Heimatkunde als emotionale "storybased Infotainment-Show": In fünf Räumen auf 512 Quadratmetern reisen Gäste und Einheimische durch Zeit und Raum.
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Im zweiten Obergeschoß des Kaufhaus Tyrol in Innsbruck kann man seit kurzem in nur einer Stunde die höchsten Berggipfel des Landes erklimmen, in einer Pferdekutsche neben Kaiser Maximilian durch das Innsbruck um 1500 schaukeln und zwischen den Kämpfenden in der Schlacht am Bergisel umherwandeln, wo mitten im Gefecht Andreas Hofer steht, die Hände lässig in seiner Lederhose vergraben.

Tiroler Identität

Möglich wird das durch modernste Technik: großflächige Projektionen, Virtual-Reality-Installationen, Hologramme. Als sich die beiden Initiatoren Peter Margreiter und Felix Kozubek vor knapp 18 Monaten an die Arbeit machten, hatten sie einen Plan: eine informative Wissensreise durch Tirol zu erschaffen, etwas nie Dagewesenes. Kein "reines Werbeprospekt", aber doch emotional.

Sie drückten den roten Erzählfaden also einer Hauptdarstellerin in die Hand, die es vermag, Besucherinnen und Besucher prompt auf ihre Seite zu ziehen. Eine 15-Jährige, gespielt von Lisa Neuner. Sie will ihren Vater (verkörpert von Gregor Bloéb) überzeugen, von einem lukrativen Jobangebot in China abzulassen. Die Geschichte spielt bei Tochter und Vater zu Hause in – logisch – Tirol. Dort stupst sie den Vater mit Fragen zur eigenen und kollektiven Geschichte an. Er sinniert über Brauchtum, Geschichte und die Tiroler Identität. Die "Experience Tirol" bemüht sich um ein durchaus kritisches und mit einem sorgfältig ausgewählten Sortiment an Wissen garniertes Bild einer Region, eine "Mia san mia"-Mentalität schwingt aber mit. Die Geschichte ist von Regionalstolz geschwängert, schließlich lautet die töchterliche Botschaft ja auch: Tirol zu verlassen ist keine Option.

Durch die virtuelle Brille erleben die Besucherinnen die Geschichte einer 15-Jährigen, die ihren Vater vom Umzug ins Ausland abhalten will.
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"Kühe sind keine Kuscheltiere"

Ihre Vision gossen die beiden Ideenträger in fünf Räume über 512 Quadratmeter, hinter deren Wänden sich armdicke Kabelstränge verbergen. Sieben Server laufen heiß. Die Technik ist ausgeklügelt, schließlich müssen zahlreiche Übergänge orchestriert werden – bis ins feinste Detail.

So steigt den Gästen in passenden Szenen der Duft von Pferdemist (während der Kutschenfahrt) und Schüttelbrot (während des Törggelen in Südtirol) in die Nase. Als Ötzi im Schneesturm von einem Pfeil getroffen wird, fegt kühler Wind durch den Raum und den Menschen in ihren VR-Brillen um die Ohren.

Als Vater und Tochter im Familienalbum blättern und in Erinnerungen schwelgen, kommt viel Sternenstaub zum Einsatz. Die Zuschauenden – mittlerweile ohne VR-Brille – sehen Filmchen und Szenen von Fasching bis Almabtrieb, und sie lernen auch etwas: Kühe sind keine Kuscheltiere.

Als im letzten Raum Denise Beiler den Abspann bejodelt, öffnet sich die Tür zum Kaufhaus wieder. Im gleißenden Gegenlicht steht Margreiter, Hollywood-gleich. Zunächst sind nur seine Umrisse zu sehen, dann tritt er aus dem Schatten, lächelt.

Hohe Expertendichte

3,1 Millionen Euro seien in das Projekt geflossen, erzählt Margreiter dem STANDARD. Das Geld stamme von der Innsbrucker Firma Stasto Automation, die nun neben den beiden gesellschaftlichen Geschäftsführern Margreiter und Kozubek auch Anteile hält. Stasto macht eigentlich kein Storytelling, sondern Pneumatik, Industriearmaturen und Hydraulik. Sie seien froh, die Show unabhängig von Tourismusverbänden und politischen Institutionen entwickelt zu haben, sagt Margreiter.

Eine Million Euro sei in das Gebäude geflossen, eine weitere in die Technik, die letzte in die inhaltliche Aufbereitung. Über 200 Expertinnen und Experten hätten mitgewirkt.

Kind umgeben von Bildern
3,1 Millionen haben die beiden Ideenträger in die Hand genommen, das Geld stammt von einer Innsbrucker Firma.
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Interesse aus Südtirol

Die Kapazitäten der "Experience Tirol" sind groß: Alle 20 Minuten startet die Show, die Margreiter als "Türöffner-Attraktion" versteht, von neuem. Eine Gruppe kann bis zu 30 Personen umfassen. Audioguides gibt es bereits auf Englisch und Italienisch, über eine Erweiterung denken die Initiatoren bereits nach. Pro erwachsene Nase kostet der Spaß 24 Euro. Margreiter hofft auf über 50.000 Besucherinnen und Besuchern pro Jahr, dann würde sich die Investition wohl bald rentieren, meint er. Man wolle nicht nur Gäste, sondern auch Einheimische ansprechen.

In der Zwischenzeit ist eine Delegation aus Südtirol eingetroffen. Dort habe man bereits Interesse am Konzept gezeigt. Auch die Geschäftsführer können sich vorstellen zu expandieren. Allerdings wolle man "seriös wachsen", betont Margreiter, und zunächst den Tiroler Standort festigen. Dann rauscht er geschäftig ab, um die Herren zu begrüßen. (Maria Retter, 9.9.2023)