ist vielmehr der Versuch, vom komplett eskalierenden Ausfransen des rechten Rands der österreichischen Innenpolitik abzulenken.

Dabei bekommt Mikl-Leitner nun Unterstützung der FPÖ. Die bläst nun zum Großangriff auf verdienstvolle Forschungsstellen wie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), das im Februar 60 Jahre alt wurde, gerade ein Standardwerk über den Holocaust produziert und – übrigens auch von Mikl-Leitners Parteifreund, Innenminister Gerhard Karner – mit der Erstellung eines jährlichen Rechtsextremismusberichts beauftragt wurde. In mehreren parlamentarischen Anfragen der FPÖ wird das DÖW sogar in den Nimbus eines "gewaltbereiten Antifa-Lagers" gerückt; "exklusiv" veröffentlich hat den Inhalt der Anfragen des Identitären-nahen "Heimatkurier", noch bevor die Anfragen auf der Seite des Parlaments abrufbar waren. Offenbar ist hier der Draht der FPÖ zur extremen Rechten mindestens genauso gut wie jener ins Hohe Haus.

Auch wenn solche durchsichtigen Anwürfe wie gegen das DÖW keiner Überprüfung standhalten, sollte sich die ÖVP, aber auch jede andere Parlamentsfraktion gut überlegen, wann sie hier eine Grenze im Sinne unserer Verfassung zieht – zum Erhalt der Demokratie, nicht zum Erhalt der eigenen Macht. Die ÖVP kann sich jedenfalls sicher sein, sich im Falle einer Koalition mit der Bundes-FPÖ regelmäßig im ideologischen Schwitzkasten wiederzufinden, in dem Mikl-Leitner sich bereits zu befinden scheint. (Colette M. Schmidt, 5.9.2023)